vonkirschskommode 16.01.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

Was bisher geschah: Wenn es eine Nebengeschichte in Keine Kunst gibt, dann die: Kommissar Wengath und seine Kollegin Marcks verlieben sich ineinander. Nach einem gemeinsamen Theaterbesuch auf der Spur der Affenkostüme der S.A.F. – eine militante Gruppe, die Gräber alter Nazis in die Luft jagt – kommt es endlich zum ersten Kuss. Gefolgt von einer ganzen Reihe weiterer, wie man dem Fortgang der Geschichte  entnehmen konnte. Als Wengath weiter das Umfeld des auf dem gesprengten Grab von Ludwig Erhard tot gefundenen Polizisten Dellmann untersucht und dafür mit einem Kontaktbereichsbeamten spricht, was der über Dellmanns afrikansichen Schwiegersohn weiß, muss er sich sehr konzentrieren, um an etwas anderes als die zurückliegende Nacht zu denken. Aber die Mitteilungen des KOBs ernüchtern Wengath schnell und vollständig. Und eher abgeschlagen und verstimmt befindet er sich nun auf dem Weg zu den den Dellmann-Nwgabes.

Der Kommissar kam in der Dämmerung, den Titel gab es bestimmt längst. Mühsam stapfte er die Treppen nach oben zur Wohnung der Dellmann-Nwgabes. Titelmachen war wahrscheinlich keine Kunst, Trübe Tage, schwere Schritte, die vielen Stufen jedenfalls waren anstrengender. Doch wie eine Dämmerung hieß, die, Himmelabwärts verbleit, bis jetzt halb elf am Vormittag dauerte, ob das mal in einem Buchtitel aufgegriffen würde? Wenigstens für eine Gedichtsammlung? João Nwgabe und Monika Dellmann hatten weniger unter Kontrollen zu leiden gehabt als ihre Nachbarn in der Dunckerstraße, Dubbke hatte es durchblicken lassen: Der alte Schießhund Dellmann hatte sich für seinen Schwiegersohn verwandt. Aber, Werd nicht weich, Bulle, im ganzen Haus von ihm und seiner Frau hatte es nicht ein Foto der Tochter gegeben. Na, er würde sie gleich sehen, Noch mehr Blondes! Oder den Titel bessa nich? Denken die Leute bei Blondes nicht eher an Bier? Doch da stand sie schon vor ihm an der Tür. Und so üppig blond wie ihre Frau Mamma war sie ohnehin nicht.
Guten Morgen, Frau Dellmann. Ich bin Herr Wengath von der Kriminalpolizei.
Sie war im Bademantel, barfuß, deckte verlegen den einen Fuß mit dem anderen zu, krümmte die kleinen Zehenwürmer zusammen, grübelte mit ihnen in der Schwelle: Lausig kalt im Treppenhaus. (Wars aber auch!):
Gott! Sie hab ich ganz vergessen. Mir war so komisch.
Ich kann nachher wiederkommen, wenn es jetzt nicht passt.
Sie schüttelte heftig den dünnen strähnigen Haarschopf:
Ich fühl mich nur so derangiert. Gehen wir in die Küche, wenn es Ihnen nichts ausmacht.
Der Bulle und die nackte Frau: War, nebenbei, auch ein mythologischer Klassiker. Nämlich der, in dem erzählt wird, wie ein paar westasiatische Landzipfel zu ihrem Namen kamen, auf den ihre Bewohner sich später so mächtig viel einbilden sollten. Aber ob er das Erfinden von möglichen Romantiteln nicht lieber sein liesse? Am Ende wurden diese Titel alle zu Wengath-Titeln und er müsste in Serie gehen. Dafür war er wahrhaftig zu müde. Zudem jetzt. Monika Dellmanns Küche war überheizt und sie hatte ihn in einen Korbstuhl gesetzt, mit hoher Lehne und hinlänglich bequem, um sofort traumlos die Augen zu schließen: Warum ging sie nicht duschen? Oder kam sie da gerade her? Ging sich anziehen, schminken, kämmen und weckte ihn in einer halben Stunde wieder auf, zum Beispiel wenn sie Brötchen gekauft hatte? Und einen besseren Kaffee als den in der Wache würde er auch nicht ablehnen. Aber sie kauerte auf einem Stuhl und zitterte: Aufgerissene graue Augen über einem Bottich mit Kamillentee, den blauen Bademantelstoff über die an den nackten Körper gezogenen Beine gespannt. Das Zittern lief in Schüben über sie hin, sprang Wengath jedes Mal an, wenn es sich im spitzen Dreieck Haut zeigte, das die übereinander geschlagenen Lagen des Bademantels unterhalb des Halses sehen ließ:
Wollen Sie nicht erst mal in Ruhe zu Ende aufstehen?
Aschblondes Gezippel hin und her:
Ich geh danach gleich wieder ins Bett.
