Es gibt Dinge, die sind Tabus und No-Gos in der Linken bis tief in die Mitte, und das zurecht. Doch dann gibt es andere Dinge, die kritisch zu sehen einst modisch war immerhin am linken Rand – die heute zu problematisieren aber allerorten total out ist. Zum Beispiel das Phänomen der Mode selbst. Oder das der Werbung. Dabei waren derlei Themen, seit das 20. Jahrhundert uns den Konsumerismus bescherte, von Walter Benjamin bis Paolo Pasolini und von Herbert Marcuse bis Guy Debord im Herzen linker Theoriebildung. Inzwischen sind wir freilich – sagen wir – wann anders. Das Kapital scheint noch viele links Bewegte davon überzeugt zu haben, dass Werbung zur Öffentlichkeit dazugehöre (wie, sagen wir, Leistung zur Gerechtigkeit…) und dass Mode Angelegenheit der Privatsphäre sei (wie die Demokratie ein Prinzip, das gewiss vielerorts zu gelten habe, doch sicher nicht in der Ökonomie!). Nun bleibt zu konstatieren: schade drum. Schade für die Linke! Denn Werbung und Mode gehören zu den wichtigsten Subjektivierungsformen einer fremdbestimmten, kapitalfreundlichen, asozialen und unökologischen, konsumeristischen Zivilgesellschaft – und müssten folglich grundsätzlich in Frage gestellt werden. Genau das möchte ich im Folgenden tun.
Konsumethik statt Hedonismus? Besser: Antikonsumerismus statt Austerität!
Die weitläufig unkritische Haltung gegenüber Mode und Werbung ist besonders überraschend, wenn wir uns vor Augen halten, wie allgegenwärtig das Thema Konsumethik geworden ist: jedes Individuum soll heute darauf achten, in seinen Kaufentscheidungen nicht den falschen Unternehmen Profite zu erwirtschaften, nicht den falschen Konzernen größere Marktanteile zu sichern, nicht den falschen Aktionär*innen Dividenden einzuheimsen. Schließlich gibt es mittlerweile gute und böse Ausbeuter*innen. Und als konsumethische Bewusstheit ist mensch selbstredend auf der Seite der guten Kapitalist*innen – statt auf der gegen den Kapitalismus als solchem. Dieses Weltbild ist seit 1989 fest installiert und gut justiert worden. Es wurde zur Standardmeinung ungefähr zu dem Zeitpunkt, als den Leuten die Visionen vergraben wurden von einer fallenden Mauer, die den Weg frei machte für eine ‚offene Gesellschaft‘, welche zwar keine Alternativen zu sich mehr zuließ, dafür aber ein umso bunteres Warenspektakel. Übriggeblieben von der Freiheit ist nunmehr die Konsumfreiheit, also die ökonomische Freiheit der Wahl zwischen politikfern Vorgegebenem. (Eine Freiheit, die sich übrigens im liberalen Konzept der Wahlfreiheit spiegelt, wie sich andererseits die Ware im Markenkern der neoliberalen Politiker*in reflektiert.) Besagte Freiheit jedoch ist, genau genommen, überhaupt keine Freiheit, denn sie ist Gehorsam, nämlich unbewusster Gehorsam gegenüber Werbung und Mode. Darauf kommen wir gleich zurück. Zunächst bleibt festzuhalten, dass „die Wende“ eines nicht wenden konnte: Antikommunismus ist geblieben; der Antikonsumerismus aber wurde beseitigt. Ersetzt wurde er durch die Konsumethik, die sich drapiert, als sei sie so etwas wie der „dritte Weg“ zwischen Antikonsumerismus und Antikommunismus. Dabei bleibt Konsumethik bloße moralistische Sorge ums eigene Seelenheil, solange sie nicht den Konsumerismus selbst attackiert, der seinerseits ohne Kapitalismus strukturell undenkbar wäre. Schließlich ist Konsumerismus nichts anderes als entfremdeter Konsum, der in Ermangelung seines großen Bruders Produktivismus als entfremdetem Produzieren kein Fundament hätte. Zusammen verwandeln die beiden kapitalistischen Geschwister, als große Zauberkünstler des Entfremdens, jedes