26.02.2021, vzg. Wovon ich ebenfalls nichts verstehe, wenigstens nichts über das hinaus, was sich in den Büchern von Guy Deutscher dazu lernen lässt, ist von Linguistik und Sprachgeschichte, was nicht heißt, dass ich das Thema nicht lieben würde. Sprache ändert sich und es interessiert mich, sie dabei zu beobachten. Allerdings höre oder sehe ich kaum noch hin, wenn es um den Krieg der Sternchen, sprich ums Gendern geht, denn dabei geht es um doppelt und dreifach verlorene Schlachten, aus denen schon vor ewigen Zeiten die tapferen Streiter*innen für das Sternchen als Sieger:innen hervorgegangen sind, leider ohne dass ihre GegnerInnen das jemals kapiert hätten, weswegen sie die ermüdend hohle Debatte, unterstützt von immer um Themen verlegenen Journalist_innen, wieder und wieder aufleben lassen. Doch so selbstverständlich wie Gökhan, Sedat, Fatih oder Ferhat deutsche Namen sind – die meisten der anderen in Deutschland gebräuchlichen Vornamen, bis hin zu den ältesten, haben auch keine deutscheren Wurzeln – so selbstverständlich ist es auch, dass jeder Mensch aus einer Mischung von Frau und Mann entsteht, die dabei in jeweils sehr unterschiedlichen Anteilen neu abgemischt wird. Ich kann, wie jeder und jede weiß, Mund, Nase und Augen meiner Mutter und nur die Sommersprossen meines Vaters haben, ebenso verhält es sich mit meinen drei oder vier wichtigsten Charaktereigenschaften. Die Androgynie des Menschen, physisch wie psychisch, ist mithin eine unvermeidliche Tatsache – was in aller Göttinnen Namen ist dann und war dann je gegen den Versuch zu sagen, diese Tatsache sprachlich etwas mehr herauszukitzeln? Selbstverständlich sind alle Ärzte Ärzt*innen, was immer in ihren Ausweisen dazu stehen mag. Das Umgekehrte als Sprachnorm stammt aus einer Zeit, in der Frauen keinen oder längst nicht jeden Beruf ergreifen durften. Das mag verteidigen, wer will.
Gleichzeitig glaube ich nicht, dass die Sternchen und ihre Verbündeten sich lange halten werden. Ihre Botschaft ist angekommen, doch die überaufwendige Verpackung der Botschaft ist vermutlich recht zerbrechlich und wenig verschleißfest. Es könnte sein, dass Abbas Khider mit seinem Buch „Deutsch für Alle“, ohne darauf abzuzielen, einen größeren Beitrag zu einer gender-gerechteren Sprache geleistet hat, als zwanzig oder dreißig Jahre Binnen-I, Unterstrich, Sternchen und Binnen-Doppelpunkt zusammen: Er schlägt zur leichteren Erlernbarkeit von Deutsch vor, die Dreiheit der Artikel und damit die grammatischen Geschlechter abzuschaffen. Seine Form „de“ für der-die-das halte ich für sehr nah an dem, was maulfaulen Sprecher*innen gerade recht wäre; bei „e“ (kurz und offen gesprochen) für ein-eine könnte ein „ne“, vor allem in Norddeutschland, eine Zeitlang konkurrenzfähig sein. Aber hat ein neutraler Einheitsartikel sich erst einmal durchgesetzt, e Arzt, de Ärztin, wird die Maulfaulheit den Rest schnell erledigen, das „in“ und den Umlaut schleifen und e Arzt ist e Frau oder e Mann oder beides, je nachdem, wie er oder sie sich gibt und gesehen wird. Englische Zustände und späte Genugtuung für die berufstätigen Frauen der DDR, die ebenso gut bezahlte wie geachtete Baggerfahrer, Starkstromelektriker oder Lehrer waren wie ihre männlichen Kollegen, und die höchstens in den höheren Führungsetagen das Bedürfnis gehabt hätten, mit der Betonung des „in“ mehr Platz einfordernd auf den Tisch zu hauen.
P.S.: Es ist auf eine seltsame Weise befriedigend, dass ich, was ich auch schreibe, immer wieder bei den gleichen unangenehmen, un- oder kaum besternten Zeitgenossen ankomme, um sie gleich mit abwatschen zu können. Die Sternchen-Gegner sind meistenteils auch Gegner der Einwanderung. Sie sind es aus Instinkt. Noch viel stärker als Feminismus und LTBQ ist es die Mehrsprachigkeit einer Gesellschaft, die in der Umgangs- und Verkehrssprache Veränderungen anstößt. Und beschleunigt. Und so kommt das Gezeter zuverlässig aus ein und derselben Ecke: Genderwahnsinn! Sprachverfall! Umvolkung! Sie haben längst verloren.
P.P.S.: Dem „in“ nachtrauern muss später eigentlich niemand. Lese ich ältere Bücher, hat es darin eine Bedeutung, die es als Suffix der Frauenemanzipation im Prinzip völlig untauglich macht. Es bedeutet „Frau von …“. Die Schneiderin ist die Frau des Schneiders, die Ingenieurin Frau des Ingenieurs, die Kanzlerin Frau des Kanzlers, die Kirschin wäre meine Frau. Das klingt nicht gerade nach der Hälfte des Himmels und der Erde, nicht einmal nach Brot und Rosen.
