vonkirschskommode 06.02.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

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Was bisher geschah: Das Undenkbare ist geschehen, die S.A.F. hat das Grab von Hanns Martin Schleyer in die Luft gesprengt. Aber Kriminalkommissar Wengath macht in Karlsruhe beim BKA keine schlechte Figur, als dort in einer Krisensitzung weitere Maßnahmen gegen den Terror der S.A.F. abgesprochen werden: Er weiß inzwischen, woher die Bande ihre Affenkostüme und woher sie ihre Informationen über ihre Anschlagsziele bezogen haben. Wirksamer Objektschutz ist daher möglich, die Schlinge um die Attentäter ist platziert. Nach diesem Tag sitzt Wengath noch lange in der Dienststelle und studiert die neun äußerst merkwürdigen Bekennerschreiben der S.A.F.  Sie behauptet im letzten, mit dem Mord an dem Polizisten Dellmann nichts zu tun zu haben. Aber nicht das ist es, was Wengath bei der Lektüre verwundert. Warum, fragt er sich, treibt diese Gruppe unverdrossen immer weiter solchen Aufwand, obwohl das erhoffte Echo auf ihre Aktionen schlicht und ergreifend ausbleibt. Ob sie das alles nur für ihren Herrgott machten?

Wengath schob die Kopien der Bekennerschreiben beiseite. Schleyers Schädel war entgegen der Absichten der S.A.F. in der Erde steckengeblieben, sie hatten diesmal die Mine schlecht platziert und nur die Grabplatte beschädigt. Aber auch darauf schien es nicht wirklich anzukommen: Das eigentliche Fanal war das Schreiben selbst, die Explosion auf dem Grab brachte es zur Welt, markierte Erscheinungsort- und Anlass, zu mehr diente sie nicht. Die Saff war eine kriminelle Vereinigung zur Herstellung und Hinterlegung antifaschistischer Schriften. Konnte es eine umständlichere Art geben, sich und sein Anliegen seiner Mitwelt mitzuteilen? Wem fiel dergleichen ein? Wengath zog das Telefon an sich heran, wählte eine Nummer. Es dauerte nicht lange, da hatte er sich durchgefragt:
Inspizienz, Speichert.
Ja, hier Wengath von der Kriminalpolizei. Sie erinnern sich sicher, wir waren vorgestern bei Ihnen, Lene Marcks und ich, wegen der Affenkostüme.
Sie müssen mich ja wirklich der allerschlimmsten Dinge verdächtigen, dass Sie mich mitten in der Vorstellung anrufen.
Ich verdächtige grundsätzlich alle und jeden, Herr Speichert, dafür werde ich bezahlt. Aber im Moment geht es mir um etwas Anderes. Kann man Sie lesen?
Lesen?
Sie haben uns doch erzählt, dass Sie Komödien schreiben. Ich interessiere mich für Komödien und im Theater spielen die eher das Telefonbuch als Komödien.
Ein außerberufliches Interesse?
Wenn Sie so wollen.
Speichert schwieg ein paar Sekunden, Wengath meinte das Schaltpult, leises Klicken beim Entzünden und Verlöschen der Kontrollampen zu hören, auch gedämpft die Brandung von der Bühne hoch, Balu Balu Balu, Take up the White Man´s burden und Lachsalven des königlich amüsierten Publikums:
Nun?
Naja, weil Sien Freund sind von Lene. Wenn Sie sich unbedingt unglücklich machen wollen, bezahlen Sie mir den Fahrradboten, dann haben Sie in einer halben Stunde alle sechzehn Komödien, die ich je geschrieben habe.

