vonkirschskommode 15.10.2024

Kirschs Kommode

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Eine gut gefüllte Kommode zu haben, gibt mir immer wieder Gelegenheit, ihre Schubladen nach Interessantem zu durchkramen. Diesmal fand ich einen Aufsatz, fast vierzehn Jahre alt – den konkreten Anlass, ihn zu schreiben, habe ich längst vergessen – las ihn und beschloss: Der muss raus.

Die gesellschaftliche Diskussion, die ich in ihm sowohl kommentiere als auch weitertreibe, ist beendet. Die universelle Gültigkeit der Menschenrechte, so sehr sie immer in erster Linie Sonntagsredengerede war, ist kein allgemein akzeptierter Grundsatz mehr. Vielmehr wird es bald so kommen, dass immer mehr Vertreter und Verteterinnen aller der in den deutschen Parlamenten künftig noch vertetenen Parteien auf den Vorwurf, sie seien Rassisten, ruhig und freundlich entgegnen werden, eine Diskriminierung nach der Herkunft sei, wissenschaftlich betrachtet sowie nach gesundem Menschenverstand beurteilt, ohne Wenn und Aber richtig, nämlich schlicht alternativlos, der Vorwurf des Rassismus laufe ins Leere. Menschenrechte, werden diese Volksvertreter*innen aller Parteien lächelnd ergänzen, seien an unsere Werte, an unsere Lebensweise gebunden, wem diese, geographisch, ökonomisch oder kulturell, nicht zugänglich seien, der komme zurecht nicht in ihren Genuss. Und die politischen Diskussionen werden in Zukunft darum gehen, wo genau die Menschenrechte zu enden haben, an welchen Grenzen welcher Kontinente; oder ob an denen der überstaatlichen Zusammenschlüsse wie Nato und EU; oder doch lieber an den nationalen; und auch an welchen innerhalb des Landes, je nach Aufenthaltsstatus, Vorfahren oder Einkommen. Ich veröffentliche meinen fast vierzehn Jahre alten Text folglich aus der Befürchtung heraus, dass er in wenigen Monaten bereits vollkommen aus der Zeit gefallen sein könnte.

Rassisten sind Inländer

Bezeichne ich eine Person als Rassisten, ist sie empört. Und ihre Mitwelt mit ihr: Wie man es nur sagen könne, ob man Beweise habe und so fort.

Das Wort selbst ist hässlich, das R knurrt, das A schreit, das Doppel-S zischt, das sssT schlägt hart an. Und sind mehrere gemeint, rümpft noch ein N am Schluss aggressiv die Nase. Es eignet sich des­halb um Längen besser zum Beschimpfen als seine Verwandten Fremdenfeind oder Ausländerhasser, es ist wie dazu gemacht, es jemanden an den Kopf zu werfen. Weshalb es auch immer Gefahr läuft, emotional und nicht genau benutzt zu werden.

Die drei Wörter haben jeweils ihre eigene Bedeutung. Aber sie haben einen gemeinsamen Kern: Ein Ausländerhasser, Fremdenfeind oder Rassist ist immer jemand, der die Gleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher Herkunft ablehnt oder durch sein Handeln unterläuft. Der Aufwand, den der einzelne dabei betreibt, seine Ablehnung zu begründen, ob er sie als Hass kultiviert oder lieber kühl als technischen Sachzwang darstellt, ob ihm Gene oder Kultur oder Pass Unterscheidungsmerkmal werden, ändert daran nur wenig.

Wenn jedoch Menschenrechte Menschenrechte sind, ist schon die so gewöhnliche Unterscheidung zwischen In- und Ausländer höchst problematisch. Sie lässt sich letzten Endes nicht anders als ras­sistisch, nämlich nur mit der Herkunft begründen. Eingewanderte sehen sich überall mit einer Vielzahl allein für sie geltenden Gesetze konfrontiert; das Menschenrecht, wegen der Herkunft nicht diskriminiert zu werden, gilt (oder gälte) für sie vollständig ohnehin erst nach erfolgter Einbürgerung.

Diese Lage ist für die Fremdenfeinde so bequem, wie sie für ihre Gegner unbequem ist. Die meisten Inländer wären nicht bereit, ohne ein mehr oder minder willkürliches und langwieriges Verfahren Ausländern die gleichen Rechte zuzugestehen, die sie selbst genießen. Sie mögen ansonsten weltof­fen wie weltweit nur wenige sein, an diesem Punkt diskriminieren sie. Was den Rassisten das wohl­feile Argument zur Hand gibt, sie hätten persönlich gar nichts gegen Ausländer und forderten ohne­hin nur Dinge, die doch unvermeidlich und immer schon gängige Praxis gewesen seien, wenn auch mit einigen, in ihren Augen aktuell notwendig gewordenen Änderungen. Während die Antirassisten, von ihren Gegnern in die Ecke getrieben, nur vage Antworten darauf haben, wie das allen ihren Ar­gumentationen implizit zugrunde liegende Weltbürgerrecht denn ohne, vielleicht doch verheerende Folgen für die Inländer eingeführt und umgesetzt werden könne.

Es ist mithin sehr einfach, als Ausländerhasser moderat und realistisch zu erscheinen, während ein Weltbürger immer maßlos wirkt. Das allgemeine Menschenrecht, der inlandspezifischen Wirklich­keit gegenüber gestellt, reduziert jeden Versuch, die rechtliche Stellung der Eingewanderten zu bessern, auf einen unzureichenden, kleinen Schritt. Als Weltbürger kann ich auf die im Recht liegende Logik und damit Unabweislichkeit meines Anspruches verweisen, in den Augen der anderen Seite fordere ich das Unmögliche und bin nicht von dieser Welt. Denn die gehört, wie die Inländer zu wissen glauben, im Inland den Inländern. Denen folglich noch die miesesten kleinen Zugeständnisse als großzügig erscheinen und für die sie nichts als Dank erwarten. Von einem Recht der Anderen wollen sie im Grunde nicht einmal hören.

Die übliche Empfindlichkeit gegen die Bezeichnung Rassist  zeigt jedoch, dass die Inländer den Weltbürgen argumentativ wenig entgegen zu setzen haben. Sie können in jeder öffentlichen Diskus­sion das breite Publikum für sich einnehmen, aber daran, dass Menschenrechte überall für alle gel­ten müssten und es somit eigentlich unmöglich wäre, jemanden, der im Inland leben will, dies zu verweigern, daran kämen auch sie nicht vorbei, wenn – ja, wenn: Wenn sie es wagen würden, den Argumenten der Weltbürger gedanklich wirklich zu folgen. Sie wagen es in der Regel nicht.

Gleichzeitig hat auch unter denen, die sich als Weltbürger verstehen, kaum einer sonderliche Nei­gung, über die Neuaufteilung der Welt und ihrer Güter nachzudenken. Doch genau das müsste er tun, um tatsächlich Weltbürger zu sein. Die Geistlosigkeit der Diskussion um Einwanderung und Menschenrechte ist ihr ebenso eingeboren wie ihre Verlogenheit.

Zerbst/Anhalt, Dezember 2010

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