vonkirschskommode 22.11.2022

Kirschs Kommode

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https://feldkircherlyrikpreis.at/preistraeger-innen. Zum besseren Verständnis meiner Blogbeiträge zum Thema kann ich nur empfehlen, sich die prämierten Werke der ausgezeichneten Autoren und Autorinnen einmal anzusehen. Sie sind größtenteils – nun ja: unglaublich.

Der Feldkircher Lyrikpreis erweist sich als eine sich selbst erhaltende und sich selbst genügende Unternehmung, deren greifbare Ergebnisse – preisgekrönte Geporösen – umso mehr innere Verwandtschaft miteinander haben müssen, je länger die Unternehmung fortgeführt wird. Der Preisträger, die Preisträgerin des einen Jahres ist der Laudator, die Laudatorin des Preisträgers, der Preisträgerin des nächsten Jahres, von ihm oder ihr als Mitglied der Jury selbst mit gekürt. Und niemand wird jemanden küren und loben, dessen ästhetische Grundannahmen den seinen völlig zuwiderlaufen. Die Motti des Feldkircher Lyrikpreises ergeben sich so auf nicht allzu umwegige Weise auseinander. Und bilden deshalb untereinander geschrieben auch eine ganz passable Geporöse, wenn ich sie nur ein wenig mit modischen Lücken würze und sie an anderen Stellen – sehr wichtig! – mit dem Lieblingssatzzeichen der porösenden Zunft zusammenleime: &.

& jemand anderes dachte an ihn wie an nichts
fließen ihre schatten                                die fassaden entlang
& von der kante des kalenders stürzt die zeit
& weiter nichts sagen:
das sprechen dort                   treibt luftwurzeln
& früher oder später trifft der tod ein
steht ihr auge in auge                 vor glück                              am ziel
ein strich in der landschaft
& auf der seite nur die kontur eines kreises

Sehe ich mir die Motti aber im einzelnen an, gibt es Unterschiede. Von den neun hier, teils mit & zusammengebundenen sind vier schlicht sprachliche Unfälle, Verse als rhythmische Zungenbrecher, mit schiefen Bildern oder falscher Grammatik; in meiner Geporöse die Zeilen 1, 3, 5 und 7. In seinem berühmten Sketch “Hurz!” hat H. P. Kerpeling diese Art der Kunst-Schaumschlägerei vorgeführt und ihre prinzipielle Akzeptanz bei einem bildungsbeflissenem Publikum bewiesen.

In den Zeilen 2, 4, 6 und 8 gibt es gleichsam eine leichte Gegenbewegung zu der jeweilig vorangegangenen, ein Stückchen mehr ins begreiflich Sichtbare oder wenigstens ins sprachlich Schlichtere. Zeile 9 ist die Synthese: Die Autorin, die junge Österreicherin Sarah Rinderer, brezelt ihre Zeile zwar einigermaßen auf, verliert aber nicht alle Bodenhaftung; es gibt links oder rechts etwas Kreisförmiges, das nur in Umrissen zu erkennen ist.

Die beste Zeile der neun ist die zweite. Dass Schatten Fassaden entlang fließen, muss ich nur lesen, um es zu sehen. Und tatsächlich, ich kenne ein Gedicht des Autors, Axel Görlach, über eine im Schnee versinkende Stadtlandschaft, von dem ich immer, bei allem, was ich daran vielleicht doch noch zu bekritteln hätte, sagen würde, es sei schön. Mein Beitrag zu seinem Motto ist ein Liebesgedicht, das gut in die Jahreszeit passt. Ich werde es demnächst in den Blog stellen. (Meine Gedichte zum “Strich in der Landschaft” finden sich unter dem entsprechenden Schlagwort.)

Rinderers aufgebrezeltes, aber zumindest nicht unbegreifliches Motto für den diesjährigen Feldkircher Lyrikpreis habe ich, mit guten Vorsätzen, ebenfalls recht ernst genommen. Fünf Miniaturen habe dazu ich erstellt. Sie passen selbstverständlich nicht zu der Art Lyrik, die beim  Feldkircher Lyrikpreis gezüchtet wird. Aber ich mag sie: kleine, rhythmisch lebendige, konzentrierte Gedichte. Und in jedem gibt es seitlich etwas Kreisförmiges zu sehen, bei jedem etwas zu denken. Viel weiter kann ich in meiner Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Lyrik (und eben: dem Feldkircher Lyrikpreis) wohl kaum kommen.

2022
auf der seite nur die kontur eines kreises (Sarah Rinderer)

Regung

Träge, eine Fläche unter
dicker Haut, noch wintersatt
liegt das Wasser, nichts wird munter;
auf der Haut ein totes Blatt.

War was? Da, tatsächlich!
Etwas sprang im Schilf am Rand:
Ringe breiten sich gemächlich
aus zu mir, schon schmatzt der Sand.

 

Vergeudung

In Ruinen eine Schule,
Fenster schwarz und rahmenlos,
Kraut besiedelt jede Kuhle,
auf dem Schutt im Hof wächst Moos.

Links am Giebel, scharf umrissen,
misst ein zeigerloses Rund
Zeit, vergangen ohne Wissen,
ohne Fragen, ohne Grund.

 

Dämmerung

Durch verdüsterte Gebüsche
irren Lichterkegel: Wer
bummelt durch die Abendfrische?
Oder geht es da um mehr?

Waltet Albtraum, heißt Verstecken,
dass dich bloß ein Schatten birgt.
Wen im Lichtkreis sie entdecken,
hat sein Leben schon verwirkt.

 

Erfrischung

Hartes Gleißen, kahle Straßen,
feind dem Auge jeder Blick.
Trocken über alle Maßen
zieht sich die Natur zurück.

Dass die Sonne nur ein Ball ist,
mild zu dimmen in viel Dampf …
Hilf mir, Wolke! Gegens All bist
du Gefährtin mir im Kampf.

 

Kuhdung

Auf und neben schmalen Pfaden
über abgegrastes Land
liegen mürb gebackne Fladen
zwischen Stroh und grauem Sand.

Welch ein Reichtum! Den verfeuert,
warmes Essen für ein Jahr!
Weil im Kreislauf sich erneuert,
klug genutzt, was Unflat war.

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