vonkirschskommode 10.08.2020

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10. August, der Heilige Laurentius

El tintín ist das Klingeln eines Glöckchens, el retintín sein Nachklang. Retintín bezeichnet aber auch einen spöttischen, höhnischen Unterton. Ich kann kaum leugnen, daß in meinem Artikel über Lydia (3. August) ein nachklingendes Glöckchen spöttisch mitsummte: So viel zur Schau getragenes Leid wie bei der Lydia verstimmt mich. Aber jetzt kommt Laurentius, weist auf eine schauerlich anzusehende Gruppe von Blinden, Lahmen, Stummen, Krüppeln und Aussätzigen und schimpft mich aus: „Diese sind unsere Schätze, unsere Perlen und Kleinodien, denn in ihnen lebt Christus selbst. Pflege diese Armen, dann wirst du die Wohlfahrt des Staates begründen.“

Können Sie mir einen Politiker nennen, der eine solche Rede des Heiligen Laurentius gerne hören würde? Denn was wäre im Zeitalter leerer öffentlicher Kassen eine Gruppe von Krüppeln, eine unheilbar kranke Lydia? Ein Kostenfaktor. Und das Humanste, was man für sie übrig hätte, wäre die Euthanasiedebatte. Wir mögen uns also noch so gruseln über die christliche Verklärung des Leidens zur “Süßigkeit”, diese Haltung gibt vielen Menschen, die oft nur als störend, teuer und überflüssig empfunden werden, doch etwas wie Würde. Das Christentum, manchmal merkt man es eben doch, ist als Religion entlaufener Sklaven groß geworden, in ihm fanden sich bettelarme, rechtlose, kranke Leute, die in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten ebenso leicht in den Verhältnissen untergingen wie heute Marokkaner im Mittelmeer.

Daß sich Laurentius so gut an die Ursprünge des Christentums erinnert, liegt an der zeitlichen Nähe zu ihnen. Er war der Archidiakon des vom römischen Kaiser Valerian hingerichteten Papstes Sixtus II und lebte im dritten Jahrhundert. Kaum hatte der Kaiser den Papst beseitigt, forderte er von Laurentius die Herausgabe aller kirchlichen Güter. Aber der hatte, was es gab, schon unter die Armen verteilt und hielt dem römischen Kaiser die oben zitierte Rede. Valerian fühlte sich verhöhnt und ließ ihn auf die Folter spannen.

Mit Skorpionen gepeitscht, mit Bleikugeln geschlagen, mit glühenden Eisenplatten versengt, auf der Streckbank zerdehnt – ich weiß nicht, was ich hier wiedergebe: die sadistische Phantasie der Folterknechte oder die der Legendenerzähler. Laurentius Standhaftigkeit bewirkte jedenfalls den Übertritt mehrerer Soldaten zum christlichen Glauben. Darüber erbost ließ Valerian ihn lebendigen Leibs über glühenden Kohlen rösten. Der Heilige verzog nicht nur keine Miene, ihm fiel nach einer Weile sogar noch ein guter Witz zu seiner Lage ein und er sagte zu den Folterknechten: “Auf dieser Seite bin ich durch, ihr müßt mich jetzt umdrehen.” Als er dann ganz und gar gar war, verschied er. Seine ungeweinten Tränen sehen wir in diesen Tagen am Himmel, ein jährlich wiederkehrender Meteoritenschwarm wird ihm zu Ehren “Tränen des Laurentius” genannt. Gefeiert wird Laurentius unter anderem als Beschützer der Weintrauben. Seine Anrufung hilft aber auch – hätten Sie’s gedacht? – bei Brandwunden.

(August 2000)

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