11.04.2017
Viele Lyrik-Wettbewerbe, die meisten, wenn nicht fast alle, sind für mich recht ungeeignet. Der Dresdener, weil er die Einsendungen ins Tschechische oder Deutsche übersetzen lässt und von zwei Jurys, einer deutsch- und einer tschechischsprachigen, bewerten – was ja eine durchaus sehr nette Idee für eine Grenzstadt zu Tschechien ist, aber rhythmisch ungebundenen, nicht gereimten Texten deutlich mehr Chancen verschafft, sich durchzusetzen. Für den ebenfalls ausgeschriebenen Preis für politische Lyrik hatte ich mich schon einmal beworben. Der Ausschreibende, ein „Stifter“, schreibt selbst und, in meinen Augen, nicht gut, etwas, was auch beim Wettbewerb für heitere Lyrik, Wachberger Kugel, gilt. Nun möchte der Herr Stifter Gedichte zum Thema Europa, möglichst, wie er durchblicken lässt, in Verteidigung des ach-so-tollen europäischen Projekts. Was soll mir aber zu diesem Barbarenhaufen – der seine Einrichtungen auf den Landzipfeln im Westen Asiens für das Wichtigste und Beste hält, das die Menschheit je hervorgebracht hat – denn einfallen? Die Essenz Europas, das sind vielleicht die Kreuzzüge oder Belgisch-Kongo; vom spezifisch deutschen Beitrag zur Entwicklung vollkommener Humanität ganz zu schweigen. Ich muss ja das Positive, das sich in Europa entwickelt hat, nicht übersehen, tritt es aber als „europäische Werte“ besungen irgendwo auf, dann dient es vor allem der Bemäntelung einer barbarischen Kultur und Geschichte.
Asien hat links auf der Karte viel Zipfel,
es ragt dort unordentlich Land ins Meer.
Steht rechts vom Meer ein höherer Gipfel,
dann nässts an dem von Westen her.
Man weiß nicht, was das Wetter macht,
man weiß nicht, was die Lage,
die Bewohner dieser Zipfelschlacht,
sie wurden der Welt zur Plage.
Aber das ist alles zu gemütlich, dem Schrecken unangemessen.
Bei Heine heißt es kurz und bündig:
Ja, Europa ist erlegen,
Wer kann Ochsen widerstehen?
Aus den Zipfeln, von denen eine Plage ausging, aus dem Mythos von Europa und Zeus, aus einem fiktiven Verbot den Namen Europa jemals wieder zu erwähnen, dieser Plagen wegen – daraus ließe sich vielleicht etwas machen: eine Mitteilung, ein Eintrag ins Stammbuch einer fernen Zukunft oder so etwas. Gegen Flüchtlingsgedichte verwahrt sich der Ausschreiber ausdrücklich. Bis zum 1. September ist noch Zeit.
12.04.2017
Vielleicht ist das Beste, das je zum europäischen Geist geschrieben wurde, Heines Sklavenschiff:
Um Christi willen, verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.
Verschone ihr Leben um Christi willn,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben.
Gestern reimte ich meiner Frau noch dieses:
Es möchte in Berlin ein Opa
ein Preisgedicht auf Frau Europa.
Genauer: aufs Stück Kontinent,
das sich mit diesem Namen nennt.
Kein Rindvieh bin ich, bin zu alt,
Frau Kontinent lässt mich ganz kalt.
Wär ich der Stier mit Götterlocken,
zu dir ins Gras würd ich mich hocken.
Denn wenn wir beide schwimmen gehn,
nichts Böses wird daraus entstehn.
Ein Kontinent mit deinem Namen
blieb friedlich schön. Für immer. Amen.
gez. dein Badezeus
02.08.2017
Aus der Ausschreibung: „Noch ein Hinweis. Das Thema Europa ist weit zu verstehen. Aber nicht jedes Gedicht über das Schicksal der Flüchtlinge vom Mittelmeer oder zum Weltfrieden ist schon ein Gedicht zu Europa. Es geht um den Zusammenschluss der europäischen Staaten und Völker, um das, was dieser Zusammenschluss sein kann, sein sollte oder auch nicht zu sein vermag. Die Dotierung des Preises für Politische Lyrik 2017 beträgt, wie in den Vorjahren, 1000, 500 und 250 €. Jörn Sack, Stifter“
Noch ein Hinweis, Jörn Sack, Stifter:
Weit verstanden Ihren Satz
zu Europa, Ihrem Schatz,
sind Sie wirklich sicher, trifft er
irgendwas Vorhandenes?
Ein Zusammenschluss von Staaten
bürgerlicher Demokraten?
Kann sein? Sollte sein? Wenn es
auch zuweilen… ? Dahingegen
ein Gedicht zum Flüchtlingstod,
zu den Kriegen, ihrer Not
sei thematisch oft entlegen?
Das ist putzig! Die Essenz
von Europa liegt darinnen:
Immer Ideale spinnen,
aber in der Konsequenz
dürfen diese niemals stören,
nicht das schmutzigste Geschäft.
Wenn ein Underdog was kläfft,
weshalb sollte man ihn hören?
Heinrich Heines Sklavenschiff
schildert es uns in Vollendung:
Blutprofit samt frommer Wendung
ist Europas Inbegriff.
07.02.2014
Assoziationen zu einem vorgegebenen Thema: „Norden“
Der Polarstern
Manches Kind schon kennt das Sternbild,
kann am Himmel es entdecken,
einem Bollerwagen gleicht es,
krumm steht seine Dreisterndeichsel.
Eine Bärin sahn die Alten
(manche freilich einen Schinken)
und im fernen Mexiko
wars ein Mann, dem ein Bein fehlte.
Dieser trat zur Zeit der Stürme
in das Sichtfeld der Indianer:
Huracán, der Gott des Feuers,
Weltenschöpfer, Sinflutbringer,
wie sein grimmiger Verwandter,
unser eigner lieber Gott. Doch
einen Sarg, gefolgt von Frauen,
sahn im Sternbild die Araber.
Solche finstere Verknüpfung
passt indes zu jenem Wissen,
das wir aus der Schule haben:
Wie man den Polarstern findet.
Nämlich, an der Außenkante
rechts des Sargs hinauf zu ziehen
eine unsichtbare Linie
bis zum Deichselknauf des andern,
Kleiner Wagen oft genannten,
ebenfalls bekannten Sternbilds.
Der Polarstern. Ganz im Norden
steht er fest an seiner Stelle.
Und es scheint, dass unser Himmel,
samt der Erde untendrunter,
ihn umkreist: Er ist die Achse
des gesamten Weltgeschehens.
Denn er ist der Stern der Hoffnung;
ängstlich blickt die Bootsbesatzung
kleiner Kähne auf den Meeren,
auf ihn, ihren Richtungsgeber.
Bis Soldaten sie vertreiben,
Grenzpatrouillien ihre Boote
südwärts schieben, kentern lassen,
bis die Wellen sie verschlingen.
Ja, wie klug hat sich Europa
ausgedacht, dass unsre Erde
rund und Norden oben ist:
Folgt nur alle dem Polarstern!
Folgt dem Sarg nach, folgt der Linie,
überkrabbelt den Äquator,
krallt ans Leben, krabbelt weiter,
krallt euch an den Globus fest.
Bis ihr nicht ganz oben seid,
habt ihr keinen festen Stand.
Und mit einem kleinen Schubs nur
fallt ihr rückwärts fort ins Nichts.
Denn mit Grund rund ist die Erde,
nur wer oben sitzt, sitzt sicher.
Über allem der Polarstern,
unerreichbar, still und kalt.