Bevor er aufbrach, schrieb Wengath noch schnell eine Notiz für Schwittmann. Dellmann vorladen, in Klammern Ingeborg, nicht Monika und legte die schon vorhandenen Vernehmungsprotokolle von Mutter und Tochter gleich mit dazu. Am Dienstag schoss der Bulle scharf  lautete der Titel von Monikas Geschichte, die merkwürdigerweise bei ihrer Mutter nicht aufgetaucht war. Dem könnte Schwittmann ein wenig nachgehen, bis er, Wengath, morgen Vormittag wieder im Büro auftauchen würde: Hastema gehört, wer von uns alles schießen geht, nein, niemand speziell von der Kripo, mehr bei euch. Ach, so viele, issjaanding. Muss da aber was ganz Besonderes geben, draußen, erst Wannsee, jetzt Brandenburg, jaja, dienstags, na, dann ruf ich den doch an, ich danke dir, mein Schatz. Ein richtig schöner Telefonjob, es würde keinen halben Vormittag dauern und Schwittmann wäre über alles Wissenswerte bestens informiert.
Draußen vor dem Dienstgebäude verschwamm ein violetter Streifen im Nebel, sonst floss nur dick gelbes Gaslicht um die Laternen. Es war gar nicht mal so sehr zu kalt, nur nass. Aber halt! So violett fluoreszierend leuchteten nur die Westen des Frauen-Fahrradkurierdienstes. Waren sie also schon da. Gewesen. Denn Frau Lila war ja längst wieder um die Ecke. Da winkte ihm auch der Pförtner zu, das Päckchen in der Hand. Wengath machte auf der Schwelle kehrt, um es sich anzusehen.
Hat schon wieder 29 Mark dreißig gemacht, Herr Wengath, und Wechselgeld hamm die natürlich grundsätzlich nicht.
Er nickte dem Pförtner begütigend zu, issa gut, alter Stinkstiefel, mach sitz, bistn Braver. Aber das Paket mitnehmen? Speicherts sechzehn Komödien ergaben einen etwa dreihundert Blatt starken Papierstoß, DIN A4, schwer wie ein Ziegelstein das Ganze. Aber der Pförtner schaute so auffordernd, befrei mich bloß von deim Kram, dass Wengath die sechzehn Hefte in seinen Aktenkoffer versenkte.
Er ging zu Fuß durch die Nebenstraßen, die sechzehn Komödien am schmerzhaft langgezogenen Arm. Die Sekur Services besaßen neuerdings zwei rotschwarz glänzende Glaskästen ganz in der Nähe der Dienststelle, Ecke Hauptstraße, dort wo vorher – Bleib sauber, Berlin! – auf beiden Seiten der Straße ein heruntergekommener Sozialbau gestanden hatte, mit einer drei Stockwerk hohen Brücke verbunden, berühmt, außer seiner kahlen Speckfleckigkeit wegen, auch wegen des alten Bunkers, an den er herangebaut war. Sekur hatte den ganzen Komplex gesprengt. Bis auf den Bunker, der zum Rechenzentrum ausgebaut worden war. Und statt der Brücke hatte Sekur einen Tunnel gebaut, um die beiden Gebäudehälften zu verbinden. Den Tunnel hatten sie mit ebenfalls rotschwarz schimmernden Panzerglas abdecken lassen, stark genug, um dem gesamten Verkehr standzuhalten, der drüber hinwegging. Im Tunnel selbst zischten die drei Kabinen des einzigen Berliner Aufzuges hin und her, der ein U, also abwärts, quer und wieder hochfahren konnte. Galt als technische Meisterleistung, hatte wohl auch etliche Preise bekommen, naja, mehr Schotter als bei der Kripo steckte bei Sekur wohl dahinter.
An ein paar Imbissen blieb er kurz und unentschlossen stehen, Döner, Giros, Falaffel, Kalbswurstbraten, Schweinebauchbraten, Kichererbsmusbraten, immer mit Salat. Nebelung hatte vorgeschlagen, noch essen zu gehen, als sie wieder in Tegel gelandet waren. Eine Art Schulterklopfen das, weil die Berliner Ermittlungsbehörden schließlich in Karlsruhe und alle Achtung. Aber Wengath konnte den Termin vorschieben, den er für den späten Abend mit dem Wachmann von Sekur ausgemacht hatte, der Dr. Siechner im Klinikum an seinem Schreibtisch gefunden haben wollte. Der Kollege habe Schichtdienst, hatte es bei Sekur geheißen, aber unmittelbar vor seinem Nachteinsatz, wenn es ihm, Wengath, nichts ausmache, ließe sich was einrichten, nur leider nicht vor einundzwanzig Uhr dreißig. Nebelung hatte ihn fast mitleidig angesehen:
Sparen Sie sich das doch, Herr Wengath, das kann einfach nichts bringen.
Mag sein. Aber Dellmanns Tod müssen wir aufklären. Und Dr. Siechners merkwürdiges Verhalten an jenem Abend steht eindeutig im Zusammenhang mit dem Autopsiebericht zu Dellmann.
Oder mit seiner chronischen Überarbeitung, Herr Wengath.
Mag sein. Und ich will es wissen.

