vonkirschskommode 12.07.2022

Kirschs Kommode

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Tagebucheintrag vom 06.05.2018:
„Das richtige Gegenwort zu Gutmensch ist Miesmensch. Wider die Miesmenschen! – das lässt sich hören. Denn das Übellaunige, ewig Unzufriedene, sich zu kurz gekommen Wähnende klingt daran besser an als in Schlechtmensch. Schlechte Menschen sind (immer wieder) alle, auch die, die sich bemühen, gut zu sein. Aber Miesmensch, darin klingt Vorsatz an, einen schlechten Charakter haben zu wollen. Die AfD, die Partei der Miesmenschen.“

04.07.2022
Miesmensch heißt seit neuestem und wahrscheinlich nicht zum ersten Mal: Realist. Realist ist, wer Militär und Soldatentum befördert und verteidigt, Realist, wer Verzicht als patriotischen Widerstand preist, Realist auch, wer ganz offen rassistisch Geflüchtete nach Hautfarbe und kulturellem Hintergrund selektiert, die einen bewillkommt, die anderen misshandelt, schlägt (auch mal zu Tode), sie ertrinken, erfrieren oder verdursten lässt. Bei so viel politischem Vorsatz, aus Realismus keine falschen Rücksichten auf zartere Seelen oder Menschen mit weniger sicherem ökonomischen Stand zu nehmen, scheint eine Partei der zu kurz gekommenen Miesmenschen überflüssig geworden zu sein. Es gibt nur mehr Freund und Feind und keiner kommt zu kurz, der sich in dieser Einsicht dem demokratischen Europa in seiner vaterländischsten Ausprägung seit je anschließt; noch um den Kältetod des kauzigsten Wohnungslosen wird im nächsten Winter ein Ruhmesleuchten sein, sich für uns alle und unsere Freiheit geopfert zu haben, ein großer Glanz aus Innen.

Auf längere Sicht bin ich mir nicht sicher, ob die AfD ihren augenblicklichen Niedergang nicht doch überleben wird. Immerhin sind sie die einzigen, die eine halbwegs in sich stimmige Antwort auf alle Fragen haben, die sich aus der Erderwärmung, drastischer, dem Klimakollaps, ergeben könnten: Weitermachen wie bisher. Das liegt ganz auf der Linie aller anderen Parlamentsparteien, nur dass diese es nicht begründen können, die AfD aber schon. Die anderen Parteien müssen die ganze Zeit das Unmögliche möglich machen, CO2-neutral und nachhaltig Krieg führen zum Beispiel, wovon sie nur das „nachhaltig“ (das ja immerhin auch „lang andauernd“ bedeuten kann) hinbekommen dürften. Sie müssen für ausreichendes Wirtschaftswachstum zwei oder drei Planeten so verheizen, dass der einzig vorhandene, der Planet Erde, davon keinen weiteren ökologischen Schaden nimmt, müssen Verkehrs- und Agrarwenden, digitale Revolutionen, Bildungsoffensiven und Sozialpakete hinlegen, die nie zum Durchbruch führen können, weil das Geld immer bereits beim Militär ausgegeben ist, kurz, sie müssen stets herumeiern, den Mund furchtbar voll nehmen, klingende Ideale, Überzeugungen, Prinzipien und sonst was läuten lassen, was kreißende Berge an Wehengeschrei für die Geburt ihrer Mäuslein nötig haben könnten. Einzig die Partei der Miesmenschen ist hier in der Lage, sich zurückzulehnen und süffisant zu fragen, was die ganze Anstrengung und Aufregung denn solle, es sei doch alles gut, wie es sei.

Denn das ist es aus ihrer Perspektive: Die ökologische Krise ist in der Gedankenwelt der AfD einfach natürliche Auslese, der Gang der Evolution. Der anstrengungsbereite Nordmensch erobert sich die unwirtlichen, kälteren Regionen der Erde, macht sie bewohnbar, vervollkommnet an ihnen seine Fähigkeiten, wächst also an den Herausforderungen zu einer höheren Art des Menschen heran, zum homo technicus, entwickelt folglich Technik, erwärmt damit, wie zur Belohnung für sein Tun, seine feindlich kalte Umgebung, sodass er ab nun besser darin leben kann, und verbrennt damit gleichzeitig den Lebensraum derer, die als unterentwickelte Überbevölkerung in ihren tropischen Faulbreiten zurückgeblieben sind. Die ganze, angebliche Klimakatastrophe ist gar keine, sondern nichts als die logische Folge der Überlegenheit des weißen Mannes, ein durch und durch gerechtes, begrüßenswertes Ergebnis seines natürlichen Handelns.