Bedürfnis ins Begehrnis und jede Befriedigung in unstillbare Sucht. Das ist natürlich unerlässlich für ein widernatürliches System, das keine Grenzen kennen will, sondern unaufhörlich wachsen, anhäufen und reinvestieren muss. Nennt sich Kapitalismus. Damit der diesen stützende Konsumerismus aber nachhaltig unnachhaltig funktionieren kann, braucht er zwei geniale Erfindungen, die es in der Art, wie sie seit dem 20. Jahrhundert existieren, vordem noch nicht gab. Diese beiden Erfindungen heißen Werbung und Mode. Und beide sind lesbar als Innovationen aus dem Arsenal des Warenfetischs – um mit dem alten Knochen Marx zu sprechen, der immer wieder dieselben hundsähnlichen Kreaturen des Proletariats hinter den erloschenen Öfen hervorlockt. Denn Marx kannte den Konsumerismus zwar nicht, weil das Kapital noch keine weiteren Absatzmärkte brauchte, den Kapitalismus allerdings kannte er besser als alles, was sich heute so Wirtschaftswissenschaftler*in nennt. Und Marx hätte – eben auf Grundlage seines Verständnisses des Kapitalismus – den heutigen Todfeinden des ‚Hedonismus‘ leichterhand erklären können, warum der Konsumerismus selbst ein asketisches Prinzip ist, während die Konsumethik einer (dem nah verwandten) mönchischen Haltung entspricht. Mit Marx wäre der einzig richtige Weg aus der Austeritätspolitik unserer Zeit insofern, den Konsumerismus in seinen fiesen Einzelheiten auseinanderzunehmen: etwa in Werbung und Mode. Dem sei nun entsprechend genüge getan. Ohne eine kräftige Portion neudeutsches Denglisch wird es dabei leider nicht gehen. Sorry, Leute.
Werbung endlich ‚divers‘? Vielmehr: Weg mit aller Werbung!
Heute freuen sich regelmäßig Linksliberale, dass Werbung zunehmend diverser würde: mit weniger Diktatur der Mehrheitsgesellschaft und stattdessen mehr Sensibilität in Bezug auf Identitätsfragen. Schließlich wirke Werbung stets auch repräsentativ, sei also politisch. Dabei wird leicht vergessen, dass Werbung nichts anderes ist als die Privatisierung des öffentlichen Raumes und damit – schlechterdings nichts anderes als – neoliberale Repräsentationspolitik. So sehr also die Entwicklung einer Diversifizierung der Werbung (verengt betrachtet) zu begrüßen ist, so sehr lenkt sie von einem tieferliegenden Problem ab: nämlich dem, dass Werbung nicht bloß diverser werden muss, sondern grundsätzlich abgeschafft gehört. Warum nun das!?, höre ich es rufen. Der Grund dafür ist ganz einfach der, dass Werbung durch und durch brutal ist. Etwa branding heißt Brandmarken, ist ein in die Haut gebranntes Zeichen bei Tieren, ist das Einbrennen von Schmucknarben in den menschlichen Leib. Und das ist nicht nur etymologisch so, sondern ganz real: Werbung greift direkt in unsere Körper, in unsere Bedürfnisse, in unsere Sehnsüchte, in unsere Lüste ein. Denn in der Tat: „Werbung trifft – jeden.“ Sie ist das Projektil, das unsere Seelen zerfetzt, damit sie frei collagierbar seien in lukrativen Kombinationen, wie es gerade wünschenswert ist. Also, dem Kapital wünschenswert. Denn um seine Gelüste geht’s. Werbung ist eine Operation an unseren Herzen, an unseren Hirnen, ist die Transplantation eines kapitalistischen Wunsches in unsere vermeintlich ureigene Triebstruktur, bis dieser Wunsch als der unsere empfunden wird. Durch Werbung werden wir nicht nur umworben, nicht nur verführt, wir werden manipuliert, wir werden gefügig und verfügbar, wir werden zu Ebenbildern des Marktes gemacht. Kurz, wir werden zu Helfershelfern erzogen: unsere Bedürfnisse werden angepasst, passend gemacht für den Markt, denn Werbung ist, was die