Womit ich wohl auch durch bin, ist der Feldkircher Lyrikpreis. Neunmal habe ich daran teilgenommen, immer aus sportlichen Gründen und habe meine teils grimmige Freude an der Arbeit gehabt. Und genau so oft bin ich aussortiert worden. Natürlich war es zuerst mein Ziel gewesen, die Zehn voll zu machen, doch ist Neun im Prinzip keine schlechtere Zahl. Der Reiz ist verflogen, seit ich das Gefühl habe, in der Auseinandersetzung mit den meistens reichlich prätentiösen Motti – jedes Jahr eine Zeile aus dem Siegergedicht des Vorjahres – nicht mehr allzu viel lernen zu können.
Nicht verflogen, mehr verkrümelt hat sich ein anderer Antrieb, der Tagtraum von dem lustigen Buch, das die Motti, meine Versuche zu ihnen und zehn glorreiche Siegergedichte zusammen ergeben würden. Ich glaube, dieser Tagtraum war verknüpft mit einem anderen, mit dem vom beschaulichen Alter, das mir Muße lässt, doch noch sinnlos berühmt genug zu werden für sinnlose Publikationen. Aber, da ich leider vergaß, rechtzeitig meinen Einfluss auf die Politik geltend zu machen – sodass diese jetzt, schlecht geleitet, sich immer tiefer in Krieg und Kollaps hinein wirtschaftet – fürchte ich sehr, dass man mir am Ende das Beschauliche am Alter zerkloppt, und bin demotiviert.
Aber vergnüglich war es mit dem Feldkircher Lyrikpreis. Fast am vergnüglichsten war es 2016 mit Susanne Eules. Sie und ich, wir sind ein Traumgespann, ein Jahrgang, sie Westdeutschland, ich Westberlin, ihr Leben ein immerwährendes Austauschjahr in Übersee, meins – nun ja, ich lasse das; wir sind ganz sicher dazu geboren, übereinander die Nasen zu rümpfen und das entstellt unsere schönen Mienen und muss nicht sein. Ihr Motto, also eine Zeile aus dem Gedicht, für das sie im Vorjahr (2015) den Feldkircher Lyrikpreis zuerkannt bekam, war dasjenige, das ich von allen neun Motti am liebsten bedichtet habe.
I
Die Vorgabe war: Von der Kante des
Kalenders stürzt die Zeit. Wie selten dämlich:
Ein nicht-sichtbares Bild. Bedichte es!
Von den Kalenderkanten stürzt sich nämlich
Im Zweifel nichts und Zeit schon gar nicht. Hier
Macht leeres Wortgeklingel auf Bedeutung,
Und keine Wirklichkeit enthüllt sich mir
Frappierend neu durch dichterische Häutung.
Hier wird nichts fest, hier zieht es höchstens Fäden.
Am leichtesten erhält man hier Gespinst;
Diffus: Dass keiner über Nonsense grinst.
Ich habs probiert und muss nicht länger reden,
Kalenderkantenzeitsturz, das ist stark
Als Ulk. Wers ernst nimmt, landet auch im Quark.
II
Die Kalender haben Kanten,
Darauf, siehst dus?, kleine Tanten
Akrobatisch sich vergnügen,
Das sind keine Dichterlügen:
Göttinnen sind sie der Zeit –
Dein Kalender macht sich breit,
Oben Löcher, Ringspiralen,
Unten ordentlich die Zahlen,
In der Mitte die Motive,
Schrumpfkunst, Kitsch ist inklusive,
Jeder Monat bringt ein Bild,
Das dir Bildungshunger stillt.
Doch Vergänglichkeit, sie wohnt
Nebendran gleich und es lohnt,
Hier genauer hin zu schauen,
Auf die winzig kleinen Frauen,
Die entlang der Kanten hangeln,
Zeit kann Göttinnen nicht mangeln,
Zwölfe warens zu Beginn …
Hey, wo sind sie alle hin?!
Von den Kanten der Kalender
Stürzt die Zeit hinab die Ränder!
Gut, die Göttinnen sind klein –
Stubenfliegen? Könnte sein.
III
Gib nur Kante, volle Kante,
Zeig nur, was die Stunde schlägt,
Zeit, das ist der intrigante
Tod, der dich im Alltag trägt.
Prallgefüllte Buchkalender,
Töne, die dein Händi fiept,
Leiten dich wie ein Geländer
Durch ein Leben, das zerstiebt.
Mit dem Fiepen, von den Seiten,
Stürzen Stunden von uns weg,
Zeiten, die uns fest begleiten,
Nageln uns an ihren Zweck.
Gib mir Kante, volle Kante,
Zeig mir, was die Stunde schlägt,
Zeit, das ist der intrigante
Tod, der mich im Alltag trägt.
IV
Eine Stunde, Liebe, lege
Auf die hohe Kante mir.
Treffen sich dann unsre Wege,
Finden wir uns ein bei ihr.
Diese Stunde. Oben liegt sie,
Zeit, vom Leben abgespart.
Den Kalenderbogen biegt sie,
Zeit, die der Erfüllung harrt.
Als wir uns dann wieder trafen,
Langten wir zu ihr hinauf.
Ungeschicklichkeit bringt Strafen:
Zeit! Sie fällt! Und schlägt tot auf.
V
Leg nicht, Lieber, den Kalender
So auf Kante, auf die Ränder
Unsrer Tische, Stühle, Betten:
Wer soll ihn vorm Fallen retten?
Kleine Stöße würden langen,
Schon kannst du ihn nicht mehr fangen.
Alle durchgeplante Zeit
Träte sich am Boden breit.
Zeit, sie rauscht im Bogen nieder,
Niemals findest du sie wieder:
Von den Kanten die Kalender,
Rück sie ab, vermeid die Ränder!