Ich habe etwas erfunden und hier, in diesem Blog, auch schon manchmal etwas davon vorgezeigt: das Märchen in vier Zeilen. Ich habe seit vorletztem Jahr an die achtzig Stück verfertigt und bin sicher noch lange nicht am Ende.
Außerdem habe ich meine Märchen verschiedentlich verschiedenen Menschen angepriesen – in der Hoffnung auf Nachahmer und Nachahmerinnen. Denn es ist eine sportliche kleine Form, die zum Wettkampf und gemeinsamen Spiel einlädt – nun, die Angeschriebenen hatten Anderes und Wichtigeres zu tun, ich kann es ihnen nicht verübeln.
Alle Märchen in vier Zeilen fußen auf dem bekannten Kinderreim „Es war einmal ein Mann, / der hatte einen Schwamm.“ (bei James Krüss: „ … / der hatte einen Zahn.“). Aber während es in der Urfassung darum geht, möglichst viele neue Zweizeiler anzufügen, um eine möglichst lange Geschichte darüber erzählen zu können, was dem Mann missfällt und wohin er ausweicht, habe ich mich bei den Märchen für das Gegenteil entschieden: Sind Protagonist und der Reim auf ihn einmal benannt, soll die Geschichte in zwei weiteren knappen Versen auch schon wieder fertig sein. 24 bis 28 Silben verteilt auf vier Zeilen, mehr Raum kann es nicht geben, das macht für mich den Reiz aus.
In vielen Fällen ergibt sich das erste Reimpaar wie von selbst: Laken / Haken. In anderen muss ich es suchen oder geradezu ertricksen: Walross / Stahl goss. Aber immer ist das erste Reimpaar Schicksal, eine Lage, die ohne jeden Umweg zu einer Konsequenz führt. Ein Limerick ist gegen ein Märchen in vier Zeilen oft regelrecht ausschweifend. Doch wie beim Limerick gilt, wer die Regeln beachtet, wird, etwas Übung und Fantasie vorausgesetzt, leicht eigene Beispiele hinzufügen können. „Es war einmal ein …“ , „Es war mal eine …“ ist der Anfang, mit dem ich mich im Zimmer umschaue, um etwas einzufangen und einzureimen. Der gleichbleibende, feste Grundrhythmus erleichtert es, die starre Anfangsformel immer wieder einmal zu verlassen, um bei Bedarf in der ersten Zeile mit ein oder zwei Wörtern schon etwas mehr zu erzählen.
Probieren Sie es aus! Die ersten beiden Zeilen finden sich leicht, die zweiten zwei meistens etwas schwerer. Sie bauen sich mit dem ersten Zeilenpaar eine Hürde, die Sie mit dem zweiten möglichst elegant überwinden: eine Schule der Zuspitzung und somit eine gute Übung. Eine Handvoll Beispiele dürfte zum Vorbild genügen.
Es war mal ein Kamel,
das trank nur auf Befehl.
Es starb, das durstgeplagte,
als niemand ihm was sagte.
*
Da war ein Elefant
von riesigem Verstand.
Vor andern tat er dumm.
Er wusste schon, warum.
*
Da wurde ein Kalender
ab März zum Zeitverschwender.
Er trödelte bis Mai,
dann war das Jahr vorbei.
*
Es sagte eine Vase:
Ab jetzt leb ich als Hase!
Sie hat das Hakenschlagen
zwei, dreimal auch vertragen.
*
Es war sich eine Brezel
schon lang ein großes Rätsel.
Worum war sie ein Knoten?
Es schien ihr fast verboten.
*