Nachfrage an das Angebot adaptiert. Kein Witz! Werbung beweist, dass jene, welche die Ware hinreichend umworben hat, letztendlich ihr gehören, denn es ist nicht nur so, dass, wie Nietzsche wusste, „der Besitz besitzt“, sondern dass auch besessen machen kann, was noch nicht ins eigene Besitztum eingereiht ist. Gewiss! Gewiss, wir brauchten dieses Produkt nie, gewiss, es war nie ein Gut für uns, gewiss, gewiss, doch seit es uns als Ware in der Verpackung der Werbung begegnet ist, konnten wir ihm nicht mehr guten Gewissens widerstehen. Denn gehorsam sein macht glücklich – Gehorsam sein. Es ist ein Wunder, vollführt von der – leider selten nur unsichtbaren – Hand des Marktes. Nun ist dieses Wunder, seit Werbung uns, ‚personalisiert‘, aus jeder Monade mit Bildschirm ‚individuell‘ entgegenleuchtet, kaum noch entzauberbar. Nicht bloß big brother is watching you, sondern die ganze big family: man wird inzwischen beobachtet nicht, damit man etwas unterlasse, sondern damit man sich enthemme in erfundenes Verlangen; damit man hereinpasse in seine Ingroup; damit man keine Kante und keine Ecke mehr habe, an denen sich noch ein Kapitalfluss stoßen könnte. Denn noch das Intimste wird zu Markte getragen, bis ASMR und co. uns dessen Botschaften im Schlaf einflüstern – bis der innerste Horizont vom globalen Warenhaus umstellt ist. Werbung ist folglich nicht nur visual und gleichsam noise pollution, nicht nur die virtuelle Anregung und ästhetische Antizipation dessen, was später realiter, durch Kauf und Verbrauch, an echter Natur verschmutzt und verunstaltet wird. Werbung ist nicht bloß – à la branding – Propaganda der Marke, sondern Werbung ist: Propaganda des Marktes. So lautet ihre einzig angemessene Definition. Nicht von ungefähr stammt Werbung schließlich, als Massenhypnose, aus dem Drehbuch der Kriegsagitation. Werbung simuliert den naturalisierten Kriegszustand: ihre Bilder laufen schnell genug, damit wir, die ihnen im Augenwinkel begegnen, uns ihnen ungewollt zuwenden müssen, da wir evolutionär darauf getrimmt sind, dem Fressfeind ins Auge zu sehen, um ihm zu entkommen. Leider gelingt uns das nicht mit dem predator, der sich als Werbender entstellt. Darum müssten wir vor Werbung geschützt werden. Weil Werbung Propaganda des Marktes ist, hat sie in einer Demokratie nichts verloren. Sie überzeugt uns nicht durch das bessere Argument, nicht durch rationales Darlegen, nicht durch dialogische Auseinandersetzung, sondern sie greift gegen unseren Willen in uns ein, um uns zu entflammen für einen Zweck, der nicht der unsere ist. Werbung ist insofern ein Populismus der Privatisierung. Und genau darum gehört sie in einer Demokratie verboten, um diese zu schützen. So einfach ist das. Man stelle sich eine Welt vor, in der Menschen nur noch erwürben, was sie wirklich von sich aus, einer sinnhaften Überlegung entstammend, ernsthaft benötigen. Es wäre eine Welt jenseits des Kapitalismus. In jener Welt wäre auch Konsumethik endlich nicht mehr individualistische Stilfrage zum selbstsorgerischen Hegen der feinen Unterschiede, sondern politisches Gesetz. Die tiefere Botschaft des Volksentscheids Berlin Werbefrei könnte damit lauten: holen wir uns unsere politische Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit zurück vom marktfkonformen Leviathan des Unterbewussten! Wo wir schon alle Strom sparen sollen – machen wir als erstes die digitalen Werbetafeln aus! Schließlich rauben sie uns noch die letzten Wünsche aus dem unterbelichteten Keller unserer Kindheit.
Zuerst (gekürzt) abgedruckt in: strassenfegerMAG 4/2022, pp. 30-35.