vonkirschskommode 28.06.2022

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

In Gedichten, schrieb ich, dem Sinn nach, beim letzten Mal, als es hier um Erinnerungen ging, sei der Unterschied zwischen längst Vergangenem und noch lebhaft Gegenwärtigem gering – neue Liebesgedichte eines Dichters oder einer Dichterin würden deshalb wenig oder keinen Aufschluss über sein oder ihr aktuelles Liebesleben geben. Diese Umstände begünstigten das Liebesgedicht, während das Erinnerungsgedicht, dasjenige, das den zeitlich großen Abstand thematisiert, eher ein Schattendasein führt. Außer der „Erinnerung an die Marie A.“ von Brecht fällt mir auf Anhieb kein klassisches Beispiel ein.

In der Dichtung kann es immer nur um die eingefangene, in Sprache übersetzte (innere) Bewegung gehen, um das Durchleben einer Situation, in die das Gedicht die hineinzieht, die es lesen. Soll die Erinnerung zum Thema, zum Anlass und Antrieb eines Gedichts werden, muss sie sich selbst wandeln, während sie aufgerufen wird. Denn sehe ich nicht neu, was war, dann war es nicht, es ist noch, und ich erhalte, greife ich es auf, kein Gedicht über Erinnerungen. Wird jedoch der Blick zurück selbst zum Erlebnis, das, wie man so sagt, „alles“ ändert, dann habe ich eins.

Die folgenden zwei Gedichte gehören zu dem am 7. Juni hier im Blog mit dem Titel „Vergeblich ist vergeblich lieben“ veröffentlichten. Sie sind aus einem Anlass und in einem Schwung entstanden und in allen dreien stehen Gestalt und Erscheinungsbild junger Frauen im Zentrum, ebenso in meiner Erinnerung wie in der Gegenwart. Im dritten geht es um einen Menschen, den ich verloren habe, vor vielen Jahrzehnten schon und, endgültig, vor einem Jahr.

Fünfzehn, sechzehn (2)

Tatsächlich, manche Kataloge
sind sehr geschmackvoll, Mannequins
in Wohnlandschaften, eine Woge
geraffter Stoffe um Bassins,

gedeckte Tische unter Bögen,
fein abgestimmtes Farbenspiel;
es kostet alles ein Vermögen,
doch es hat unbestreitbar Stil.

Die Models, höchstens fünfzehn Jahre,
mal Kindfrau, mal petite fatale,
gepushte Lippen, Augenpaare
verschattet, trist. Und nicht mein Fall.

Die Streichholzbeine, Pingpongbrüste,
das schmalste Hemd wird Tunika.
Auch ich war fünfzehn und ich wüsste
von keiner, die wie die aussah.

Was magert Frauen zu Gestänge,
zu schmälern ihren Selbstgenuss?
Vermied als Spund ich Mädchenfänge,
wars Schüchternheit. Hier wärs Verdruss.

*

Antje

Wir kannten uns von Kindesbeinen,
von frühem Händchenhalten an.
Vertraut bis zum gemeinsam weinen
und öfter seltsames Gespann.

Ich kam nie über eine Szene;
ein Wiedersehen, lang zurück.
Dass ich den Schreck mir überdehne,
gespiegelt lags in ihrem Blick.

Sie war verschwunden ins Gerippe:
Ich sehs, wies durch die Jacke sticht,
die Hungerzähne ohne Lippe,
den Schädel, bleckend durchs Gesicht.

Es schlug mich in die Flucht. Doch Wesen
wie sie – stehn am Laternenpfahl
und lächeln: bunte, alte Besen,
besiegt das Fleisch, stolz auf die Qual.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/strich-in-der-landschaft/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert