vonkirschskommode 10.09.2020

Kirschs Kommode

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Ich halte den neu eingeführten und am heutigen 10. September 2020 erstmals durchgeführten, bundesweiten Warntag, an dem alle Sirenen heulen und alle Warn-Apps zwitschern sollen, für ein Stück – ein Mosaiksteinchen –  Kriegsvorbereitung. Die Botschaft, die mir um die Ohren geschrillt und gepiept wird, lautet: Dein (halbwegs) friedvolles Leben ist jederzeit vorbei. Ich will dazu nicht schweigen und warne ebenfalls. Vor dem Krieg.

In meinem Beitrag vom 02.09.2020 habe ich meiner Angst vor der Volksrevolution der Rechten Ausdruck gegeben, vor ihrem Tag X, an dem mit den Volksschädlingen abgerechnet wird. Aber die große Abrechnung, von der die Rechten so gern tagträumen, muss keine Machtergreifung sein. Es könnte der extremen Rechten durchaus genügen, die bestimmende, terroristische Partei in einem Bürgerkrieg zu werden. Und dieses Ziel ist viel leichter erreichbar. Für einen Bürgerkrieg braucht niemand Mehrheiten, einige Prozent der Gesamtbevölkerung sind Masse genug, wenn die nur finster entschlossen ist. Der Rest findet sich dann.

Einem polnischen Regierungspolitiker, dessen Namen ich leider vergessen habe, kommt das Verdienst zu, schon vor etlichen Jahren die endgültige Feindliste der Rechten formuliert zu haben. Außer den selbstverständlich und immer abzulehnenden Eingewanderten samt ihrer Kinder befanden sich auf seiner Liste: Feministinnen, Homosexuelle, Vegetarier und Radfahrer. Wer hat solche Feinde, wenn nicht der Auto fahrende, Fleisch verzehrende, auf seine althergebrachte Überlegenheit pochende weiße Mann? Und was verteidigt der so heftig, wenn nicht seinen durch und durch zerstörerischen Lebensstil, den er für sein angeborenes Vorrecht als Weißer und Mann hält? Um diesen zerstörerischen Lebensstil zu erhalten, muss aber, wie die Dinge liegen, ganz sicher niemand eine andere, neue Ordnung aufbauen. Es reicht aus, jeden Versuch einer Änderung des Bestehenden zu sabotieren, im äußersten Fall mit Waffengewalt. Genau deshalb, nehme ich an, marschieren die heutigen Rechten immer seltener in Reih und Glied auf, als Staatsmacht in spe und in strikter, anti-individueller soldatischer Formation. Sie sehen vielmehr zunehmend Landsknechten ähnlicher, sie sind Schlägerypen, jeder ein Original und alle zusammen ein wilder Haufen. Wie die bewaffneten Trump-Anhänger auf ihren Pick-ups eben.

Das Thema beschäftigt mich schon lange. Immer wieder habe ich versucht, zu verstehen und zu formulieren, was ich beobachten konnte. Am 29.07.2014 zum Beispiel habe ich notiert: „Das Versenken ganzer Regionen in den (Bürger-)Kriegszustand aus wirtschaftlichem Interesse – das ist wahrscheinlich kein Programm keiner Regierung und keiner Pressure Group. Aber das Päppeln der Neonazis durch staatliche Überwachungsbehörden würde wiederum dazu passen, denn die Nazis sind die ideale Bürgerkriegstruppe. Auch haben sie die passende Ideologie für jeden Kriegszustand, nämlich das tötend-Sterben-sterbend-Töten – das als Endzeitideologie des an seine inneren Grenzen sich vorarbeitenden Kapitalismus ebenfalls nicht unpassend wäre. Ich erinnere mich noch genau daran, wie einer meiner Kollegen bei TREX (Técnicas Reunidas Extremenas) irgendeine gefährliche Substanz achtlos in die Gegend schmiss und dazu nur bemerkte: contamina, planeta, verschmutz doch, Planet. Autofahrerideologie. Mein Spaß noch (auch Töten wird Spaß), und für den Rest der Welt ist es ohnehin zu spät. Aggressiver Ressourcenverbrauch bewusst und mit Lust auf Kosten anderer. Und wenn die Welt in Trümmer fällt – womit die Schnittmenge zwischen dem altbacknenen Retrogehabe der Neonazis und dem ostentativ-egoistischen Auftrumpfen der Turbokonsumenten benannt wäre.

Die große Linie der Mächtigen im Westen ist seit längerem recht unverhohlen die Kriegstreiberei. Widerstand gegen alle möglichen Missstände kommt dagegen vor allem von basisdemokratischen Bewegungen, die sich in letzter Zeit verschiedentlich gebildet haben und deren strikt egalitäre Prinzipien und ausgefeilt umständliche Diskussionskultur eine Vereinnahmung durch die Kriegstreiber ziemlich unmöglich machen – Krieg und lange Diskussionen unter Gleichen vertragen sich nicht. Bei diesen Bewegungen ist das Bestechende, dass ihre Aktionsformen neue Formen der gesellschaftlichen Organisation schon vorwegnehmen. Das ist aber auch ihre Schwäche, sie brauchen eine demokratisch-friedliche Grundlage, um sich entfalten zu können. In Ländern, die im Bürgerkrieg versinken, könnten sie nichts organisieren als einen Rest des zivilen Lebens am Rand des Geschehens. Insofern reagieren die herrschende Klasse und ihr militanter Anhang mit der Kriegstreiberei – die im „globalen Dorf“ automatisch immer Bürgerkriegstreiberei ist –  passgenau auf den Widerstand, auf den die manische Ausplünderung und Vernutzung der Welt stoßen könnte. Die basisdemokratischen Lösungsansätze entsprechen allerdings dem Stand der Produktivkräfte: Eine kooperative, von Konsensentscheidungen geprägte Vergesellschaftung der Ressourcen und eine weniger verheerende Nutzung derselben sind technisch machbar. Jede Maschine, die wir brauchen und die uns mühsam-mechanische Arbeit abnimmt, können wir bauen; die Produktivität ist so hoch, dass sich mit einem Drittel des Maschineneinsatzes von heute problemlos alle Einwohner der Welt mit Konsumgütern versorgen ließen; die sekundenschnelle Absprache ist rund um den Globus herum über riesige Entfernungen sowie in der unmittelbaren Nachbarschaft jederzeit zu leisten – wir hätten mithin sowohl Zeit und als auch Mittel, uns, im Verein mit allen anderen, um die Selbstverwaltung unseres Wirtschafts- und Soziallebens zu kümmern. Da wir dazu aber Frieden bräuchten, ist die Antwort auf solche kooperative Bestrebungen Terror: Krieg und Bürgerkrieg. Das ist die Lage und sie wird, wie ich fürchte, über Jahrzehnte so bleiben. Innerhalb dieser Dekaden kann die Kriegspartei die Gesellschaften über längere Zeiträume völlig unterjochen, aber sie wird nichts daran ändern können, dass der Stand der technischen Entwicklung die friedlich-egalitäre, demokratische Selbstverwaltung der Welt durch ihre Bewohner erlaubt. Daher werden die basisdemokratischen Bewegungen ab jetzt immer neu da entstehen, wo sie Bedingungen zu ihrer Entfaltung vorfinden: Rätedemokratie oder Krieg.“

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