vonkirschskommode 14.05.2024

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Zerbst, zehn Lenze bis zur Zukunft

Zerbst ist ein paradoxes Gebilde: eine Flächenstadt. Ein Wort so sinnvoll wie Fußgängerautobahn. Ich habe nichts gegen Fußgängerautobahnen, ich finde sie interessanter als Autoautobahnen. Aber eine Stadt konzentriert Einwohner räumlich. Zerbst verteilt sie. Im besten Fall innerhalb der eigenen Grenzen. Meist ganz woandershin.

Jedes Projekt für Zerbst als ganze Stadt ist automatisch ein Landschaftsprojekt. Das, immerhin, lässt sich, zwischen dem Wiesenburger Schlosspark und dem Wörlitzer Gartenreich gelegen, nicht so schlecht an. Ein Landschaftsprojekt hätte hier immer historische Quellen und Bezüge.

Teile des Gebiets, im so genannten Zerbster Ackerland gelegen, sind westliche Ausläufer der großen asiatischen Steppen. Großtrappenschutzgebiete, seit der Wende zerstört durch die industrialisierte Landwirtschaft. Der Steppenstreifen wäre nur durch extensive Weidewirtschaft und viele Brachen wieder zu beleben. Zerbster Lamm, im Lehmofen gebacken, wäre seine kulinarische Spezialität.

Wo der Steppencharakter nicht dominiert, in den Ausläufern des Flämings, um die sich verzweigenden Läufe der vielen Nuthen herum und in der Nähe der Elbe, könnte Zerbst sich folgenden Slogan erdenken: Zerbst, eine Stadt stemmt sich gegen den Wind. Wegen der Riesenflächen der Felder in Zerbst wird nicht nur permanent Ackerboden vom Wind abgetragen, die Landschaft ist ihretwegen auch ganz und gar unstädtisch, nämlich ungemütlich, unbegeh- und damit, sozusagen, unbewohnbar. Um Zerbst herum, und bis in seinen letzten Winkel, braucht es nichts so sehr, wie ein windgeschütztes, lauschiges Wegenetz, eine in Hecken gefasste, mit Hecken durchzogene kleinteilige Landschaft. Zwischen den Hecken laufen die Wege (und die entgradigten Nuthen mäandern dazwischen).

Nicht irgendwelche Wege. Sondern bevorzugt die historischen. Biokorridore entstehen, die ihren Nutzern, Tieren wie Menschen, Schutz und Nahrung bieten. Zwetschgen, Mirabellen, Pfirsiche, Birnen und Äpfel, Sauerkirschen, Weißdorn, Rosengewächse. Auch Nüsse. Ein Singvogel- und Obstliebhaberparadies. Weiße Blüten im Frühling, Früchte und bunte Blätter im Herbst. Es ist sinnvoll die Wege mit einem Streifen Betonplatten oder Ähnlichem befahrbar zu machen. Spazieren in einer Flächenstadt kann man am besten mit dem Fahrrad.

Die lieblich gerahmten Felder sind klein, zum Ärger der auf Effizienz und große Maschinen setzenden Bauern. Es schlägt die Stunde der Ingenieure. Maschinenbau Zerbst, wuseltronische Lösungen für eine ökologisch angepasste Landwirtschaft. Mit Solarzellen betriebene Ackerinsekten entstehen. Dreibeinige Arbeitsmodule können sich zu langen Grab-, Säh-, Jät- und Erntewürmern kombinieren. Die Maße des Felds erkennen sie über GPS, Vogelnester und Nutzinsekten an ihren Formen. Desgleichen die Unkräuter, die sie ausraufen und als Gründünger liegen lassen, wenn es Not tut, sorgfältig gehäckselt. Sie arbeiten langsam, aber stetig, viele Stunden am Tag, unterbrochen nur von Tankphasen am nahen Windrad, wenn die Rückensolarzelle nicht mehr genug nachfüttert, um den Akku gefüllt zu halten. Die Arbeitsinsekten sind trotz ihrer Akkus übrigens kaum schwerer als Pferde. Und sie verteilen ihr Gewicht auf viele Beine. Ein Ackerboden entsteht, den niemand mehr mit Gewalt umbrechen muss, sondern der natürlich locker bleibt wie humusreicher Waldboden.

Schön, ich gebe zu, jetzt sind schon zwanzig Jahre vergangen. In zehn Jahren hat die Stadt Zerbst im besten Fall die ersten Wege verlegt und Hecken angepflanzt. Wobei ich vorschlagen möchte, sich Zeit zu nehmen und auch gezielt Versuche mit der Aussaat von Bäumen und Büschen zu machen. Das Klima ändert sich, bei Samen, die bei verändertem Klima aufgehen, gibt es mehr Gewissheit, dass die Pflanzen, die sie hervorbringen, den Wechseln standhalten. Und zur Finanzierung des Projekts sage ich lieber gleich nichts. Der Umbau einer Landschaft zu einem städtischen, im obigen Sinn bewohnbaren, ökologisch sinnvollen Park ist eine öffentliche Aufgabe. Es ist in erster Linie Einsicht und Vernunft vonnöten, um sie anzugehen. Daran, wie so oft, könnte es hapern.

März, 2013

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