29.05.2024
Als ich ein junger Mann war, schauten die weisen Führer meines Landes auf das von ihnen in den letzten Jahrzehnten Geleistete und fanden die Volksgesundheit durch ihre Maßnahmen so gestärkt, dass sie es fürderhin ausschließen konnten, Menschen würden weiter an Karies oder Paradontose erkranken und könnten dritte Zähne gebrauchen. Und in der Tat glänzt seither lückenlos jeder Mund mit zwei Reihen tadelloser Zähne, alle Zahntechniker haben längst umgeschult und mit festem Biss beißen energisch noch die Hundertjährigen zu.
Jetzt, drei Jahrzehnte später, feiert die Republik dank ihrer weisen Regierungen wieder bahnbrechende Triumphe auf dem Gebiet der Volksgesundheit: Die Demenz ist besiegt! Denn wessen Biss fest bleibt, dessen geistige Fähigkeiten, zu begreifen und harte Nüsse zu knacken, bleiben ebenfalls intakt, nicht ein Gehirn bleibt mehr zahnlos. Wir sehen die Uralten ihr Leben mit Apps verwalten, Amtstermine online vereinbaren und Steuererklärungen erstellen, als hätten sie ihr Leben nie etwas anderes gemacht – jedes Behördenkauderwelsch und Digitalchinesisch mühelos in ihr Leben integrierend, up to date mit Chatbots plaudernd. Denn, ist ein Land gut verwaltet, wachsen mit den Anforderungen auch die Fähigkeiten. Und kein einziger Mensch vergreist mehr – von weisem Führungspersonal so weise an die Hand genommen und sanft zur Eigenverantwortung erzogen wie nur bei uns und hierzulande.
19.06.2024
Wenn also eine rassistische Partei in Deutschland eine der vielen Wahlen gewinnt, die sie gewöhnlich gewinnt, dann ist die selbstverständliche Folge, dass die größte, sich als demokratisch und nicht rassistisch verstehende Oppositionspartei, vertreten hier durch ihren Ex-Minister Spahn, der Regierung vorhält, sie habe Stimmen eingebüßt, weil sie bei verschiedenen Fragen wie der von Krieg und Frieden, dem Klimawandel oder den Migranten den Kontakt zur Bevölkerung verloren habe. Migranten stechen in dieser Aufzählung heraus, denn sie sind keine Themen, sondern Personen so wie Rothaarige oder Alleinerziehende. Aber sie werden in Herrn Spahns Aufzählung als Personen in eine Reihe von Problemen gestellt, sind also für Spahn als Personen ein Problem. Dass so etwas durchgeht, obwohl wortgewandte Leute um den Sprecher herumsitzen, die ihm doch hätten sagen können, dass nicht der Flüchtling als Person das Problem sei sondern zum Beispiel seine Unterbringung, ist erschreckend, zumal der bio-deutsche Alltagsverstand unter Migrant und Migrantin jeden versteht, der eine zu dunkel gefärbte Großmutter hat. Hast du das falsche Aussehen, bist du, sagt der Repräsentant der kommenden Regierungspartei im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, ein von der Regierung ungelöstes Problem. Weshalb die Rassisten die Wahlen gewinnen, und wenn sie dann zum Baseballschläger greifen, um das Problem aus der Welt zu schaffen, dann weil die Regierung das Problem – dich! – nicht angegangen ist und die Leute damit – mit dir! – alleine gelassen hat. Die kommenden Baseballschlägerjahre werden schlimmer als die zurückliegenden.
08.07.2024
Meine Anmerkungen zum Hilfesystem in Deutschland, konkret die im Wortsinn tödliche Überbürokratisierung bei Pflegeleistungen, empfand die damit konfrontierte alte Freundin meiner Mutter und pensionierte Familienrichterin höchst unangenehm und unpassend, aber eben doch sehr nach dem Motto „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. Die gutbürgerliche Welt hat nicht die geringste Ahnung, wie es wirklich zugeht, und will auch keine haben. Und dass ich es ihr gegenüber nicht höflich übergehen kann – in diese Unfähigkeit, in diesen Zwang, taktlos und ein Ruhestörer zu sein, hat sich mein Groll gegen mein Elternhaus verwandelt. Die Hilfebedürftigkeit der Hilflosen wird ignoriert oder bösartig in Zweifel gezogen; wer Hilfe haben will, muss zuerst leisten, über hingehaltene Stöckchen springen. Darin liegt freilich eine ganze Menge, was dem Verhalten meiner Eltern gegenüber ihren Kindern sehr ähnlich sieht, die darin typische Vertreter ihrer Generation waren. Es ist kein Wunder, dass es mich aufbringt.
