Ich habe in einem meiner letzten Blogbeiträge – Politiker*innen vom 23.01.2024 – behauptet, dass die Ampelregierung bei der Bekämpfung des Aufstiegs der extremen Rechten ebenso erfolgreich sein werde wie bei der Bekämpfung des Klimakollapses und das mit ein paar Versen über die Welt- und Lebensferne des politischen Personals begründet. Es liegt mir nicht, mich zu wiederholen, doch anscheinend gibt es Dinge, die ich nicht oft genug sagen kann. Die Welt- und Lebensferne des politischen Personals besteht darin, dass es selbst kaum Gefahr läuft, eigene Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen, sich Kleiden, sich Bilden, gesund zu bleiben und sozial angesehen zu sein, nicht befriedigt zu sehen. Dieses Gefühl der eigenen Sicherheit teilt es mit breiten Schichten seiner Wählerschaft und im Einvernehmen von Wählerschaft und politischen Personal besteht in Deutschland politische Stabilität.
Es ist dieses schöne Wir-Gefühl, des Miteinanders von Wählerschaft und Gewählten, das die Demonstranten und Demonstrantinnen in den letzten Wochen gegen die Rechten auf der Straße verteidigt haben. Das Beispiel Italien zeigt aber, dass es der extremen Rechten durchaus gelingen kann, in das einvernehmliche Miteinander der Demokratinnen und Demokraten aufgenommen zu werden. Denn um inhaltliche Unterschiede wird zwischen AfD und den anderen Parteien weniger gestritten, als es den Anschein hat; viel mehr geht es um Fragen des Stils. Für einen wachsenden Anteil der Bevölkerung von einem Viertel bis zu einem Drittel, der aufgrund von Alter, Krankheit, Beschäftigungssituation oder Herkunft vom allgemeinen Wohlstand ausgeschlossen ist, hat keine Partei von Grün bis Braun mehr übrig als Floskeln, Belehrungen, Drohungen, Schmähungen sowie Sanktionen und Deportationen. Am 09.11.2016 schrieb ich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Rechten und den demokratischen Parteien das Folgende:
09.11.2016
Trump sei Dank fühlen sich die Europäer wieder als die besseren Menschen. Wobei mir ein Rätsel ist, womit sie diese Überlegenheit begründen wollten. Wenn hiesige Politiker sich jetzt nach dem Wahlsieg Trumps bestürzt und überrascht geben, kann ich nur fragen, weshalb sie angenommen haben, dass die US-Amerikaner schlauer, aufgeklärter und weniger verhetzt als die Europäer seien. Ich schlage vor, in den Namen einiger bekannter Politiker ein T. für Trump einzuflicken oder ein Donald als Vornamen, Sigmar T. Gabriel, Friedrich Donald Merz z.B. Ich sehe nicht, dass irgendeiner der maßgeblichen Leute im politischen Geschäft andere Konzepte hätte als das Verächtlichmachen der Armen und von Minderheiten.
Interessant ist aber, dass dieses, für das politische Überleben anscheinend notwendige oder als notwendig eingeschätzte Verhalten gleichzeitig den Geschäftsgang der global player der Ökonomie irgendwie stört. Sie setzen sich aber nicht dagegen durch, obwohl sie die Medien und auch die Gelder kontrollieren, somit an Einfluss eigentlich nicht zu übertreffen sind. Diese fehlende Hegemonie ist das wirklich Verblüffende: Die das Sagen haben, haben nicht mehr in jedem Fall das Sagen. Allerdings wird man sich mit dem polnischen-Regierungs-Orbán-Erdogan-Pen-Petry-und-Trump-Pack auf Dauer schon vertragen. Es gibt zwei Punkte, an denen alle sich einig sind: Dass es Krieg geben muss und dass Demokratie freiwillige Unterwerfung, Einsicht in das Notwendige und nicht etwa wirkliche Mitbestimmung und Mitgestaltung bedeutet. Darüber hinaus unterscheiden sie sich in den Umgangsformen, bzw. in der Temperatur, was das National-Ethnische anbelangt. Das ist nicht wirklich wichtig.
