vonlukasmeisner 19.02.2022

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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1972 hat der Club of Rome zum ersten Mal gewarnt vor dem Klimawandel; ein Jahr später überkam den Keynesianismus der Ölpreisschock, der ideologisch dazu herhalten musste, die zu diesem Zeitpunkt im ganzen Westen einsetzende Stagnation des Wirtschaftswachstums zu erklären. 1975 schlug Wolfgang Harich seinen Ökoleninismus vor, weil er damals schon wusste, dass sich die ökologische Katastrophe nicht mittels individualisierter Konsumpräferenzen lösen lässt. Das hat sich bestätigt.

Mehr noch: das Kapital mag, in dystopischen Szenarien, sogar grün werden können: es gibt viele, auch immaterielle Sparten der Ausbeutung – hier sind der gewaltsamen Landnahme-Fantasie keine Grenzen gesetzt. Was selbiges Kapital aber nicht kann, ist überhaupt gänzlich jenseits des Wachstums zu springen, denn Wachstum ist die makroökonomische Resultante seines Mehrwerts. Exakt dieser Engpass allerdings zeigt sich seit 50 Jahren. Seit einem halben Jahrhundert kommt die Wirtschaft nicht vom Fleck vor Überproduktion, was in die gesteigerte Perversion geführt hat, Burnout und strukturelle Arbeitslosigkeit als eine geschlossene Front gegen die Arbeitenden zu mobilisieren. Und was sich dergestalt gegen diese richtet, richtet auch Natur. Andererseits wissen wir seit fünf Dekaden von der Notwendigkeit einer Postwachstumsgesellschaft.

Die Schlussfolgerung: wir wären bereits, wo wir sein müssen, zwänge die Kapitallogik uns nicht andauernd dazu, weiterzuhetzen. Wenn hingegen alle Kräfte vom Wachstum auf die grüne Wende umgelenkt würden, wäre diese im Handumdrehen erreicht. Ökoleninismus wäre freilich nur eine Möglichkeit (wenngleich die für neoliberal indoktrinierte Paranoia erschreckendste), die Diktatur des Marktes zu brechen; es gibt viele weitere. Doch keine ohne das Primat der Politik. Was dann jedenfalls noch bliebe von unserer Zeit – und das wäre nicht wenig – könnte in die sinnvollste aller Investitionen münden: ins pure Leben. Denn hier und jetzt vermögen wir zu entscheiden: Schluss mit dem Wahnsinn der Selbst- und Gegenoptimierung. Schluss mit Leistungsprinzip und Konkurrenzpflicht. Her mit dem guten Leben.

Im Angesicht dessen, dass wir derzeit mit vollem Karacho auf die Wand zusteuern, wäre nichts realistischer als diese Umbesinnung fort vom mörderischen ‚Wachstum‘ und hin auf Überleben und Leben. Schade, dass ‚Realos‘  eine solche gesunde Portion Realismus völlig abgeht. Ohne sie aber wird auch ihr Selbstbild illusorisch, etwa ‚Grüne‘ geblieben sein.

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