Und kroch schon mal mit schmal zusammen genommenen Schultern weiter in den Teebottich hinein. Schaute er also am Besten gar nicht weiter hin auf das kaum verhüllte junge Geknoch: Das Notizbuch auf den verkrümelten Tisch platziert, da hatte er was zum Raufstarren:
Sie haben sich mit Ihrem Vater gut verstanden?
Etliche halbe Minuten verstrichen, bevor sie in den Tee murmelte:
Es war alles sehr schwierig.
Alle Personen, die mit Ihrem Vater vor seinem Tod zu tun hatten, sagen, er wäre sehr bedrückt gewesen. Haben Sie eine Idee, weshalb?
Er linste kurz über das Notizbuch zu ihr hinüber: Sie schloss die Augen, der Mund bog sich nach unten um, das ganze Gesicht zerfiel in Wülste und Falten. Doch sie hielt die Unterlippe mit den Zähnen fest und schluckte die Weingrimasse wieder ein:
Ich will darüber nicht reden. Es geht doch niemanden was an!
Wengath zog seinen in den Stuhl gesackten Oberkörper wieder nach vorne:
Ich ermittele eigentlich wegen Sachbeschädigung an Gräbern. Die Täter arbeiten sehr sauber, alles immer exzellent geplant. Sie müssen intelligente Leute sein, belesen, studiert, wie viele Terroristen. Aber nach allem, was wir wissen, passt für sie weder das Profil von Psychopathen noch das von Fanatikern. Sie haben zu viel schwarzen Humor dazu, das Ganze hatte bis zum Tod Ihres Vaters eher Häppening-Charakter.
Sie drückte den warmen Bottich fest gegen das Stück unbedeckte Haut im Ausschnitt, tunkte die Nase in den Kamillendampf:
Warum erzählen Sie mir das?
Ich weiß nicht, wie Ihr Vater auf das Grab von Ludwig Erhard kam, was hatte er mit den Grabsprengern zu tun? Ich sehe da überhaupt keinen Zusammenhang. Die Geschichte ist absolut undurchsichtig.
Sie versenkte langsam den Teebottich tiefer in ihren Ausschnitt, vermutlich um ihn mit den Oberschenkeln an die Rippen zu drücken als eine Art Bademantel-Zentralhei­zung. Was für ein freudloses Geschäft, sie mit Fragen zu bombardieren:
Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Vater zu der Bande gehörte?
Der? Nee.
Na, war die Frage wohl absurd genug gewesen, um mal eine spontane Reaktion zu bekommen. Sie legte sogar mit einer Gegenfrage nach:
Die sind doch anti-Nazi, oder?
Und ihr Vater nicht?
Da vergrub sie wieder das Geicht zwischen den aufgestellten Knien:
Ich will darüber nicht reden!
Also gut, Themenwechsel. Er perforierte die Seite seines Notizblocks mit der Schreiberspitze: Was appellierte sie denn da eigentlich rum und woran? Kaum bemäntelt zitternackt, immer kurz vorm Weinen, der zuständige Beschützer aufm Flughafen, soone internassionale Lienje braucht auch maaln Schwaazn weejent Weltstadtimäätsch: Sollte er sie jetzt ins Bettchen bringen? Und er sah noch einmal hin: Auf die nur halb vom Bademantelfrottee bedeckte Beinkeule, milchlammzart bis unten in den Schamhaarschatten: Hmhm. Aha. Ja, so. Oder lag das nur an ihm, dass er mit zerbrechlich hilflosen Frauen nun mal nichts anzufangen wusste und sofort auf kinderlieb schaltete, wenn er eine sah? Naja, warum auch nicht? Seid nett zu den Halbwaisen:
Es hat sie viel Kraft gekostet, bis Ihr Vater Ihren Mann halbwegs akzeptiert hat, nicht wahr?
Und nickwiegte auch noch mit dem Kopf, schwer und verständnisinnig. Sie schniefte dankbar, zog die rote Nase aus der Knieversenkung. Musste er gleich mit der nächsten Frage nachstreicheln, bevor sie wieder abtauchte:
Aber sie haben sehr aneinander gehangen, habe ich den Eindruck. Mehr, Sie waren sein Ein- und Alles.
Jetzt zerflossen ihr die unteren Augenränder: Der Schimmer nassen Dämmerlichts rann ihr auf die Wangen. Er war auf dem richtigen Weg:
Und er war Ihr lieber Pappa.
Aber: Große Pausen machen nicht vergessen! Damit alles auch schön nachdenklich wirkte:
Dann haben nicht nur Sie, sondern auch er mit großen inneren Widersprüchen zu leben gehabt. Ein liebender Vater, der sich um seine Tochter bemüht. Und auf der anderen Seite der Waffennarr, mit Hunderten von Pistolen an der Wand. Ich weiß nicht, ob das meine Antipathie gegen Pistolen ist, aber ich bekomme die beiden Seiten nur mit äußerster Schwierigkeit zusammengedacht.
