vonlukasmeisner 28.09.2022

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Es gab die letzten 40 Jahre nicht nur eine Neoliberalisierung des Ökologiediskurses, es gab auch ein Greenwashing des Neoliberalismus: die beiden verweisen aufeinander. Das heißt, dass Grüne neoliberale Argumente übernommen haben und in ihre Argumentationsweise eingefügt. „Klimagerechtigkeit” etwa für Fridays for Future (FFF) in Deutschland heißt vor allem zweierlei: „Generationengerechtigkeit“ und „Nord-Süd-Gerechtigkeit“. Beide Argumente kennen wir aus den neoliberalen Politiken der frühen 2000er im ganzen Westen. 1.: Die Alten sollten nicht auf Kosten der Jungen leben: darum private Rentenversicherung wegen „demographischem Wandel“ („Überalterung“). 2.: Der Norden könne sich, in globaler Konkurrenz, Mindestlöhne, Arbeiter*innenrechte, Sozialstandards nicht mehr „leisten“, da die Unternehmen sonst abhauten („Standortdebatte“), und das sei auch nur fair, denn warum sollten „wir“ besser verdienen als Menschen in Indien (race to the bottom)?

Solche Argumente zu verwenden sollte man sich also gut überlegen. Denn auch in Rhetorik und Resultat sind die beiden ident: „wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“, „die fetten Jahre sind vorbei“, „wir müssen den Gürtel enger schnallen“ – das ist ihr geteiltes Credo und das gilt nun als Gerechtigkeit, und zwar für den „globalen Norden“, als bestünde der nur aus Gewinner*innen, wie für die „Alten“, als würden die nicht schon massenweise in profitable Sterbeheime abgeschoben. Derlei Argumente des Asketismus, im Ökologiediskurs unangefochten en vogue, sind Argumente der Austerität. Sie individualisieren das Problem: sie schieben es hier auf die Konsumierenden ab, insbesondere auf jene „Unverantwortlichen“ aus einer Zeit der Nachfragepolitik (also der relativen Parität), und dort auf die Nordeuropäer*innen und US-Amerikaner*innen – als sei die letzten vier Dekaden im Westen (bzw. Norden) nicht Sozialabbau gewesen. Kurz: die Argumente sind neoliberale; als ökologische waschen sie damit den Kapitalismus grün. Und noch ein weiteres Argument von FFF Deutschland, das Hören auf die Wissenschaft, ist selbstwidersprüchlich, da es voluntaristisch voraussetzt, was umzusetzen uns eben strukturell verwehrt wird: das Problem ist nicht nur, dass wir auf Wissenschaft nicht hörten, sondern dass wir dem Kapital hörig sein müssen.

Der Punkt der Ökologie darf darum auch nicht Verzicht sein, sondern das gute Leben: es geht zunächst darum, dass wir uns selbst nicht zerstören: dass wir unsere natürlichen Grundlagen nicht kaputt machen und unsere Beziehungen nicht, unsere Bedürfnisse nicht in Süchte verwandeln lassen, dass wir uns nicht ausbrennen im Selbstoptimieren, dass wir Vernunft annehmen und uns gegenseitig aufwecken aus dem Alptraum des Kapitalismus. Das alles ist Degrowth: nicht eine Verschlechterung der Lebensstandards, sondern eine Verbesserung der Lebensqualität. Und darüber hinaus geht es darum, dass wir die Arbeit, die wir verrichten, die Zeit, die wir verbringen, sinnvoll einsetzen, dass wir über sie entscheiden können: dass der Produktionsapparat zurückerstattet ist an uns. Solange dies nicht als Notwendigkeit mitbedacht wird, reproduzieren ökologische Diskurse, liberal befangen, die Personalisierung des Problems, die Verengung auf die Konsumsphäre, die Moralapostelei und das christliche Schuldbekenntnis von oben herab. Stattdessen muss Klimagerechtigkeit endlich wieder rot werden neben seinen Grüntönen, die zu oft in schwarz und gelb umkippen (und damit ist genau auf die Überwindung sowohl von SPD wie von Bündnis 90 verwiesen).

 

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Ich danke der Umweltwissenschaftlerin und heterodoxen Ökonomin Gesa Marken für viele Anregungen in diversen Diskussionen zu diesem Thema.

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