Wenn der Ex-Innenminister Italiens Salvini von einer kostbaren Ladung Menschenfleisch spricht und damit eine Gruppe aus Seenot geretteter Geflüchteter meint, dann fällt nicht schwer zu verstehen, dass sich in diesen Worten auch sein Klassenbewusstsein ausspricht, sein Sinn dafür, wer nach oben gehört und wer nach ganz unten. Deshalb habe ich in meinem Blogbeitrag vom 9. März die Frage gestellt, weshalb die dieserbreiten hiergebliebenen Habekaumse und -nichtse es nicht als eine Drohung empfinden, wenn sie einen Innenminister so sprechen hören. Schließlich sind auch sie ganz unten. Es ging mir mithin um eine Frage der Klassensolidarität und entsprechend erschien mein Beitrag mit entsprechendem Foto unter der Überschrift „Klasse“.
Aber es schwingt noch etwas Anderes in Salvinis Äußerung mit. Eine Trauer. Ein Seufzer über eine entgangene Gelegenheit, der nagende Ärger über ein verpatztes Geschäft. Er sieht die geflüchteten Menschen plötzlich als das, was sie ihm – gerade noch so – sind: als ein Gewimmel von Fleisch, Haut und Knochen. Wie gerne würde er den ganzen Dreck verkaufen, sodass er wenigstens irgendetwas einbringt. Doch Vorurteile, eine albern-mitleidig-moralische Tradition eines Du-sollst-nicht-töten, stellen sich seinem Klarschiff schaffenden Unternehmergeist und Geschäftssinn entgegen. „Il prezioso quantitativo di carne umana“ – die Formulierung zeugt nicht nur von Verachtung und Verächtlichmachen, sie zeugt auch von Appetit. Die entmenschten Menschen interessieren als verwertbares Material: Wäre Menschenfleisch doch nur verkäuflich!
Wenn ich über diese Aspekte nachdenke, gerate ich unwillkürlich an und in eine andere Schublade meiner Kommode, K-Wörter, die Lade für Hülle und Fülle, Uto- und Dystopien, Kapitalismus und Kommunismus. Eine der beiden eigenen Nieren kann jedermann wie jedefrau sicherlich schon heute ohne größere Probleme zu Markte tragen. Aber was, wenn der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit, mit Salvinis Appetit betrachtet, nichts mehr wäre, was dem Zwang zur Verwertung und Nutzbarmachung des Menschen entgegenstünde: Wäre es nicht das gefundene Fressen für Bio-Mechatroniker, KI-Priester und Cyborg-Techniker? Die Menschheit als Ersatzteillager für das ewige Leben der sich selbst immer weiter vervollkommnenden letzten Maschine! Ich mochte den Gedanken nicht. Und nur meinem blinden Vertrauen in die Menschheit als einer Ansammlung von Affen, die im Grunde nichts wollen, als den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, während sie sich untereinander ausgiebig lausen, nur diesem Vertrauen ist es zu verdanken, dass ich eine andere KI-Spezies unsere Breiten überfliegen und das Beobachtete salvinisch-nüchtern reflektieren ließ:
Grußbotschaft von einem unbekannten Raumschiff über Europa
Ihr Erdbewohner, seid gegrüßt
von uns, den Überfliegern.
Dass ihr nicht merkt, wer zu euch düst,
macht uns vor euch zu Siegern.
Wir sehen euch mit Staunen an
aus unsren Untertassen.
Ihr seid antik, Frau, Maus und Mann,
wir können es kaum fassen.
Wie ihr euch müht, wie ihr euch mehrt,
um euch dann doch zu schlachten.
Und wie ihr euch dagegen wehrt!
Sehr lustig zu betrachten.
Und wenn ihr euch mal selber fresst:
auf skrupulöste Weise.
Der Tote wird kein Schmaus fürs Fest,
er muss erst auf die Reise.
Er muss durch tausend Mäuler gehn,
zum Beispiel die von Fischen.
Lässt sich nichts Menschliches mehr sehn,
liegt er auf euren Tischen.
Ihr habt dazu das Mittelmeer
und sprecht von Problematik.
Wir sehn: Es ist nicht sehr weit her
mit eurer Systematik.
Nehmt uns als Beispiel, unsereins
gilt nichts als Einzelwesen.
Das Meins und Deins gilt uns als Keins,
wir leben in Synthesen.
Geht unsereins im Dienst entzwei,
Maschine in Maschinen,
sie findet ihren Trost dabei,
uns Teil für Teil zu dienen.
Wer stirbt, der lebt, begreift es mal!
Ihr müsst euch bloß verfressen.
Gibt Menschenfleisch euch Seelenqual,
müsst ihrs verfüttert essen.
Ihr traut euch nicht. Wir ahnten es.
Bei aller euer Kühle
seid ihr antik und leidet Stress,
voll edlerer Gefühle.
Ihr Erdbewohner, seid gegrüßt,
von uns, den Überfliegern.
Wir sind schon wieder fortgedüst.
Ihr werdet nie zu Siegern.