Allerdings könnten unsere regierenden Siegreichen ihr perfides System der ungnädigen Leistungsbewilligung noch verfeinern. Auch Notfall- und Feuerwehreinsätze sind teuer und kosten Steuergelder. Weshalb muss derjenige, der im brennenden Haus sitzt, nicht erst beweisen, dass sein Haus in Flammen steht? Weshalb entkommt der Beweispflicht der, der einen Herzinfarkt erleidet? Hier ist noch viel Luft nach oben.
31.10.2024
Ich trete aus aus dem Verein! – Das ist ein altes, wiederkehrendes Motiv in meinen Gedanken, inneren Monologen, bei der Suche nach Formulierungen für das, was mich bewegt. Ich habe es bislang nicht geschafft, es produktiv zu machen. Es geht um den Wunsch, nach außen, gewissermaßen mit rechtlichen Konsequenzen, zu zeigen, dass ich nicht dazu gehöre, dass ich geschieden bin, dass die Verhältnisse irreparabel zerrüttet sind. Es ist der Gedanke, einen wütenden Brief an die Behörden oder das Innenministerium zu schreiben, man möge mir mitteilen, welche Schritte ich zu unternehmen habe, um von der Liste der Staatsbürger und Wahlberechtigten gestrichen zu werden, um Staatenloser zu werden, um von niemandem mehr zu denen da gerechnet werden zu können, zu den CDU+FDP+SPD+Grüne=AfD-Politikern mit ihrem Staat und Staatsgewese und ihrer erbarmungslosen Politik gegen Schwächere. Es geht um einen Akt geistiger Hygiene, um das Ablegen des Zeugnisses, dass ich, und wenn es sein muss als einziger, nicht einverstanden gewesen bin, dass ich widersprochen habe, nicht passiv geduldet und nichts durch Duldung ermöglicht habe von dem, was geschehen ist und geschieht.
Es geht leider nicht, zu dieser Bande gehört eins lebenslang dazu. Und es nährt die Wut ein zweites Mal, dass es nicht geht. Mich quält die fehlende Möglichkeit, Türen schlagend und für immer zu gehen.
06.05.2025
Ein Parteiverbot im Fall der AfD wäre allein wegen des vielen Geldes, das den rechten Schlägern und den Strukturen drum herum dann fehlen würde, begrüßenswert. Aber man darf darüber den Gegner in seiner Gesamtheit nicht aus dem Blick verlieren: Die AfD radikalisiert den Sozialdarwinismus und Sündenbock-Rassismus der Parteien der Mitte sicherlich noch einmal, doch war und ist es die Politik dieser Parteien auf dem Rücken der Schwachen und Verwundbaren, die der AfD überhaupt erst den Boden bereitet hat und weiter bereitet. Nach unten treten sie alle, von grün bis schwarz, und solange sie das tun, befördern sie die extreme Rechte.
Das zweite, was Linke bei einem Parteienverbot lieber nicht vergessen sollten: Der Verfassungsschutz hat auch sie im Blick. Ihm reicht als Beweis für Verfassungsfeindlichkeit bereits aus, dass jemand Wörter wie Kapitalismus, Profitmaximierung oder Klassengesellschaft verwendet. Linke, die sich nicht ausdrücklich zum privaten Eigentum an Produktionsmitteln und zur Marktwirtschaft bekennen oder denen es, zum Beispiel aus Sorge um den Frieden oder die Bewohnbarkeit des Planeten, um grundsätzliche Änderungen am Wirtschaftssystem geht, sind, nach allem, was man hört und liest, in den Augen der Behörden gefährliche Extremisten. Vielleicht dient ein Verbot der AfD nur der Vorbereitung dazu, in einem nächsten Schritt sich gegen links zu wenden und jegliches antikapitalistische Engagement zu illegalisieren.