08.01.2015
Jetzt wird die Argumentationsschwäche der Linken spürbare Folgen haben: Kaum noch Religionskritik zu üben und aus Angst, mit Rassisten verwechselt zu werden, den islamistisch geprägten Faschismus nicht als solchen zu benennen, schlimmer noch, diesen als Feind meines Feindes sich teilweise zum Freund zu machen, z.B. in der perversen Liebe einiger sogenannter Antiimperialisten zur Hamas oder zum klerikalfaschistischen Regime des Iran – das heißt eben auch, sich aller Waffen zu berauben gegen das Ku-Klux-Klan-Christentum der extremen Rechten. Wer macht jetzt deutlich, dass „unsere besorgten Mitbürger“ der Sympathisantensumpf der neonazsistischen Rechtsterorristen und dass die Islamisten die Neonazis des Orients sind?
09.11.2023
Die Sehnsucht nach Eindeutigkeit ist überall so groß, dass zwangsläufig irgendwann jeder jedem zum Feind werden muss, da jeder jeden richtet, um bei seinem eindeutig als richtig Erkannten bleiben zu können. Aber gleichzeitig gibt es eine Industrie der „Verwirung“, der Wir-Formierung, des Gruppen- und Blasenbildens, deren Protagonisten ihr jeweiliges Angebot für Eindeutigkeit als Markenkennzeichen vor sich hertragen und Anhänger zu gewinnen trachten. „Israel“ ist so ein Markenzeichen, „Antizionismus“ ein anderes. Wer „für Israel“ ist, ist auch für „den Westen“, für „unseren Lebensstil“, „unsere regelbasierte Ordnung“, samt der fadenscheinigen Sonntagsreden über Demokratie und Menschenrechte – die reine Idiotie. Aber weil das so ist, sind – aus freien Stücken zumal, obwohl es ihrerseits die reine Idiotie ist – die Gegner einer regelbasierten Ordnung der schlechten Regeln auch Gegner Israels und finden Freunde wie den Iran, dessen demonstrierende Frauen von ihnen wiederum als Freundinnen „des Westens“ rezipiert werden. Die pro-iranischen Verrenkungen einiger Autoren der Jungen Welt können als Paradebeispiel für diesen Unsinn dienen. Aber es scheint zu funktionieren und Anhänger zu gewinnen. „Antizionismus“ ist weltweit ein, vielleicht sogar: das Markenzeichen einer dem geopolitschen Freund-Feind-Denken verfallenen Linken geworden; fridays for fatwas werden vorstellbar wie Quran-Queers; als Antikolonialismus verbrämter Antisemitismus ist den meisten kapitalismuskritischen Bewegungen eine reine, nicht hinterfragbare Selbstverständlichkeit und emotionales Bedürfnis. In einer Weltrevolution, könnte das jetzige Personal der Linken sie denn auf die Beine stellen, würden die meisten Aufständischen im Fall von Judenpogromen höchstens betreten zur Seite schauen, sie zu Kollateralschäden erklären, zum quasi versehentlichen Abschlachten unbeteiligter Unschuldiger – und vielleicht doch nicht so Unschuldiger, denn wer weiß, woher der Hass auf sie rühre und ob der nicht doch berechtigt sei. Zum Schluss ginge es dann zu wie im sowjetischen Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution: Sämtliche Truppen sämtlicher Seiten verüben Pogrome. Der Unterschied zwischen ihnen wäre, wie damals, ob die jeweiligen Befehlshaber die Übergriffe ahnden oder, im Gegenteil, zum Bestandteil ihrer Strategie machen. Die Abwesenheit einer marxistisch geprägten Arbeiterbewegung, der die Vaterlandslosigkeit des Proletariats so selbstverständlich war wie die Ablehnung aller Religion als Opium des Volkes, macht sich bitter bemerkbar.
09.08.2025
Das eigentlich Bestürzende, Schlimme am aktuellen Weltgeschehen sind weniger die Geschehnisse, je nachdem beschrien als großer Bruch, Zeitenwende, Genozid oder schlicht übergangen, sondern dass, bei allem Geschrei, vieles, wenn nicht alles hartnäckig bleibt, wie es war. Ich stoße immer wieder mal auf eine Jahre alte Eintragung in meinem Arbeitsjournal und sie unterscheidet sich in ihren Beobachtungen kaum von einer anderen, die noch einmal ihre sieben, acht Jahre älter ist. Das Thema kann Krieg sein, Alltagsrassismus, Sozialdarwinismus, die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen oder, wie in den oben ausgeführten Beispielen, eine auf „links“ gedrehte Parteinahme für Hamas, Hisbollah und Konsorten – was ich vor zwei, vier, sechs, acht, zehn Jahren dazu schrieb, kann ich ohne große Retuschen als einen heute für Heute geschrieben Text nehmen. Die Musik, die ich schreibend zu erfassen versuche, ist immer dieselbe. Allerdings: Die Lautstärke nimmt zu. Ich frage mich, ob sich die Ohren zuzuhalten, nicht das richtige Mittel ist, der Musik auf den Grund zu kommen. Denn hörbar bliebe sie, laut, wie sie ist, auch verstopften Ohren. Aber sie würde einen nicht so furchtbar anstrengen.