Ein Pfannekuchen, die Welt war eine runde Sache. Voller zufriedener Dicker. Der Mann von Sekur grinste verbindlich aus seiner Uniform, hinter ihm glänzte pfannenschwarz die Wandvertäfelung, buttergelbes Licht war darüber ausgegossen: gemütliches Stück Mensch, gemütliches kleines Konferenzzimmer. Wengath grinste zurück: Zum Inder würde er gehen, das wars überhaupt. Frittiertes, aufgeplustertes, heißes Brot, scharfe, cremig-sämige Soßen, davon durchgezogenes, fast zerkochtes Fleisch und knackig gebratenes Gemüse. (Und machnwa hinne, nich waa, mein Pfannekuchen, ich nämich Hungerhabbich):
Sie haben also Herrn Doktor Siechner am Abend des 8. November gefunden. Wann genau und wo genau war das?
Ja, wann waren wir wieder da? Ich schätze mal, das wird so halb eins, eins gewesen sein, schon am neunten, wenn mans genau nimmt.
Sie waren wieder da, das heißt: Sie waren zwischendurch weg? Wo waren Sie denn?
Äh, wir drehen Runden, deswegen kommen wir immer wieder an den selben Plätzen vorbei. Und da bei der Runde nach Mitternacht, ja, in seinem Büro.
Aber die Runden im Klinikum, die drehen Sie normalerweise alleine.
Ja, alleine, äh, gilt nicht als gefährlicher Ort, ist ein Mann ausreichend, ja.
Aber an diesem Abend waren Sie ausnahmsweise nicht alleine, so wie ich Sie verstehe.
Doch, doch, natürlich alleine, alles ganz normal, wie immer.
Herr Wengath!
Mit einem Seufzer gesagt, ts ts ts, und resigniertem Kopfschütteln wahrscheinlich: Eine Männerstimme hinter ihm. Und bevor er sich umdrehen konnte, lag schon schwer die große Hand auf seiner Schulter:
Sie müssen doch unserem armen Kollegen Alves nicht so mit Fragen zusetzen.
Und damit war er auch an der zweiten Schulter gepackt:
Natürlich war er nicht alleine, wir waren bei ihm.
Im Pfannekuchen auf der anderen Seite des Tischs verbissen sich die Lippen zu einem Strich, Schweiß juckte Wengath auf der Stirn. Zwei Handkanten trafen ihn zwischen Schulter und Hals, die Tischkante stemmte sich in seinen Bauch, flogen sofort seine schreckstarren Glieder nach vorn, für Sekundenbruchteile unkontrolliert (Ansichhalten sollte einer können!). Und da hatten sie schon ihre Arme unter seine Achseln geschoben, die Männer von Vigilia, Hennigsdorf. Der Stuhl klirrte hinter ihm zu Boden, als sie ihn draus hervorzogen, Kolbe trat dagegen, weg mit dem Teil:
Kommen Sie, Alves, starren Sie nicht Löcher in die Luft, leeren Sie den Aktenkoffer aus, vielleicht hat ers dadrin.
Er hing zwischen Breker und Kolbe, Glockenschwengel in der Mantelglocke, nach vorn abgeknickter Kopf, nur nicht hinschauen, Tischplatte, der Plastiksticker Holz und deine Welt hat wieder ein Gesicht genügte ja völlig, aber pladderten sofort sechzehn Manuskripte darauf, Ehrhorn und Einhorn, Im Magen des ZK, Schoelzel oder Der Amokschütze und dreizehn nicht entzifferte andere. Alves, beflissen beflissen, wollte sie durchblättern, aber Kolbe dirigierte ihn mit einer Kopfbewegung zum Aktenkoffer zurück:
Die Seitenfächer vom Koffer auch, schütteln Sie! Es muss ein kleines Ding sein, vermutlich inner Plastiktüte oder Döschen!
Und als sich nichts fand außer Kugelschreibern, Wengaths Klappkorkenzieher und einigen Visitenkarten:
Na gut, durchsuchen Sie ihn!
Der Pfannekuchen, unter ihn geduckt in die Mantelglocke, schwitzend wie er selbst (aber mehr Butter als Angstschweiß, hatte ders gut!) klopfte ihn hastig mit den flachen Händen ab. Manteltaschen, Sakkotaschen, Brusttaschen, Hemdsärmel, unglaublich, dass ein einzelner Mensch so viele Laschen, Säcke, Röhren aus Stoff an sich hatte, die Dienstpistole reichte Pfannekuchen jetzt hinaus, Breker oder Kolbe steckte sie ein, Hosentaschen, Hosenbeine, Strümpfe, dann stellten sie ihn endlich ab:
Was machen wir nun mit Ihnen, Herr Wengath? Haben Sie vielleicht Lust, unseren einzigartigen Fahrstuhl auszuprobieren? Ein wahres Wunderwerk der Technik, funktioniert auch ohne Führungsseile, im freien Fall. Man klinkt die Kabine oben im siebten Stock der einen Haushälfte aus, und was meinen Sie wie hoch sie dann kommt in der anderen Haushälfte? Ich verrate es Ihnen: Bis fast zum fünften, nur durch den eigenen Schwung. Ist das nicht sagenhaft? Diese Reise, bis das ganze Ding aufhört von einer Seite zur andern zu pendeln, ist kurz, aber so beeindruckend, dass keiner, der sie einmal gemacht hat, sie jemals freiwillig ein zweites Mal machen würde. Im Hausjargon nennen wir das Schlittenfahren. 

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