vonkirschskommode 02.09.2020

Kirschs Kommode

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Mir scheint, nichts kennzeichnet die extreme Rechte, die radikalisierte Mitte besser als ihre Feind- und Todeslisten: festzunehmen, unschädlich zu machen, umzubringen am Tag X sind – und es folgen die Namen, Adressen und andere von Polizeicomputern leicht abrufbare Daten der ins Visier genommenen. Es liegt für mich daher auf der Hand, dass die Rechte einen Riesenbedarf an gewaltbereiten, zu allem entschlossenen Leuten hat, will sie ihre Ziele verwirklichen.

Dieser Bedarf übersteigt im Moment sicherlich noch die Anzahl an Personen, die sie tatsächlich mobilisieren kann; ihr Tag X ist ohne massenhafte Beteiligung aus der Bevölkerung kaum durchführbar. Klar ist allerdings schon jetzt, wie die Volksrevolution aussähe, von der ihre Anhänger tagträumen: Sie wäre ein Gemetzel.

Die politische Aufgabe, die vor der Rechten liegt, ergibt sich hieraus. Sie muss es schaffen, die untergründig vorhandene und weit verbreitete alltägliche Gewaltbereitschaft in ihrem Sinn zu politisieren, einzusammeln und zu bündeln. Sie muss die Frustrierten, die Wutgeladenen, die Schläger (und, ja, auch die Schlägerinnen) für sich gewinnen.

Daran arbeitet sie. Und, wie ein federwisch-leicht vorgenommener Austausch bei ihren aktuellen Hassthemen zeigt, durchaus methodisch: Die schrille Agitation gegen die Durchrassung des Abendlandes und die nicht weniger schrille gegen Regierungsmaßnahmen bei einer Pandemie haben außer der Tonlage nicht viel miteinander gemein. Doch genau in der Tonlage gelingt es der Rechten, wie schon beim vorherigen Thema, einen nahenden Untergang zu beschwören, den, einer brutalen staatlichen und medialen Übermacht trotzend, einzig und allein ihr tapferer Endkampf aufhalten könne. Und die Leute hören und laufen ihr zu. Bis vor wenigen Tagen hätte niemand Yogalehrer:innen, Impfgegner:innen, Anhänger:innen der Dreigliederung des sozialen Organismus und anderen Leuten, die Wasserfilter, Globuli oder Räucherstäbchen benutzen,  je eine andere politische Präferenz zugetraut als die für die Grünen. Jetzt sieht es aus, als fehlte nur noch eine kleine biodeutsche Lockerungsübung beim freimütigen Bekenntnis zum guten alten Rassismus und sie könnten sich bei der radikalen Rechten mit einreihen, um gemeinsam dem Tag X, dem Tag der großen Abrechnung entgegenzufiebern.

Als die AfD ihren Aufstieg begann und die Rechte in und außerhalb der Parlamente laut und lauter wurde, fing ich an, mich mit dem zu beschäftigen, was mir gleichzeitig immer stärker ins Auge fiel, mit Mikroaggressionen, wie sie mir auf meinen täglichen Wegen begegneten. Im November 2016 fasste ich meine Erlebnisse und Beobachtungen in einem kleinen Zyklus aus drei Sonetten und einer Vorstrophe zusammen. In den vorangestellten Versen hatte ich düster prophezeit, dass dort, wo die von mir geschilderten Schlägertypen sich zusammenschlössen, ihnen alles andere weichen müsse. Ich fürchte, sie haben auf der letzten „Hygienedemo“ einen großen Schritt aufeinander zu getan.

Schlägertypen

Drei kenne ich (und wüsste keinen vierten):
Den Taffen, der mit angelerntem Hohn
die Straffreiheit erprobt der Arrivierten,
den Pauper, schlagend weil geschlagen schon,
und den dazwischen, ängstlich Motivierten,
der seitwärts umlenkt seine Rebellion.
Drei ohne Halt. Wo sie zusammenfinden,
muss, was sich nicht zu ihnen passt, verschwinden.

 

Typ I

Auf einer Bank vorm Bahnhof Bitterfeld,
da sah ich einen, der, dem Wind entgegen,
starr aufrecht sitzend, jeder Zoll ein Held,
sich selbst bespie. Geekelt seinetwegen,

der mit dem Arm verrieb das Ausgespuckte,
stahl ich mich schnellen Schritts vom öden Platz.
Was wars, dass ich mich ängstlich duckte?
Der Mann, kaputt, getretner Bodensatz,

was könnt ihm gegen mich gelingen? Nichts,
zu stumpf, beim Spucken sich nach vorn zu biegen,
ein Stolpern wär sein Sprung. Doch angesichts

des Speichels auf dem Ärmel dieses Wichts:
An Unversehrtheit würde ihm nichts liegen.
Er fiel. Und spräng erneut, um mich zu kriegen.

 

Typ II

Und einen traf ich auf der Kreuzung. Er
von links, ich gradeaus. Normalgeschehn.
blieb zwanzig Zentimeter vor mir stehn.
Sein Automaul. Davor mein Fahrrad, quer.

Ein schwarzes Glastrapez glitt lautlos leer:
Auf meiner Vorfahrt wolle ich bestehn?
Und Kichern hört ich durch das Fenster wehn;
im Dunkel saßen noch zwei Recken mehr.

Man grinst: Entschuldigung. Der Wagen ruckte,
rückt näher, setzte an zum Überrollen –
sie gaben mir zu spüren, was sie juckte,

und ließen lachend mich für diesmal trollen.
Die Quittung wars; was trieb mich, als ich muckte?
Spaß hat, wer kann. Wer wird sich sträuben wollen.

 

Typ III

Noch einen fand ich. Zwischen Wald und Lauben,
per Rad, dem Stadtverkehr erst halb entwischt,
in meinen Nacken hörte ich ihn schnauben:
Ich hätt die Ampel überfahrn! Schon drischt

ein Mittelfinger Luft vor meinem Auge,
in mein Gesicht springt mir ein Milchgesicht;
ums Kind ging es, was dem mein Vorbild tauge.
(Im Hänger gab es eins – man sahs nur nicht.)

Was riss ihn da? Was fehlte und der Mann
knallt grob sein Rad ans nächstbeste Geländer,
(das Kind schlüg hart im Kinderwagen an),

in Klump zu hauen mich und jeden, wenn der
nicht allen Regeln folgen mag und kann,
zuwiderliefe, ihm, dem Normvollender.

 

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