vonlukasmeisner 04.07.2022

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Zwischen der neuen Linken der 1968er und dem Postmodernismus der 1970er liegt ein tiefer Graben; letzterer hat erstere kooptiert und eingefügt ins kapitalistische System. Nicht nur ist der Postmodernismus eine Verfallsform kritischer (linker) Theorien verendet in ihrem antimarxistischen und damit implizit antikommunistischen und somit halboffen liberalistischen Zustand. Auch hat der Postmodernismus aus sich selbst heraus seine ihm eigenen Schwundstufen weiter hervorgebracht – Schwundstufen, die die letzten Jahre vom traurig harmlosen Linksliberalismus zunehmend in neue Tendenzen des fürs linke Projekt brandgefährlichen „Linksfaschismus“ (Habermas) mündeten.

Dergleichen ist gleichsam folgerichtig, wenn mensch auch nur oberflächlich die Abspaltungs-Geschichte von Spontis bis K-Gruppen kennt, die bis heute die Historiographie bundesdeutscher wie allgemein-westlicher ‚Linksradikaler‘ ausmacht – in deren ‚Marsch durch die Institutionen‘ andererseits so mancher im Kriegs- oder im baden-württembergischen Ministerium steckenblieb. Das besagt übrigens keineswegs, dass die politischen Extreme nahe beieinander lägen; im Gegenteil zeigt es auf, wie es der autoritäre Charakter ist, der linke mit rechten Sekten vereint exakt qua normalisierter Kirche der Mitte. Besonders ironisch bleibt dennoch, dass ausgerechnet viele ‚Autonome Linke‘ nicht nur krassest überholte ‚Gesellschaftskritik‘ – etwa am Staat in Zeiten des Neoliberalismus – üben, sondern dass das militant-zensierend-exklusiv-orthodoxe Element ausgerechnet hier am stärksten ausgeprägt ist.

Gerade etwa ‘Postkoloniale’ und ‘Antideutsche’, um nur zwei bis aufs Blut verfeindete Separatistengruppen zu erwähnen, bleiben doch vereint in einer ihnen selbst nicht ersichtlichen Wahlverwandtschaft, nämlich im Postmodernismus und seinen Deformationen – wovon auch die geteilte immanente Verschiebung des eigenen Libertären ins Rechte, etwa offen Bellizistische oder Pro-Imperialistische bzw. direkt Anti-Tolerante bzw. Gegenaufklärerische zeugt. Faszinierend dabei ist, was aus dem Geist der Enttäuschungen von 1968 im Lauf der listigen Geschichte wurde. Der Postmodernismus zwar war in der Tat nie etwas anderes als diese Enttäuschungen, als die Selbsteinäscherung einer frankensteinisierten Zombie-Linken, nachdem die tragische Geschichte von 1917/18 in den Jahren 1968/69 lediglich als Farce wiedergekehrt war, um sich schließlich zur totalen Parodie ihrer selbst in den eigenen Pop-Nekrologen aufzuspreizen (entsprechend der Wahn um ‚Zitat‘, ‚Simulacrum‘, ‚Beobachten des Beobachters‘, etc.)

War etwa Derrida aber – immerhin! – noch dekonstruktiv und in diesem Sinne (dem Anspruch nach) kritisch und differenzierend unterwegs, haben seine Erben alles in Diskurs, Text und Sprache aufgelöst, was einst historisch-materialistisch zu problematisieren gewesen war. Hatte zum Beispiel Foucault noch aufgezeigt, wie die ‚Mikrophysik‘ der Macht sich gerade durch Konstituierung von disziplinierten Parzellar-Subjekten durchsetzt, sind seine heutigen Adepten auf nichts so versessen wie auf die besonders individuell eingerichtete Schublade mit eigens designtem Mobiliar als architektonische Insignie warenförmiger Freiheitlichkeit (und ihrer ‚demokratischen Grundordnung‘). War selbst Deleuze noch aufgefallen, dass die ‚Deterritorialisierung‘ eine Resultante des Kapitals ist und dass Kontrollgesellschaften gerade mittels Enthemmung regieren, ist der neueste Turn des Affirmativen die Totalapologie alles Unkritischen, umgewertet als eigentlich progressivste Avantgarde (sagen wir: gegen die ‚epistemische Gewalt‘ ‚westlicher Dualismen‘). Und war gerade Butler noch gegen die Binarismen für die Auflösung der Geschlechter und anderer ‚Psychen der Macht‘ eingetreten, ist in der heute fundamentalistisch gewendeten Identitätspolitik jenseits aller Nicht-Identität nichts mehr so fetischisiert zur Positivität wie die phänotypisch ablesbaren Marker gesellschaftlicher Deklination.

Insofern, natürlich: der Postmodernismus hat von Anbeginn die Fertigkeit zur Geschichte und damit zur Utopie, die Fakultät der Autonomie und damit der Verantwortung und folglich die kritisch-marxistische Analysekategorie der Gesellschaft als Totalität sowie die Hoffnungen auf Vermittlung und Versöhnung zwischen Individuum und Gesellschaft geleugnet und dergestalt zurückzunehmen versucht. Doch haben wir es heute, in der Schwundstufe des Postmodernismus selbst, nicht mehr mit einer durchaus begrüßenswerten Politisierung des Privaten (wie noch in den mittlerweile inkorporierten und damit gescheiterten Versuchen von 1968), sondern mit einer schleichenden Privatisierung des Politischen zu tun. Diese Privatisierung jedoch ist inzwischen weniger defätistisches Rückzugsgefecht als hegemoniale Offensive gegen das demokratische Prinzip selbst – schon als Diskurs! Erst das ist das wirklich Neue, und das Beunruhigendste. Als Linke*r steht mensch so, wie Kästners Moralist einst, zunehmend auf verlorenem Posten inmitten einer postpolitischen Wüste, in der jedes Sandkorn gegen jedes andere kämpft, um die eigene Diversität unter Beweis zu stellen, ohne den ureigensten Funktionalismus als Wüsten-Partikel je anzufechten.

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https://blogs.taz.de/kriterium/postmoderne-als-privatisierung-des-politischen/

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