vonlukasmeisner 15.09.2023

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Der Rechtspopulismus wächst und gedeiht, während die Linke von Krise zu Krise taumelt. Jene Krisenform, die alle anderen Krisen an ihrer Linderung hindert, indem sie kollektive Organisation systematisch vereitelt, ist die Krise der Öffentlichkeit.

Der Themenkomplex findet inzwischen zwar diskursive Beachtung auch von gehobenerer wissenschaftlicher Seite, beispielsweise in Carolin Amlingers und Oliver Nachtweys Buch Gekränkte Freiheit, das den libertären Autoritarismus unserer Tage zu untersuchen beansprucht. Doch können dessen Antworten, Analysen und Strategien aus linker, marxistischer und demokratisch sozialistischer Perspektive kaum überzeugen.

Denn ist es wirklich so, dass das neoautoritäre Ressentiment in erster Linie psychologisch-negativ auf gesellschaftliche Fortschritte und deren Abwertungen der eigenen einst privilegierten Position reagiert? Korrekter wäre es doch, Ressentiments bei ‚alten weißen Männern‘ in ihrem verheerten Status als prekarisierte Proletarier zu suchen, es also polit-ökonomisch statt psychologisch herzuleiten, nämlich mehr aus den neoliberalen Landnahmen der Austerität und weniger aus den Fortschritten des Feminismus oder des Antirassismus.

Durch die Bank autoritär?

Ressentiments sind schließlich stets in den Kausalnexus von Faschismus und Kapitalismus mit eingeschrieben, wie Joseph Vogl kürzlich überzeugend argumentiert hat (in: Kapital und Ressentiment). Sollten zudem jene, die Kritik an der Coronapolitik oder am Umgang mit dem Krieg in der Ukraine üb(t)en, von Seiten öffentlicher Intellektueller als durch die Bank autoritär denunziert werden? Zumindest linke Intelligenz wäre meines Erachtens besser beraten damit, das Unbehagen, die Verweigerung und die Wut der Bürger*innen, die oft berechtigt sind, links zu besetzen, rational zu fundieren und politisch zu substanzialisieren – wie es von Theoretikerinnen wie Nancy Fraser oder Jodi Dean vorgeschlagen wird.

Und ist es wirklich der Fall, dass die Institutionen der Medien, der Politik und der Wissenschaft, wie sie heute sind, verteidigt werden müssen gegen fake news, alternative facts, post-truth und Verschwörungsmythen? Ich würde an dieser Stelle eher behaupten, dass Medien, Politik und Wissenschaft in ihrer zeitgemäßen bürgerlich-neoliberalisierten Form bloß die andere Seite derselben Medaille und damit Teil des Problems statt dessen Lösung sind.

Denn zwischen (neo-)liberalen Medien, wachsendem Rechtspopulismus und der Krise der Linken scheint eine unterschwellige Wahlverwandtschaft zu bestehen. Diese These habe ich in einem Buch ausführlich dargelegt, das damit nicht nur als linke Alternative zur liberalen Medienkritik eines Welzer oder Precht gelesen werden kann, sondern auch als linke Alternative zur linksliberalen Psychologisierung der Medienkritiker*innen von Amlinger und Nachtwey. Das Buch heißt Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen und erscheint beim Verlag Das Neue Berlin.

 

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Meisner, Lukas (2023) Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen, Berlin: Das Neue Berlin.

https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/titel/2536-medienkritik-ist-links.html

https://www.helle-panke.de/de/topic/3.termine.html?id=3580

https://www.nd-aktuell.de/termine/90061.html

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