Eine Schwierigkeit so groß, wie 1 und 1 zusammenzuzählen, es hatten Leute schon morgens Frauen und Kinder zerhackt und sich mittags ganz dem Dutzi-Dutzi mit der eigenen Brut hingegeben, anscheinend gehörte wirklich nicht viel dazu. Aber sie war so weit angetröstet, dass sie ins Staunen kam:
Meine Mutter hat Ihnen das Pistolenzimmer gezeigt?
Nein, der Dackel. Ihre Mutter war ihm sehr böse deswegen.
Sie lächelte feuchten Auges aus ihrer Bademantelburg ob der Nachrichten vom verräterischen Wuffi. Schob die Nase wieder in die Scharte der Kniewehr und blickte etwas neugieriger zu ihm herüber. Erzählte er ihr also mehr:
Es gibt natürlich viele Polizisten, die Waffen sammeln, so wie Fotografen Kameras. Vielleicht war diese martialische Seite an ihm also eher oberflächlich, berufsbedingt. Obwohl die Kreise, in denen Waffen gesammelt werden, sonst meist nicht aus angenehmen Leute bestehen.
Sie schnaubte sofort:
Widerlich!
Sie kennen das Ambiente ein wenig?
Sie rührte selbstvergessen mit dem Finger im Tee herum (endlich flutschte es!):
Naja, kennen. Als Kind hat er mich manchmal mitgenommen. Dann schossen die da und ich starb fast vor Angst, ich kann das bis heute nicht haben, Knallen. Ich erinnere mich auch, wie sie lauter Hammelkeulen, Schweinehälften und so was gekauft hatten und da reinschossen, um zu sehen, wie tief die Kugeln einschlugen und wie es aussah, wenn man sie angefeilt hatte. Das hielten sie mir dann unter die Nase. Es war alles eklig.
Aber später ist er nicht mehr hingegangen?
Doch, soweit ich weiß, bis zum Schluss. Jeden Dienstag.
Und Sie könnten den Schießklub noch ausfindig machen?
Sie bugsierte sogar den Teebottich aus dem Bademantel auf den Tisch:
Das war früher irgendwo am Stölpchensee, schicke Villa. Aber wie die Mauer unten war, sind die in den Osten, um im Freien schießen zu können. Keine Ahnung, wo. Ich hab mich geweigert mitzufahren, als ich so fuffzehn war.

Du, Dänni, der war richtich schräg.
Schwittmann musste sich mindestens in einen Spionage-Thriller versetzt fühlen, so aufgeregt keuchte es aus dem Telefonhörer in Wengaths Ohr:
Der hat nur die Nummer hinterlassen. Da sollst dreimal klingeln lassen, dann auflegen, noch mal anrufen und zweimal klingeln lassen. Dann geht er los, setzt sich in das Bellwüh und liest Ellpah-ihs. Also, was Ellpah-ihs ist, habe ich nicht herausgefunden. Die von der Wache meinten, es gebe einen Puff Ell para ih-so und vielleicht hätts damit zu tun. Das Telefon ist ein Funktelefon, so eins mit ner Karte, was du ohne Vertrag kriegst, ist also ein Akt, herauszubekommen, wer das Ding benutzt. Aber das Bellwüh ist ein Café Nähe S-Bahn Bellevue, macht um fünfzehn Uhr auf. Soll ich da hingehen, Chef?
Halb eins war es jetzt. Unerlaubterweise zu Hause eine Stunde schlafen und dann ins Café, das war genau der Arbeitstag, den er heute brauchte:
Ich gehe selbst. Danke, Micha.
Wenn er jemals heil aus der Telefonzelle herauskäme. Denn draußen im strömenden Regen stand ein wartender Mann, sprang jedes Mal herbei, wenn keine Passanten in der Nähe waren, rüttelte an der Tür:
Ich reiß dir die Eier ab!
Bist du in Schwierigkeiten?
Jetzt hatte Schwittmann auch was aufgeschnappt, hatte ums Café gebracht mal fünf Sekunden den Schnabel gehalten. Beleidigt. Schnell abhängen:
Nee, da will nur einer in die Zelle rein.
Und die Tür mit beiden Händen festhalten. Die Nässe stand senkrecht auf dem Pflaster: Nämlich winzige Spazierstöcke aus Wasser, bei jedem nen Troddelkranz von Tropfen unten drum. Hundehaufen suppten ins Breite, Pfützen flossen ineinander. Kein Mensch war mehr auf der Straße. Nur der vor der Zelle:
Komm raus, Wichser!
Gehen Sie nach Hause, Herr Nwgabe, Ihre Frau braucht Sie!
Wieso war ihm eingefallen, in die Telefonzelle zu gehen? Weil verabredet war, dass er Schwittmann anriefe. Und warum war er nicht stattdessen in die Straßenbahn gesprungen? Weil er mit dem Auto gekommen war. Mit 53 bestand einer wohl nur noch aus Inflexibilität. Aber er hätte mal lieber mit seiner gesamten Inflexibilität darauf bestehen sollen, dass Frau Dellmann-Nwgabe sich der Vernehmung anständig gekleidet unterzog. Das hatte er versäumt und so war es gekommen, wie es kommen musste.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/keine-kunst-15/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert