Von Wiglaf Droste haben Klaus Cäsar Zehrer und Robert Gernhardt 2004 genau zweieinhalb Gedichte in ihr Buch Hell und schnell – 555 komische Gedichte aus fünf Jahrhunderten aufgenommen. Darunter eins mit der Überschrift Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, in dem Droste kurz und bündig reimt: Ich stand / Am Band.
Ich mag Drostes Witze oft sehr. Diesen liebe ich weniger. Aber um von zwei ausgewiesenen Kennern komischer Dichtung unter 555 komischen Gedichten aus fünf Jahrhunderten ausgewählt zu werden, kann der Witz doch so schlecht nicht sein. Ich könnte ihn zum Beispiel als spitzen Hinweis darauf lesen, dass gute Literatur nicht dadurch entsteht, dass Betroffene ihre Betroffenheit formulieren, und ein solcher Hinweis ist sicher sehr berechtigt. Dennoch stört mich etwas.
Hier ist ein Zusammenhang verschwunden, der 1989, als Droste sein Kurzgedicht veröffentlichte, noch gegenwärtig war. Der in Drostes Überschrift angeführte Werkkreis war eine Autorenvereinigung, die sich die Arbeitswelt zum Thema gesetzt hatte; aus ihm heraus und unter seinem Einfluss sind einige Klassiker der Dokumentarliteratur entstanden. Von Ausnahmen abgesehen stand hier allerdings niemand am Band. Was manche der Niemande jedoch durchaus nicht davon abgehalten hat, ihr lyrisches Ich in die Produktion zu schicken und an besagtes Band holpern zu lassen. Der von mir beargwöhnte Witz richtete sich vermutlich dagegen. Bei so vielen „Hilferuf an reiche Land“ (Originaltitel in einer Lyrik-Anthologie 2019) samt grauslich gereimter und ungereimter Fahrten ungefragter lyrischer Iche und Wire über das Mittelmeer, die ich seit 2015 lesen durfte, sollte ich Droste seinen Zweizeiler nicht allzu übelnehmen: Werkkreis Literatur der Flüchtlinge – Ich Not: / Sinkt Boot.
Doch wie wirkt das Gedicht ohne Kenntnis dieses Zusammenhangs? Wer den Werkkreis nach dem Wortlaut als einen Zirkel schreibender Arbeiterinnen und Arbeiter identifiziert, erhält eine andere Aussage. Schuster bleibt bei euren Leisten, sagt das Gedicht dann. Bleibt am Band und besingt es nicht, es kommt nichts Gescheites dabei heraus.
Das ist es, was sich von 1989 bis heute geändert hat und woran ich mich störe: Eine Breitseite, knapp gegeben, gegen eine wohlmeinend bemühte Stellvertreterliteratur im Namen der Arbeiterklasse kann nunmehr als Ausdruck von Überlegenheitsgefühl gelesen werden, nämlich über eine Arbeiterklasse, für die es keinen Weg zur Literatur geben kann, einfach deswegen, weil sie Arbeiterklasse ist. Dumm bleibt dumm, ungebildet bleibt ungebildet. Und deshalb mag ich den Witz nicht: Ich stand / Am Band.
Das Thema der Schublade „Klasse“ ist der Blick auf die eigene soziale Lage und Zugehörigkeit. Ein großes und breit gefächertes Thema. Diese Schublade werde ich wohl öfter aufziehen müssen.