vonlukasmeisner 28.02.2023

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Erinnern wir daran immer und immer wieder: seit Beginn der 2000er hatten wir als mediale Themen vornehmlich Terrorismusgefahr, Finanzkrise, Bankenkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Trumpkrise, Coronakrise – und seit einem Jahr haben wir die Ukrainekrise. Es gab medial damit immer nur die eine inhaltliche Krise in der sukzessiven Abfolge ihrer bleibenden Form, während je alles andere als nichtig, wenn nicht wegerklärt wurde. Wo aber sind die Bedrohung durch den Terrorismus, die schwelende Finanzkrise, die weiter anhaltende Corona-Realität seither? Wohin sind sie abhandengekommen? Es ist ein bisschen wie mit dem Mond und der Frage, ob er noch da sei, wenn man ihn nicht anschaue. Auch all die Krisen sind geblieben, obwohl nicht mehr von ihnen die Rede ist. Das ist der philosophische Unterschied zwischen Materialismus und Idealismus.

Medien berichten also lediglich nicht mehr von der Unmenge an Krisen, die wir die letzten zwei Jahrzehnte diskursiv zu verarbeiten hatten. Das macht diese Krisen aber nicht weniger real. Oder waren sie nie so überaus real, wie sie dargestellt wurden? Wir lebten, würde das besagen, in Simulationen. Wir leben in Simulationen jedoch nicht, weil nicht stimmte, was berichtet wird, sondern weil sich eine Vorauswahl, eine politische Entscheidung, eine spezifische Richtung als Objektivität ausstrahlend, druckend, digital wiedergibt. Wenn die postmoderne Rede vom Simulacrum also irgendwo stimmt, dann wohl mit Bezug auf Medien und ihre Simulationsrealität. Medienwissenschaften wären insofern die einzigen, die wissenschaftlich zurecht postmoderne Theorien anwenden könnten.

Wo Postmoderne aber zu herrschen beginnt, da muss Verdummung schon vorher geherrscht haben. Und in der Tat: Massenmedien verdummen uns, denn sie verzerren uns unsere Wahrnehmung. Das nennt sich offiziell Agenda-Setting. Stattdessen sollte es systematische Verzerrung des Wahrnehmungsapparats genannt werden. Auf Grundlage von verzerrter Wahrnehmung als simulierter Polarisierung der Wirklichkeit jedoch politische Entscheidungen zu treffen ist keine gute Idee. Demokratie, heißt das, braucht Medienkritik. Zu allen Zeiten – und vor allem heute.

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