Möglich, dass die AfD so miesmenschlich, wie ich sie hier beschreibe, noch gar nicht zu sein wagt. Aber die Verteilungskämpfe nehmen an Härte zu, die Mittel werden knapper. Das menschenfreundliche Auftreten der anderen Parteien ist allerdings nicht völlig umsonst zu haben, die unter Schmerzen geborenen Mäuslein der großen Berge haben trotz allem die Aufgabe, von den Elefanten im Raum, von den Dingen, die nicht erreicht werden können, abzulenken. Gar zu winzig, zu wenig agil, zu grau, zu leise piepsig und zu wenig niedlich knopfäugig (nach dem Gute-Kita-Gesetz) dürfen sie nicht sein. Also kosten sie. Und die Existenzberechtigung einer (proto-)faschistischen Partei ist nun mal die, dass sie immer wieder mit der Forderung auf den Tisch hauen kann, den ganzen teuren Quatsch, die Humanitätsduselei, das demokratische Brimborium, den Gender-Gaga und die anderen falschen Rücksichten, einschließlich der geschichtlichen, die Entwicklungshilfe und die Sozialausgaben für andere unnütze Fresser gefälligst zu lassen, um das so frei werdende Geld gezielt für Ordnungsaufgaben zu verwenden, wie ihre Partei und die mit ihr verbündeten Kräfte sie mit Vorliebe vornähmen. Außerdem natürlich für Bier, Straßenbau, Wirtschaftsförderung und Heimatschutz.

Dieser Standpunkt wird an Popularität gewinnen, je weniger Geld vorhanden ist und je dringender es wenigstens für das Nötigste benötigt würde. Und wie immer, exemplarisch zu sehen etwa an der Asylpolitik seit 2015, aber letztlich auch an der Coronapolitik, wird die Partei der Miesmenschen bei den anderen Parlamentsparteien offene Türen einrennen. Denn selbstverständlich ist es tatsächlich billiger, die Klimaflüchtlinge an den Grenzen Europas mit Gewehrsalven zum Verhungern in die Wüsten zurückzutreiben, anstatt Programme zur ihrer Integration im Inland aufzulegen. Billiger ist es auch, auf einen guten öffentlichen Verkehr zu verzichten und die Autos weiter fahren zu lassen, elektrisch meinethalben, aber nicht weniger zerstörerisch. Bei Sozial- und Kulturaufgaben kann jede Regierung immer sparen, für Bildung und Gesundheit ist jeder selbst zuständig, ein Recht, in der Stadt zu wohnen, existiert nicht, wer arbeiten will, findet auch Arbeit, und weil der zweite und der dritte Planet in der Anschaffung zu teuer kommen, die Wirtschaft aber wachsen muss, um überhaupt per Steuereinnahmen etwas finanzieren zu können, verheizt man, es ist alles Sachzwang und alternativlos, als einzig verfügbaren eben doch die Erde, verspricht ausgleichend Besserungen, sobald alles wieder besser würde, grämt sich manchmal menschelnd über die Last der Verantwortung in schwierigen Zeiten, mahnt jedoch Realismus an, hat ohnehin nie einen Rosengarten versprochen und macht in der Summe alles so, wie von der AfD verlangt, die selbst nichts weiter machen muss, als wieder und wieder Durchgreifen!  zu rufen, um Stimmen zu gewinnen. Denn dass es ein anderes Recht gäbe als das des Stärkeren, glaubt ohnehin bald niemand mehr, der die Politik beobachtet und ihre Ergebnisse wahrnimmt oder, schlimmer, ausbadet. Die Partei der Miesmenschen ist die Partei, die das Recht des Stärkeren, bis hin zum Recht des weißen Mannes auf die Klimakatastrophe für die Nicht-Weißen, ohne alberne Gefühlerei richtig und gut findet. Das und die erwiesene wie sich immer neu erweisende Unfähigkeit aller anderen, sogenannten demokratischen Parteien, die Schwächeren wirksam zu schützen, verschafft der AfD eine Zukunft. Sie befindet sich nicht auf dem absteigenden Ast.

Im Gegenteil, auch im parlamentarischen Rollenspiel bleibt sie noch geraume Weile unverzichtbar. Nicht nur, weil sie die anderen Parteien vor sich her, also zu genau der Politik treibt, die sie trotz und entgegen aller breit ausgestellten guten Vorsätze tatsächlich durchsetzen können, sondern auch aus einem zweiten Grund: Die AfDler unterstreichen als Miesmenschen, dass die übrigen, die demokratischen Politiker und Politikerinnen nicht mies, sondern voller guten Willens sind. Sie weisen den Weg zur Hölle, den die anderen geflissentlich pflastern. Bis sie irgendwann vielleicht nicht mehr modern genug sind, weil die wehrhafte Demokratie mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik viel mehr nicht-christliche, unkartoffelige, queersexuelle Soldat*innen und Führungskräfte braucht als bisher. Dann muss der Yoga-Sozialdarwinismus ran, die Basis zum Beispiel oder was aus ihr noch erwächst. Und das miesmenschlich kaltschnäuzige Pech gehabt!  für hunger- wie hitzetote wie sonstige Wettbewerbsverlierer heißt dann altehrwürdig weise Karma.

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