Und am 29.07.2018 befasste ich mich mit Gegenstrategien, die der Linken oblägen:
29.07.2018
Die Frage, ob man mit besorgten Bürgern das Gespräch suchen oder mit Rechten reden sollte, führt am Kern des Problems, das die paar Restlinken mit dem Anwachsen des offen fies- und miesmenschlichen Geredes haben, vorbei. Mit denen, die mental in ihren Gedanken-SUV steigen, um zynisch ihr und jedes Recht des Stärkeren zu verteidigen, muss ich es nicht versuchen, die haben gewählt. Es ist auch relativ sinnlos, sie als Nazis zu demaskieren, sie lieben es, sich darüber zu empören, und fühlen sich doch geehrt. Es gibt jedoch auch Menschen, bei denen die Dauerpropaganda gegen Ausländer und für soziale Härte zwar deutlich Spuren hinterlässt, aber die dennoch schwankend bleiben, vielleicht, weil sie fühlen, dass sie selbst nicht zu den Stärkeren gehören. Mit ihnen müssten die Linken reden. Denn viel wäre gewonnen, wenn nicht noch mehr Leute Nazis würden. Auch dagegen, dass es für die Linke nun darauf ankäme, politische Auseinandersetzungen voranzutreiben, die möglichst viele, Lohnabhängige, Frauen, Mieter*innen usw. angehen, ist wenig zu sagen. Das Schlüsselwort ist in meinen Augen jedoch: lohnabhängig. Ein Wort, das wir – denn auch ich bin aktiver Gewerkschafter – in den Gewerkschaften, oft achtlos benutzen, ohne ihm zuzuhören: Es bedeutet, nichts zu haben, um sich dauerhaft am Leben zu erhalten, außer dem, was einer oder eine mit dem Verkauf eigener Arbeitskraft verdienen kann; gelingt es nicht, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, bedeutet das Elend. Gerade darin unterscheiden sich Lohnabhängige allerdings am allerwenigsten von den Elendsflüchtlingen, gegen die die politische Rechte sie in Stellung zu bringen versucht. Ein Anrecht auf Alimentierung und Versorgung der Lohnabhängigen ohne Lohn, das nicht jederzeit eingeschränkt oder zurückgenommen werden könnte, existiert selbst in den reicheren Ländern dieser Erde nicht. Und die grimmige Lust der politischen Rechten, sich solchen Sozialklimbims ein für allemal zu entledigen, wächst spürbar mit jedem Tag. In diesen Zusammenhang müsste die Linke die Diskussion um Flüchtlinge und Migration stellen: Die Entrechtung dieser Menschen bis dahin, ihr Recht auf ihr nacktes Leben in Frage zu stellen, macht sehr deutlich, wie weit unsere politisch maßgeblichen Leute in dieser Frage jederzeit und jedem gegenüber gehen würden.
Und weil dies ein Lyrikblog ist, zitiere ich hier noch einmal Verse aus meinem Blogbeitrag vom 09.03.2020. Denn, ja, einige Dinge kann ich offenbar nicht oft genug sagen:
Der italienische Innenminister Salvini nennt die vor dem Ertrinken geretteten Flüchtlinge an Bord des Schiffs der Mission Lifeline sarkastisch „il prezioso quantitativo di carne umana“.* – An alle, die ihm dafür Beifall spenden:
Wie könnt ihr glauben, dass es euch nicht trifft?
Ihr seht die Leute in prekären Booten,
ihr seht Gerettete, ihr wisst von Toten
und grinst, hier werde Menschenfleisch verschifft.
Seid ihr denn mehr? Das Helle unterm Hemd
ist auch bloß Haut; ihr könnt aufs Weißsein pochen,
da drunter habt ihr rotes Fleisch und Knochen.
Wer wärt ihr, was noch, plötzlich arm und fremd?
Bewahrt Salvinis Wendung gut im Ohr.
Der Pass, der Stammbaum – in den Wind geschrieben,
steht ihr erst nackt: Euch ist kein Recht geblieben,
am Flüchtling führt man euer Schicksal vor.
Das Wort vom Menschenfleisch fiel mit Bedacht:
Wie einfach kommt ihr selbst mit in Betracht.
*„Die libysche Küstenwache hat ihnen geschrieben, bewegt euch nicht, wir kümmern uns. Aber diese Lumpenkerle setzen sogar das Leben der Migranten in ihren Gummibooten aufs Spiel und hören weder auf die libyschen noch auf die italienischen Autoritäten, sondern drängen sich dazwischen, um ihre kostbare Ladung Menschenfleisch an Bord zu kriegen. Warum sind sie die Guten?“ (Der italienische Innenminister Matteo Salvini über die Mission Lifeline im Juni 2018)