vonkirschskommode 22.12.2021

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

Und mit mir erwerbslos sind alle meine Kolleginnen und Kollegen, die in Bildungseinrichtungen freiberuflich Präsenz-Kurse für Erwachsene geben – ich habe den Überblick verloren, in welchen anderen Bundesländern außer dem, in dem ich wohne, noch. Doch sind Kultur- und Bildungseinrichtungen regelmäßig die ersten, die geschlossen werden, sobald aufgrund hoher Zahlen, seien es Schulden oder Inzidenzen, etwas geschlossen werden soll. Im Fall von Inzidenzen und Kursen ist die Schließung nicht einmal unvernünftig; Sprechen zu zehnt oder zwölft oder mehr in geschlossenen Räumen und über Stunden ist wirklich nicht sehr empfehlenswert. Aber dass für die erwerbslos werdenden Fachkräfte gesorgt wäre oder würde, lässt sich nicht sagen. Zahlen steigen für Politiker*innen anscheinend immer überraschend – Leo Fischer hat darauf hingewiesen, dass sie aufgefasst würden, als seien sie Aktienkurse, Börsenkennziffern – Vorsorge ist also ganz und gar unmöglich. Auch wenn mir, wie vielen anderen, schon im Sommer klar war, dass ich im Herbst und Winter wieder Däumchen drehen würde. (Wenn ich doch mit meinen fast 62 noch leicht woanders unterkommen könnte!)

Die Leipziger Initiative Lehrkräfte gegen Prekarität hat auf ihrer Facebookseite begonnen, Texte von betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu veröffentlichen: “Stimmen aus dem Lockdown”. Darauf möchte ich aufmerksam machen (Beteiligung erwünscht!), indem ich meinen Beitrag zu der (noch) kleinen Serie hier in den Blog stelle:

Als ehrenamtlich aktiver Gewerkschafter bin ich eigentlich recht erfolgreich. Gewesen. Ich weiß nicht, was davon nach Covid noch übrig sein wird. Oder ob ich wieder ganz von vorn anfangen muss.

Aktiv bin ich seit über zehn Jahren. In eigener Sache, aber nicht allein. Ich war immer der Meinung, dass die vordringlichste Organisationsarbeit der Gewerkschaft bei den Erwerbstätigen stattfinden sollte, die am wackeligsten im Erwerbsleben stehen. Denn alles, was auch Leute in guten Jobs immer wieder treffen kann, zeigt sich bei ihnen in Reinform, in seiner ganzen Krassheit: das Friss-oder-stirb-Prinzip, wenn es um Bezahlung und Arbeitsbedingungen, das Heuer-und-feuer-Prinzip, wenn es um die Sicherheit des Arbeitsplatzes geht. Die Schwächsten, die mit den wenigsten Rechten müssen im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Arbeit stehen; die Arbeit mit ihnen macht allen klar, auch denen, die bereits gute Tarifverträge haben, dass Gewerkschaft kein Serviceverein sondern Notwehr und Notwendigkeit ist. Dafür habe ich mich innerhalb von ver.di und unter meinen Kolleginnen und Kollegen stark gemacht.

In erster Person, wie gesagt, als Deutschlehrer für Einwanderer und Einwanderinnen. Wie ich den Leuten in meinen Kursen immer wieder gern erkläre, wenn ich vor ihnen tot zusammenbrechen sollte, hätten meine Kinder Glück, wenn die Volkshochschule ihnen den Unterrichtstag komplett und nicht nur anteilig bis zur Minute meines Herzinfarkts bezahlen würde. Falls sie nicht überhaupt leer ausgingen und zwar bei allem, was ich bis zu meinem Tod noch nicht in Rechnung gestellt hätte. Da ja nur ich und niemand anderes die Rechnungen für meine Kurse schreiben kann. Mein Anspruch auf das Geld würde drei Jahre nach meinem Tod verfallen, denn es steht einer Honorarkraft jederzeit frei, durch Ableben auf das Honorar für geleistete Arbeit zu verzichten, das ist die recht- und billige Unrechtslage.

