07.10.2021
Einen für mich sehr prägenden Satz habe ich neulich durch Zufall wiedergefunden. Ich wusste nicht mehr, woher er stammt: „Das Ineinander von extremer Kunstsprache und vernutzter Redensart ist seiner Poesie nicht äußerlich: es macht ihren Kern aus.“ Hans-Magnus Enzensberger in seinem Nachwort zu seinen Übertragungen von César Vallejos Gedichten, 1963.
04.11.2021
Nachträge aus der Notizkladde:
Das Witzeln alter weißer Männer,
die sich für so viel klüger halten,
ihr Auftreten als smarte Kenner …
Man sitzt auf seinem Posten,
die Welt darf nicht zu retten sein,
es könnte ja was kosten.
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Wer, zum Beispiel, mietet, wohnt
erwerbslos nur, wenn man ihn schont.
Es gibt kein Wir im freien Markt:
Denn wer nichts hat, wird weggeharkt.
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Spanisches Sprichwort: Was dich nicht umbringt, das mästet.
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Alles nervt. Der Wind, die Wolken,
die als leere Schatten ziehn,
Sinn sich aus dem Leben polken,
Niedergang als Evergreen.
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Über einen Blasierten: Manchmal ist er schlauer, als er tut.
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Was Rezo bei der Vernichtung der CDU vergessen hat, ist die Tatsache, dass die meisten der anderen im Parlament vertretenen Parteien kaum mehr als Fraktionen der CDU sind: Die AfD ist ihr nationalistischer, ultrakonservativer Flügel, die SPD ihr christsozialer, ordnungsvernarrter, die Grüne Partei ihr kirchlicher, naturromantischer und die FDP ihr marktradikaler. Nach Politikern: Maaßen, Merkel, Röttgen, Merz. Die Schmach der Linken ist, das nicht sehen zu wollen und unbeirrt alles daran gesetzt zu haben, bei ihren Lieblingsvertretern der Einheitspartei, die Blockflöte spielen zu dürfen.
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Wählt die Reichen! Wählt die Reichen!
Die gehn graziöser über Leichen.
Sterbehilfe, wenn du arm bist:
Weil auch ihr Mitgefühl ganz warm ist.
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Wenn ich vor meinen Schöpfer trete,
milde lächeln wird der Alte,
mütterlich in seiner Allmacht …
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21.12.2021
Impfverweigerung: Ist es die Rückkehr des Soldatisch-Heldischen, nämlich mit möglichst schwülstigen Worten auf den Lippen ganz unbedingt sterben zu wollen und zwar für nichts? Wie ehrenvoll! Wie süß! O Freiheit, o Vaterland!
Die Ortsgruppen der Klimabewegten könnten Fünf-Jahresplan-Arbeitsgemeinschaften bilden, um ganz konkret für ihre Wohngegenden Maßnahmenkataloge zu erstellen: An welchen Stellen, zwischen welchen Baumscheiben der Bürgersteige man entsiegeln könnte, wo zum Spielen und Liegen unbrauchbare Rasenflächen mit hiesigen niedrigen Stauden bepflanzt oder in Gemüsebeete umgewandelt werden sollten, welche Fassaden und Dächer begrünt, in welchen Straßen der Belag auf Fahrstreifen reduziert werden könnte, wo Regenwasserzisternen, wo Biokläranlagen und Teiche angelegt, wo Photovoltaik- und Windanlagen installiert, wo Nisthilfen für die Avi- wo Unterschlüpfe für die übrige Fauna angebracht, wie die Verkehrsführung fußgänger- und radfahrerfreundlicher gemacht sowie die Straßenbeleuchtung inskektenfreundlicher. Es ginge darum, aufzuzeigen, was allein mittels einer Gemeindeordnung schon zu verändern sei, wenn man sich in den Rathäusern nur traute, die Maßnahmen ähnlich durchzusetzen wie den Anschluss der einzelnen Wohnhäuser an das Kanalnetz. Über die Finanzierung dagegen würde man nicht diskutieren, mit dem Argument, dass es sich um notwendige Maßnahmen zur Abwehr eines großen Notstandes handele, deren Finanzierung man nicht anders behandeln könne als die des Ordnungsamtes oder der Schulen. Bei geschicktem Auftreten würde so Druck auf die Rathäuser entstehen, das Machbare nicht ungemacht zu lassen. Bei den Gewerkschaften fände man sicher Unterstützung, denn lokale, sichere Arbeitsplätze würden nebenbei entstehen.
04.01.2022
Die Alpen packt der Feldmarschall
samt Elefanten: Hannibal.
Auf Andengipfeln sich herumtollt,
tief schürfend: Alexander Humboldt.
Das Unerklommne macht längst Stress der
Gebirgswelt: Wo bleibt Messner?
Doch ich, Karl Kirsch, der Minderleister,
ich schaff es nicht mal: übern Deister.
05.01.2022
Es hat mich immer genervt, das die-Letzten-ihrer-Art-Gerede, das ich schon aus der Generation meiner Eltern kenne: die letzten echten Frauen oder Männer, die letzten wahren Kavaliere, die letzten Revolutionäre, die letzten großen Musiker, die letzten Romantiker, die letzten Universalgelehrten, die letzten, die letzten, die letzten. Ist das ein typisch deutsches Phänomen, weil das Dritte Reich untergegangen ist, nachdem es zuvor genau darauf gesetzt hatte, entweder zu siegen oder unterzugehen? Und betrauern sich hier die Nachfahren, weil sie persönlich den glorreichen Untergang verpasst haben? Ich will nicht leugnen, dass tatsächlich vieles, das erhaltenswert wäre, verschwindet, nämlich ersetzt wird durch etwas, was keinesfalls an es heranreicht, der Verfall der Gebrauchswerte eben, der auch den Gebrauchswert von Dienstleistungen umfasst, was sich auf die Haltungen derer auswirken muss, die diese Dienstleistungen erbringen. Aber daran ist nichts Unwiederbringliches. Gäbe eine Wende den Briefträgern die Zeit zurück, mit den Empfängern der von ihnen überbrachten Briefe und Pakete zu schwatzen oder sie lang und umständlich zu suchen, dann würden sie es tun. Wer aber melancholisch vom letzten Briefträger alten Schlages spricht, wie es sie heute sonst nicht mehr gibt, der verschiebt Ursache des Wandels zum Schlechteren bei Dienstleistungen und Dienstleistern ins Menschliche, Charakterliche und sieht von den tatsächlichen Ursachen ab. Doch es ist nicht dies bewusste Wegsehen, das mich am Letzten-Gerede nervt, es ist die indirekte Botschaft an mich und meine Mit- wie Nachwelt, dass von uns nichts kommt, dass aus uns nichts wird. Nun mag der Verlust „echter“ Männer, vielleicht sogar der „echter“ Frauen, verschmerzbar sein, aber, um ein anderes Beispiel zu nennen, mit der Revolution bin ich und sind andere noch nicht fertig, der letzte Revolutionär, die letzte Revolutionärin ist noch nicht dagewesen. Und so bei vielen angeblich Letzten ihrer Art, es gibt hier nichts totzusagen und keine Messen zu singen, außer auf Kosten derer, die unverdrossen weitermachen.
20.01.2022
Leute, in den Weg gestellt,
bringt alles zum Erliegen!
Stoppt die überdrehte Welt,
ihr sich zu Tode siegen!