P.P.P.S.: Nach dem zuvor Gesagten wird auch niemand darüber böse sein, dass ich mich neulich in einem meiner „Märchen in vier Zeilen“ über das „in“ und seinen Einsatz bei der Karriereplanung lustig gemacht habe. Aus Wortspieldrang. Dass benachteiligte Gruppen im Berufsleben bevorzugt werden, bis sie keine benachteiligten Gruppen mehr sind, finde ich vollkommen in Ordnung. Die Hälfte der in den Medien über dreißig Jahre lang viel beachteten Empörung darüber, dass Pfarrerskinder in der DDR öfter mal kein Abitur machen und nicht studieren durften, verdankt sich dem Umstand, dass stattdessen die kulturlose Brut des Landarbeiters und der Maschinistin ihr Abitur machte und zur Universität ging, anstatt bescheiden dort zu bleiben, wo der Schöpfer sie hingestellt hatte: unten. Diese durch, sicherlich ganz und gar gottlose, positive Diskriminierung zustande gekommene Ungerechtigkeit eines Unrechtsstaates ist gründlich überwunden, in ganz Deutschland hängt der Bildungserfolg wieder in erster Linie vom sozialen Status und Einkommen des Elternhauses ab und nichts mehr kann, wenigstens in dieser Hinsicht, das Glück der Pfarrerskinder schmälern. Für das Glück etlicher anderer gäbe es allerdings wieder mehr zu tun.
Die Leiter
Es half mal eine Leiter
sich selbst beim Aufstieg weiter:
Mit wachem Sinn fürs in
war sie schnell Leiterin.
02.03.2021, vzg. Ich halte mich also bei Sternchen und Stern*innen mit eigenen Vorschlägen zurück und setze darauf, dass die Sprachentwicklung das leidige Problem der Mannszentriertheit des Deutschen von selbst lösen wird, mit dem üblichen ihr zu Verfügung stehenden Mittel des Verschleißes. Bei anderen Dingen ist das nicht so einfach, da möchte ich die große Sprachreform sofort anmahnen, am besten per Regierungsdekret und verbindlich für jede Redaktion jedes, auch noch des unbedeutendsten Mediums, Bußgeldkatalog inklusive. Am dringlichsten wäre mir das beim Wetter, immer dort, wo das Wetter zur Nachricht wird, wie das bei hunderten und tausenden Gelegenheiten täglich geschieht. Es ist nach drei oder vier Dürrejahren und noch mehr Sommern mit Hitzerekorden nicht mehr zu ertragen, von schönem, gutem, freundlichem, heiterem Wetter sprechen zu hören oder lesen zu müssen, wenn jeder Tropfen, der nicht fällt, die schon jetzt ausgewachsene Katastrophe verschlimmert. Strahlend blauen Himmel angekündigt zu bekommen, bedeutet, eine Schreckensnachricht zu empfangen. Und einzig und allein das seit über hundertzwanzig Jahren im Umlauf befindliche „Kaiserwetter“ ließe ich noch gelten, denn der Kaiser war wahrhaftig auch schrecklich. Doch einfach wird die sprachliche Umwertung nicht, es fehlen Tradition und passende Adjektive. Außerdem ist kalte Nässe auf der Haut unangenehm, Wärme aber angenehm, sodass die Umwertung nur über die Einsicht möglich ist, was ihre Erfolgsaussichten schmälert. Aber es führt kein Weg an ihr vorbei. Ich schlage vor, „schönes“ Wetter ab jetzt sprödes Wetter zu nennen, und „schlechtes“ echtes. Das unbarmherzige „heiter“, mit dem mir der Sonnenschein im Radio nach jedem halben Regentag schmackhaft gemacht wird, würde ich heiter durch „unbarmherzig“ ersetzen, das irreführende „freundlich“ durch ein realistischeres „zurückhaltend“, das frohlockende „wolkenlos“ durch ein bedauerndes „wolkenleer“. Ebenso: „locker bewölkt“ durch „wolkenarm“; „stark bewölkt“ durch „wolkenreich“, „nass“ durch „wasserreich“ – das letztere in Abstufungen von „mäßig wasserreich“ bis „sehr“ oder sogar „üppig wasserreich“. Ergänzende Vorschläge sind mir willkommen. Alles, alles, damit die Nachrichtenkonsumenten und Konsumentinnen auf allen Kanälen endlich Tag für Tag daran erinnert werden: Bei sprödem Wetter fehlt ihnen, bei echtem Wetter bekommen sie, was sie brauchen. Wasser.
Unter Schönwetterlandschaften
Mal sehen, sprach die Steppe,
ob ich das Land aufpeppe.
Das Grün kommt auf die Seite
und dafür schaff ich Weite.
Ach, spottete die Wüste,
und wenns mal regnet, blühste.
Lass es uns weiter treiben:
Das Nass muss ganz fortbleiben!