vonkirschskommode 15.09.2020

Kirschs Kommode

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Ich weiß nicht, ob ich vollkommen  noch steigern möchte, doch heißt es, sterbende Liebe sei der vollkommenste Poet. Ich weiß auch nicht, ob ich diesem Satz zustimmen möchte. Vielleicht ist das Glück, die erwiderte Liebe, die sich lebenslustig nicht viel ums Sterben schert, als Gegenstand der Dichtung einfach noch nicht genügend eingeführt und erprobt. Die Lebensumstände waren und sind den meisten Menschen und ihrer Liebe eher widrig. Weshalb ein Wort wie Glücksmoment  allen unmittelbar einleuchtet, während seine traurige Entsprechung, der Pechsmoment, in keinem Wörterbuch verzeichnet ist.

Um verlorenes Glück geht es in dem folgenden Gedicht. Ich vermute, es ist, in seiner auf ganz Unmögliches gegründeten Zuversicht, nicht bloß abgrundtief traurig. Jedenfalls erinnere ich mich daran, dass ich, wenn auch vielleicht unter Tränen, gelacht habe, als mir der Einfall kam. Auch wenn ich es wieder lese, muss ich lachen.

Was mich an ihm dennoch bis heute melancholisch stimmt, ist eine bestimmte grammatische Form, die ich damals, mit dem Schwung eines frisch gebrochenen Herzens, ohne viel nachzudenken, gebraucht habe. Kommt es nicht furchtbar altertümlich daher: „Liebe, die sich nicht gelegt.“?

Und doch: Ich liebe diese Form! Lasse ich das Hilfsverb im Nebensatz fort, bleibe ich rhythmisch scharf und reimlich reich. Bin ich hingegen grammatisch korrekt, müsste ich im angeführten Fall auf ein Ungetüm reimen, eegt-att, klänge mithin unbewegt matt, käme zudem nicht auf der betonten Silbe ans Zeilenende und hätte auch sonst nichts als Ärger. Warum ist diese elegante Form verschwunden? Warum wird sie allgemein als hoffnungslos achtzehnhundertlich-wunderlich empfunden? Ist sie nicht vielmehr schlicht, knackig, praktisch, knapp? Sie sollte dringend wieder eingeführt werden. Meine Deutschkursteilnehmer, denen ich den Kniff gezeigt, sind auch dafür.

 

Gegen Grübeln hilft das Fallbeil –
wenn man mir den Kopf abhieb,
lief ich stracks zu deiner Wohnung,
folgend einem alten Trieb.

Trotz des Schlüssels in der Tasche,
weil es so Gewohnheit war,
läute ich. Du öffnest leise.
Weil es so Gewohnheit war.

Eine purpurne Fontäne,
durch den Herzschlag angeregt,
spränge aus dem Hals mir lustig:
Liebe, die sich nicht gelegt.

Sauste dann das Richtschwert wieder –
Augen, Lippen fahren hin! –
glücklich sänk in meine Arme
meines Herzens Königin.

Kopflos glücklich wärn wir beide
unsres Trennungsgrunds beraubt,
überlassen unsern Körpern,
die an Trennung nie geglaubt.

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