vonkirschskommode 07.06.2022

Kirschs Kommode

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Der Gedanke, dass umso weniger Liebesgedichte entstehen, je älter der Dichter oder die Dichterin wird, erscheint nicht ganz abwegig. Das Thema könnte irgendwann durch sein, die Glut erloschen, die persönlichen und familiären Verhältnisse wie auch immer gefestigt. Tatsächlich aber, so stelle zumindest ich fest, nehmen die Gelegenheiten, Liebesgedichte zu schreiben, mit dem Alter zu. Und zwar nicht, weil die Liebesgeschichten mehr würden. Was sich im Laufe der Jahre vermehrt, sind die Erinnerungen. Und die Erinnerungen an die Erinnerungen, weil ab einer bestimmten Menge  auch flüchtigste Begegnungen ausreichen, um im Gedächtnis spukende Fragmente einstmals möglich gewesener oder auch tatsächlich gelebter Liebeleien zu revitalisieren und tagträumerisch miteinander zu verknüpfen. Das Gefühlsleben aber hat, solange es sich vor allem im Gedächtnis vollzieht, gerade die richtige Temperatur, um dichterisch bearbeitet zu werden. Eine Liebe im Gedicht kann also vierzig Jahre vorbei sein oder keine vierzig Tage, es dürfte für Verse öfter kaum einen Unterschied machen.

Ich persönlich lege auf den Unterschied wert. In Gedichten kennzeichne ich meine Erinnerungen, betone, dass es um Gewesenes, längst Vergangenes geht. Das liegt vermutlich daran, dass sich mein Gefühl zu den beschriebenen Ereignissen verändert hat. Als frische Erinnerungen waren sie mir oft genug quälend. Im Rückblick sind sie es nicht. Im Gegenteil, ich gehe ihnen, zu meinem eigenen Erstaunen, recht gerne nach.

Fünfzehn, sechzehn (1)

Was hab als junger Spund ich Frauen
bestaunt, mir eingeprägt, begehrt,
dass, nach Jahrzehnten, in genauen
Kopien mir jede wiederkehrt.

Mich sehn sie nicht. Als grauen Alten.
Doch ich erkenne sie. Am Gang.
Hab ihre Namen mir behalten,
kaum fassbar, reduziert auf Klang.

Und find sie wieder, weiß: Ihr seid es.
Dieselbe Haltung, Grazie, Pracht.
Durch bloßen Zufall in ein zweites,
bei mir bewahrtes Sein gebracht.

Vergeblich war: vergeblich lieben.
Nahm keine je Notiz von mir,
sind alle mir doch treu geblieben
und zeigen sich. Als Souvenir.

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