Schwierig ist es, im Angesicht technologischer Disruptionen nicht kulturpessimistisch zu werden. Als Folge neoliberaler Sozialisation zum Asozialen fehlt dem Menschen zunehmend, was er ist: das Soziale selbst. Die technokratische Lösung: Menschen essen sich nun gegenseitig etwas vor bei laufender Kamera (Muk-Bang-Videos); sie streicheln sich virtuell und machen dazu intime Geräusche (ASMR); und sie lassen sich von Wildfremden mit deren Mischung aus politischer Ahnungslosigkeit und privater Banalität zutexten, als würde es sie brennend interessieren (Podcast).
Vor fünf Jahren kannte kaum wer das Wort; heute fragt man sich auf den Partys der Mittelschichten-Intelligentsia, welche Podcasts man denn höre. Erst seit sehr Kurzem also hört Podcasts, wer Ohren hat und sich einbildet, gebildet zu sein: als hegemoniales Genre unter den Medien ist der Podcast Teil der neuen Insta-Politisiertheit.
Konzentrieren wir uns darum einmal nicht auf Facebook, Twitter und Tiktok, sondern auf den Podcast – steht er doch unter dem Artenschutz des jungen Bildungsbürgertums. Was macht dieses Format so reizvoll für jene, die in sozialer Dinstinguierung ihr symbolisches Kapital hervorheben, und doch ihre kritische Stimme nicht zu laut werden lassen wollen? Vielleicht, dass es keinerlei Anstrengung bedarf, einem Podcast zu lauschen. In der ständigen Predigt ist niemand je mehr allein, um auch nur einen unabhängigen Gedanken formen zu müssen. Des Podcasts konstante freiwillige Beschallung wäre insofern Orwells feuchter Alptraum gewesen: Big Brother ist längst Big Family geworden – und ihre Hirnwäsche ist nun (mit pluralistisch buntem Weichspüler) von jedem beliebigen Gerät aus zu haben. Am entscheidendsten aber bleibt: Wissen wird mit dem Podcast zur Ware, die zu konsumieren ist; und Bildung zur bloßen Informiertheit, die es quantitativ einzukassieren gilt. Keine strukturierte Gesamtheit muss so noch aus eigener analytisch-synthetischer Kraft auseinander- und zusammengesetzt werden: man hat die digitale Kanzel, um sich erklären zu lassen, was sündhaft, was heilig sei, was richtig und falsch, was Trend und was antiquiert.
Die Autorität der Stimme wird mit dem Podcast also zum neuen Gottesdienst. Ganz im postmodernen Sinne Derridas: Sprechen war ohnehin immer schon Schreiben, also können wir auf das Lesen auch verzichten. Lesen – mit Schrift als Medium – bräuchte schließlich Denken statt Konsumieren. Dafür fehlt uns die Zeit, und Zeit ist Geld. Je mehr jedoch das Lesen abnahm, desto mehr verschwand auch die Theorie, die zunehmend den fun facts wich. Dass Theorie weicht, heißt allerdings, dass die historischen Zusammenhänge gesellschaftlicher Totalität nicht mehr gesehen werden können. Und entsprechend lässt sich solche Totalität auch nicht mehr hinterfragen. Kurzum stellt sich gerade im Bildungsbürgertum, wo alle längst alle (Podcast-)Antworten haben, kaum wem noch eine kritische Frage. Wie etwa: Warum sind Podcasts jetzt Hegemonie unter uns? Woher kommt das? Wie konnten sie es werden? Was macht das mit uns? Und: Was hat das mit dem Verfall der Öffentlichkeit zu tun? Was mit den Angriffen auf politische Urteilskraft? Was mit der Privatisierung des Journalismus? Was mit der Abschaffung der nonkonformen Intellekuellen? Was mit dem Ausverkauf heterodoxer Wissenschaftlichkeit? All diese Fragen werden nicht gestellt. Auch nicht von dem Fach, das sich Medienwissenschaft nennt.
Lukács‘ Zerstörung der Vernunft war und ist immer vor allem eine Zerstörung des kritischen Denkens. Kritisches Denken darf nie die Medien vergessen, in denen es sich bewegt, und wie diese es verformen. Darum sollten wir anfangen, über die Risiken und Nebenwirkungen neuer technologischer Formate nachzudenken, statt sie unvermittelt auf uns selbst anzuwenden. Denn nichts ist nur neutrales Werkzeug. Jedes Werkzeug bearbeitet zuallererst jene, die es gebrauchen. Kulturpessimistisch lässt sich nur dann nicht sein, wenn, was Kultur angreift, auf den Prüfstand gestellt wird, und das ist zunehmend: die technologische Disruption als kapitalistische Offensive. Zu ihr gehört nicht zuletzt der Podcast.