Natürlich kann es an der Post liegen, die Sendung kommt überhaupt erst in ein paar Wochen oder sie ist einfach verloren gegangen. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Versuch ganz so ausgegangen ist, wie ich es erwartet hatte: Würde ich bei Kutsch diesmal kein zusätzliches Exemplar zum Belegexemplar der Versnetze bestellen, dann gefiele ihm prompt keines meiner eingereichten Gedichte mehr. Nachdem er jahrelang, von Versnetze_11 bis Versnetze_14, brav genommen hat, meist genau das Gedicht, von dem ich zuvor annahm, es würde ihm besonders zusagen.
Jetzt sind die von mir unterstellten Motive für den Sinneswandel des Herausgebers nie und nimmer hieb- und stichfest zu beweisen. Kutsch kann sich immer und mit allem Recht auf seinen Geschmack berufen, nichts hätte der mit den paar Mäusen zu tun, die ihm durch meinen plötzlich aufgetretenen Mangel an Kauffreude vielleicht entgangen seien. Aber ich weiß wiederum durch die Reaktionen auf meine Kündigung der Zeitschrift Das Gedicht, dass die Herausgeber und Herausgeberinnen zeitgenössischer Lyrikanthologien (in denen zuverlässig immer auch ihre eigenen Gedichte Platz finden), sich als Dienende ihrer dichtenden Kolleginnen und Kollegen sehen. Sie werden nicht müde zu beteuern, dass sie durch ihren selbstlosen, aufopfernden Einsatz Publikationsmöglichkeiten schüfen, die es sonst schlicht nicht gebe. Sie empfinden es daher als Solidarität, sich entweder mit seinem bekannten Namen oder, wenn man den nicht hat, wenigstens mit etwas Geld und Einkäufen an ihren Projekten zu beteiligen.
Und genau deshalb, nehme ich an, haben die Geschmacksurteile der Herausgeber*innen eben doch einiges mit den schwer einzufangenden Mäusen zu tun. Gedichte, die von anderen Dichtern wie Dichterinnen zur Veröffentlichung ausgewählt werden sollen, können bei diesen ohnehin leicht auf persönliche Abneigungen oder auch nur kleinere Empfindlichkeiten stoßen. In meinem Fall beispielsweise etwa so: Ich verzichte, wenn ich dichte, niemals ganz – auf Eleganz. Elegante Formen aber (scheinbar) mühelos zu beherrschen, sich in ihnen spielerisch leicht bewegen zu wissen, wird, meiner Erfahrung nach, von nicht wenigen Menschen als überhebliches Getue abgewehrt. Es ist wirklich nicht auszuschließen, dass ich, Vers für Vers und Reim für Reim, sowieso reichlich arrogant rüberkomme. Verweigere ich dann noch den Solidaritätseinkauf, ist das Maß voll, ich kann sehen, wo ich mit meinem Hochmut bleibe. War es denn zu viel verlangt, den Bettlern im Dreck am Tor in demonstrativer Demut eine kleine Münze zuzustecken? Nun, ich wollte ein einziges Mal nicht das ungute Gefühl haben, dass meine Texte erst dann für sich sprechen, wenn ich zuvor bezahle. Ich wusste, wie es ausgehen würde.
Eigener Rang
Wo ich stehe, was ich kann,
zwei getrennte Welten;
bin ich auch der beste Mann,
wenig werd ich gelten.
Zugeben muss ich, ich reite tatsächlich manchmal auf hohem Ross. Es ist aber weniger Unbescheidenheit als Streitlust, die mir in den Sattel hilft. Mir missbehagt der Gedanke einer Solidargemeinschaft der Poetinnen und Poeten, die mehr sein will als der Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Gewerkschaft ver.di im gemeinsamen Kampf für angemessene Honorare. Wenn sich alle gegenseitig mit ihrem knappen Geld unterstützen, ihre gemeinsamen Abos haben und ihre gemeinsamen, herzlich mittelmäßigen Bücher kaufen, damit der eine dem andern auf diese Weise hilft, gedruckt zu werden, wie, in drei Teufels Namen, sollen sie sich dann gegenseitig kritisieren? Wie soll literarische Polemik stattfinden? Es entsteht ein klebriges Milieu, in dem sich alle das Maul verbeißen, das sie sich lieber zerreißen würden, man lobt sich, um Lob zu erhalten, und ich bleibe lieber allein bei meinen Sachen.
Lyrikpreisträger*in
Nicht nötig, klar zu sein. Wie ichs verstehe,
bleibt Lyrik selbst dem Autor etwas fremd.
Doch wenn vor Publikum mich etwas hemmt,
dann, dass ich mich in vielen Augen sehe.
Ich, preisgekrönt, enthoben ihrer Nähe.
Sie schreiben auch. Was Überschwang wohl dämmt.
Und besser ist, dass man sich Spott hier klemmt.
Es gibt das schöne Sprichwort von der Krähe.
Ein Beifall, Wein in Gläsern: zur Laudatio!
Der Redner hebt die Brille und sie blitzt.
Ein Saal, der stumm, dann halb erschlagen sitzt.
Vor Satzkaskaden: Mythos zieh‘, wie Ratio,
durch meinen Text, porös und feinstofflich.
Ich stell nichts klar. Man tuts, mit Macht, für mich.
P.S., 16. 12. 2022: So ein Blog ist eine praktische Sache. In ihm befinden sich sowohl die letzten sechs vorgeschlagenen und abgelehnten Gedichte als auch einige der in vorherigen Editionen der Vers_Netze erschienenen. Ich verlinke die abgelehnten unter kutsch-nein und die abgedruckten unter kutsch-ja. Und jeder kann sich ein Bild machen. Ich fürchte, es gibt letztendlich kein anderes Kriterium für die Auswahl der einen und die Abwahl der anderen als die Laune des Herausgebers. Und damit stellt sich die Frage, wie man-frau-maus ihn bei Laune hält.
Dass wir Veröffentlichungen in unseren Anthologien von Geld und Einkäufen der Autorinnen und Autoren abhängig machen, ist eine Mutmaßung des Herrn Kirsch, die nicht zutrifft.