Davon, dass es so nicht zugehen darf, konnte ich, konnten wir immer mehr Kolleginnen und Kollegen überzeugen. Wir haben angefangen, 2014, mit Gesprächen in der Raucherecke des Schulhofs und hatten drei Jahre später so viele Leute in unserer Gruppe, dass über die Hälfte der wöchentlichen Unterrichtsstunden an der VHS ausgefallen wäre, hätten wir gestreikt. Was dann um ein Haar und sehr zu meinem Bedauern doch nicht passiert ist. Aber: Wir sind von 2014 bis 2020 immer aktiv gewesen, haben für einzelne Aktionen teilweise um die dreißig Beteiligte mobilisieren können und waren durch fantasievolle Auftritte medial präsent und politisch recht erfolgreich. 2020, im ersten Jahr der Pandemie, trotzen wir noch lange den Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und erfinden uns gleichzeitig noch einmal neu. Von einer an der Volkshochschule verankerten Betriebsgruppe schaffen wir den Sprung in eine allgemeine Betriebsgruppe für die gesamte Leipziger Weiterbildung durch Zusammenschluss mit anderen, sich gründenden Initiativen. Es gibt wahrscheinlich keine andere Gruppe in Leipzig, die im ersten Pandemiejahr sozialen Protest so sichtbar gemacht hat wie wir. Wenn wir heute auf das blicken, was wir, als Lehrkräfte gegen Prekarität, 2020 alles auf die Beine gestellt haben, empfinden wir fast so etwas wie Ehrfurcht.

Aber im zweiten Pandemiejahr geht uns die Puste aus. Unsere Treffen schrumpfen, immer mehr Kolleginnen und Kollegen satteln um, weil sie die Unsicherheit nicht länger ertragen. Andere ermüden, verkrümeln sich in die Einsamkeit des Online-Unterrichtens, ziehen sich zurück. Ohne den alltäglichen Kontakt an unseren Einsatzorten geht es uns so wie dem Riesen der antiken Sage, dessen Kräfte sich im Kontakt mit der Erde immer wieder erneuerten: Unser Gegner hält uns in der Luft fest, bis wir nicht mehr können. Es ist ein wenig greifbarer Gegner, der uns zappeln lässt – unsere Auftraggeber, die Politik – aber dass unser Zusammenhalt sich gerade mehr und mehr verliert, wird für irgendjemanden schon ein höchst willkommener Nebeneffekt der Pandemie sein. Über Jahre waren wir nicht mundtot zu kriegen, immerzu musste man mit uns rechnen. Doch jetzt scheint das Gegenmittel gegen zu viel gewerkschaftliche Belästigung gefunden zu sein. Bevor wir uns wieder rappeln, sind wir vielleicht endgültig veronlinert und ausgesourct.

Vielleicht auch nicht. Nur, ich bin jetzt über zehn Jahre in dieser Sache gewerkschaftlich aktiv. In wenigen Wochen werde ich 62, sobald meine Frau in Rente geht (spätestens Anfang 2025), wollte auch ich aufhören. Mein Ziel war immer, dass ich ab 60 so weit bin, dass die gewerkschaftlichen Aktivitäten auch ohne mich weiterlaufen, dass ich noch mithelfen kann, aber den Karren nicht mehr ziehen muss. Jetzt fange ich wieder bei Null an, muss jeden Kollegen, jede Kollegin, die ich treffe (falls ich mal wieder in die VHS komme), anquatschen, mehrmals und abermals, komm in die Gewerkschaft, komm zu unseren Treffen, es ist wichtig, wir brauchen einen Tarifvertrag, wir brauchen höhere Entgelte, mehr Sicherheiten, bitte, bitte, bitte. Und ich kenne die Ausreden längst auswendig, keine Zeit, kein Geld, ich trete keinem Verein bei, ich trete erst bei, wenn ich dafür Zeit habe, denn mit halbem Arsch, das ist nicht mein Stil, und jaja und sehr nett und ich komme vielleicht, ein nächstes, ein andermal, … Und ich war schon so verdammt viel weiter! Und zugleich ungleich motivierter, weil ich noch viel mehr Arbeitsleben vor mir hatte. Und nun? Schaffe ich das alles noch einmal von vorn?

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/stimmen-aus-dem-lockdown/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert