Ohrabkauer, 2
Die Welt geht alle Tage unter. Am 5. Mai dieses Jahres zum Beispiel. Da kamen Sonne, Merkur, Venus, Erde, Mond, Mars, Jupiter und Saturn so hübsch in einer Reihe zu stehen, als hätte Gott aus einer kindlichen Laune heraus Lust gehabt, sie wie auf einer Schur aufgefädelt zu sehen. Das war um 10 Uhr und 8 Minuten hiesiger Zeit. Vorausgesagt war uns, daß, durch die potenzierte Anziehungskraft der Himmelskörper aufeinander, sie alle miteinander in die Sonne stürzen würden.
Statt dessen wurde am 5. Mai um 10.08 Uhr Ihr Enkelkind geboren. Auch gut. Wenn Sie ihm oft genug erzählen, was zu der Zeit im All los war, wird Ihr Enkel sich bestimmt als jemand fühlen, auf den die Anziehungskräfte des Himmels einen ganz besonderen Einfluß haben. Daß in der selben Minute noch einige hunderttausend andere Kinder geboren worden sind, spielt für dieses Gefühl nicht die geringste Rolle.
Sterngläubige sehen sich gern als etwas Besonderes. Und sind sich genau darin ähnlich. Wie auch anders. Auf 134 ihrer Sorte kommt von jedem Zeichen, angefangen mit Widder hin zu Fische, gleich ein ganzes Dutzend.
Ich weiß, sie haben dann noch 12 Aszendenten und die Planeten in 12 Häusern – was dann ungefähr soviel heißt, daß wenn die zarte Fischefrau aus der Annonce Sie schon beim dritten Treffen brutal in die Wade beißt, es nur an ihrem Aszendenten Jungfrau liegen kann, mit Kriegsgott Mars am Punkt der Exaltation zum Zeitpunkt ihrer Geburt von 53 Jahren.
Sagen Sie etwas, am Ende gegen Astrologie, die Erdverbundenheit ihres Zeichens läßt Sie die Dinge so sehen. Wenn Sie aber in keinem erdverbundenen Zeichen geboren sein sollten, ist entweder die luftig spielerische Spottlust, die wassertriefende Melancholie oder der feurige Widerspruchsgeist anderer Zeichen schuld. Man kann mit diesen Leuten über nichts reden, ohne daß sie über kurz oder lang Sterne sehen.
Könnte ich Ihnen wenigstens raten, sämtlichen Astrologie-Fans Ihrer Bekanntschaft ein anderes Sternzeichen zu sagen. Doch das geht schief. Natürlich amüsiert es Sie eine Weile, Ihre eigenen Charakterzüge und Handlungen je nach Gesprächspartner zum Typischen eines jeweils anderen Sternzeichens verwandelt zu sehen. Aber die Costa Blanca besteht nun mal für die meisten von uns aus in sich abgeschlossenen Zirkeln hinzugezogener Ausländer. Alle Ihre Astrologen kennen sich. Eines Tages stehen sie zu mindestens zwölft vor Ihrer Tür und verlangen, Ihren Paß zu sehen.
Der Ausweg, der Ihnen dann noch bleibt, erfordert Schauspieltalent. Zucken Sie bedauernd mit den Schultern und behaupten Sie, das Datum im Paß sei rein fiktiv. Damals, als ihre Eltern sich ineinander verliebten, die junge Stationsschwester und der Missionar in Afrika, was Sie zum Ergebnis hatte, da hätten auf den Dörfern geborene Kinder das Datum der Eintragung im Standesamt als Geburtstag erhalten. In die Stadt zum Standesamt fuhr allerdings bloß alle ein bis zwei Jahre jemand. Nein, Sie hätten keine Erinnerungen an Malawi, Sie seien später in Dengeldorf bei Dupfingen aufgewachsen, der Unterschied sei vielleicht auch nicht so groß. Nach so einer Geschichte ist dann endlich einmal Ruhe im Karton mit dem lästigen Thema.
Aber ich will nicht so radikal sein, eine Chance, recht zu behalten, sollen sie haben, unsere Astrologen: Studieren Sie, liebe Sternenfreunde, in meinen Kolumnen meinen Charakter und schreiben Sie dieser Zeitung, in welchem Zeichen ich geboren bin. Bei einer Trefferquote von nur 60% gebe ich klein bei und kritisiere Sie nie wieder.
November 2000