vonKnut Henkel 08.10.2013

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Unbequem, unkonventionell und ausgesprochen bissig haben sich Panteón Rococó in den letzten 18 Jahren präsentiert. Richtig gelesen – die mexikanische Kapelle, die sich mit den Zapatisten solidarisiert, gegen Rassismus und Diskriminierung eintritt und sich in den FC St. Pauli verliebt hat, ist schon volljährig. Das wurde am letzten Samstag im Salón Los Angeles in Mexiko-Stadt gefeiert.

 

„Guerrero ist nicht irgendein Stadtviertel für uns. Hier bin ich groß geworden, hier hat meine Familie das Massaker von Tlatelolco miterleben müssen und hier feiern wir heute mit Euch unseren Geburtstag“, erklärt Luis Dr. Shenka nach den ersten zwei, drei Stücken im gutgefüllten Salón Los Angeles. Der Salón, der in einem der ältesten und rebellischsten Stadtviertel von México DF liegt, ist selbst schon eine Institution. Hier haben die Großeltern von Dr. Shenka schon vor 75 Jahren das Tanzbein geschwungen und entsprechend viele stimmungsvolle Schwarzweiß-Fotos von Musikern und Tänzern aus längst vergangenen Tagen hängen an den Wänden. Eine Lokation wie gemacht für die ehemalige Studentencombo.

 

Die hat sich vor nunmehr achtzehn Jahren zusammengefunden, um kollektiv, radikal und pazifistisch den mexikanischen Klangkosmos zu erobern und sich mit denen zu solidarisieren, die eben keine Stimme haben. „Compañeros musicales“, musikalische Genossen, werden sie seit ihren ersten Auftritten im Lakandonischen Urwald von Chiapas von den Anhängern der zapatistischen Befreiungsbewegung genannt. Und natürlich hängt die Fahne der EZLN, des Zapatistischen Befreiungsheeres, an einer der Boxen, die auf der geräumigen Bühne stehen.  Eine Fußballmannschaft muss da schon locker Platz haben, denn Panteón Rococó hat heute Freunde geladen und mit der Stammbesetzung von neun Mann kann es die Band mit so mancher Mariachi-Kapelle aufnehmen. Bei den Texten hat sie den schnulzigen Göttern der mexikanischen Populärmusik aber einiges voraus – Pantéon legen den Finger in die Wunde.

 

Panteón Rococó - Méxicos unbeirrbare Compañeros músicales„Sauerstoff für eine neue politische Bewegung brauchen wir in Mexiko, und dafür versuchen wir als Band unseren Beitrag zu leisten“, sagt Luis Dr. Shenka und fährt sich durch den schwarzen Bart, der sein Kinn ziert. „Ejército de Paz“, zu deutsch „Friedensarmee“,  ist der Titel des letzten originären Albums der Band, die in Mexiko und in Deutschland ihre Fanbasis hat. Davon zeigt die andere große Fahne auf der Bühne, die das Logo des FC St. Pauli ziert, den Totenkopf. Den hat die Band, die Ska, Punk, Rock, Cumbia zu einem brodelnden treibenden Beat fusioniert, in Mexikos Hauptstadt genauso heimisch gemacht wie den alten Millerntor-Schlachtruf  „Super Hamburg“, der heute immer aus dem Publikum erschallt.

 

Tribut an eine Band, die im Sog der zapatistischen Erhebung von 1994 entstand. „Für mich – und da spreche ich glaube ich für die gesamte Band – war das wie ein Weckruf“. Ein ausgesprochen nachhaltiger, denn die Band tritt seit nunmehr 18 Jahren für ein anderes Mexiko ein und auf. Ein Mexiko, in dem die Rechte der indigenen Minderheit respektiert werden und wo die Mitbestimmung der Bevölkerung sich nicht im regelmäßigen Urnengang erschöpft. Die Songs der Band gehen dabei nicht nur in die Beine, sondern auch in den Kopf. Sie sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Realität, in dem von Korruption und Klientelismus geprägten Land. Gegen diese Strukturen macht die Band mit Stücken wie „Democracia fecal“, einer tanzbaren Hymne gegen das verkommene demokratische System, oder dem Appell für kollektive Strukturen wie in „Marco’s Hall“ Front. „Alternativen aufzuzeigen und die nachwachsende Generation informieren“, ist der selbsterteilte Auftrag der Band. Der wird auch nach 18 Jahren ernst genommen. Die Band um das singende Energiebündel Dr. Shenka mahnt angesichts des verheerenden Drogenkrieges im Norden des Landes, die sozialen Konflikte im Süden  nicht zu vergessen.

 

Solidarisch, kritisch, kreativ!

 

Doch Dr. Shenka und seine Mitstreiter lassen es dabei nicht bewenden. Konzerte, deren Einnahmen komplett sozialen Bewegungen gespendet werden, sind typisch für die sich engagierende Band. Tanis, der Mann an den Congas, gibt Musik- und Capoeira-Unterricht in einem unabhängigen Kulturzentrum im Süden von Mexiko-Stadt: „Ein Netzwerk von autonomen Jugend- und Kulturzentren wie in Deutschland wünschen wir uns auch für Mexiko“, erklärt der sympathische Musiker mit den gestutzten Dreadlocks.

Beats für den Wandel von unten

Alternative  Strukturen von unten will die Band schaffen, und das eigene Studio ist ein Beispiel dafür. „Im Cocodrilo Solitario bieten wir jungen Bands die Chance aufzunehmen. Die befinden sich schließlich in der gleichen Situation wie wir einst“, erklärt er gemeinsam mit Luis Román Ibarra alias Dr. Shenka. Letzterer sitzt dann liebend gern an den Reglern und produziert die Nachwuchsbands, die ihm gefallen.

 

Inspirierend  ist das für die Arbeit von Pantéon Rococó. Die Band jongliert seit ihrer Gründung mit einem Potpourri von unterschiedlichen Genres. Neben Ska und Rock als Basis sind Cumbia, Mariachi und Ranchera genauso präsent wie Reggae, Dub und kubanische Klänge. Auch House und Techno-Versionen einige Stücke sind auf der Homepage der Band zu hören, die 2010 beim 100. Vereinsjubiläum des FC. St Pauli aufgetreten ist,  wie das T-Shirt belegt, welches Dr. Shenka heute zum Konzert trägt: „Uns gefällt das ganze Drumherum bei diesem Club. Da wird Solidarität noch ernst genommen“, erklärt Dr. Shenka und verweist auf das „Viva con Agua“-Trinkwasserprojekt, welches vom 2.Ligaverein unterstützt wird.

 

Sowas kommt bei den Mexikanern an. Die sind national und international bestens vernetzt, wie ihr Jubiläumskonzert zeigt. Grüße aus anderen Ländern der Region genauso wie reichlich Freunde und Bekannte auf der Bühne des Salón Los Angeles belegen das.  Und zum 18. legt die Band eine Schippe drauf und entlässt die Fans nicht, bevor auch der und die letzte neben dem Kopf auch die Beine geschwungen hat. Beim Heimspiel im Salón Los Angeles war nach drei Stunden Schluss – doch die Tour geht weiter. Vorerst in Mexiko, aber 2014 macht das Rococó-Team auch wieder Europa unsicher. Feliz Cumpleaños, Pantéon…..

 

 

 

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