Zusammen mit Uruguay und Paraguay ist Argentinien jenes lateinamerikanische Land, das am besten mit der Corona-Krise zurecht kommt, hieß es Anfang Juli in der New York Times. Am anderen Extrem liegt, wen wundert´s, Brasilien.
In der Meldung wird aus einer Umfrage in zehn Ländern zitiert, Argentiniens sozialdemokratischer Präsident Alberto Fernández habe demnach eine solide Zustimmungsrate von 68 Prozent. Und das trotz einer über hunderttägigen Quarantäne, nach der immer öfter die Nerven blank liegen.
Die offiziellen Statistiken über nachgewiesene Corona-Fälle und Tote bestätigen diesen Befund: Nach den Zahlen des Gesundheitsministeriums waren am 5. Juli 77.802 Menschen infiziert, 1.507 waren an Covid-19 gestorben. Dazu in scharfem Kontrast stehen die amtlichen Zahlen desselben Tages aus Brasilien (1.603.055/64.867) oder Chile (295.532/10.159). In Chile sind es pro 100.000 Einwohner:innen 34 Tote, in Brasilien (bei immensen Dunkenziffern) 31, in Argentinien 4 (zum Vergleich: in Deutschland es 11).
Bereits am 19. März hatte Fernández den präventiven Lockdown verhängt.
Schulen wurden geschlossen, Flughäfen, Geschäfte, nur Einkaufen in der Nachbarschaft und der Weg zu „essenziellen“ Tätigkeiten war erlaubt. Damals sagte er: „Eine Wirtschaft, die abstürzt, steht auch wieder auf. Aber ein Leben, das ausgelöscht wird, kommt nie wieder zurück.“
Ramona kämpft und stirbt
„Seit acht Tagen haben wir kein Wasser! Und sie fordern von uns, dass wir die Hygiene einhalten, dass wir uns die Hände waschen.“ Ramona Medina schlug Alarm, schon Anfang Mai. Ihre Videomessage ging viral.
Die Sprecherin der Basisorganisation La Poderosa, „Die Mächtige“, ist eine von 50.000 Bewohnern der Villa 31. Ein Dickicht aus selbst gemauerten Backsteinhäusern, waghalsig in die Höhe wachsend, ineinander und übereinander verschachtelt. Gassen eng wie ein Hausflur. Die Villa liegt direkt gegenüber den gläsernen Bürotürmen des Stadtzentrums, wo viele als Putzfrauen oder Concierges arbeiten: So kam das Virus auch in die Villa 31, wo sich die Infizierte nicht einmal die Hände waschen konnte, berichtet die Radio-Korrespondentin Anne Herrberg.
„Ich frage den Vertreter der Stadtregierung: War er einmal hier in der Villa 31, hat er mal unsere Situation erlebt, unsere Angst, die Verzweiflung? Wie sollen wir uns schützen vor diesem schrecklichen Virus?“
Immer wieder hatte Ramona auf die Gefahr der Pandemie für Armenviertel hingewiesen, gefordert, den Gesundheitsnotstand für die Villa auszurufen. (…) Am 17. Mai starb die 42-Jährige an Covid-19. Sie wurde zum Symbol dafür, dass Corona eben nicht alle gleich trifft.
Was macht die Rosa-Luxemburg-Stiftung?
La Garganta Poderosa, in ganz Argentinien aktiv, ist eine jener „territorialen“ Partnerorganisationen, die das RLS-Regionalbüro in Buenos Aires in der Corona-Krise unterstützt. Unsere Verbündeten auf dem Lande, die politischen Kleinbauernorganisationen im Großraum Buenos Aires, in den Provinzen Mendoza oder Misiones, aber auch unsere langjährigen Freundinnen von Anamuri in Chile, sorgen dafür, dass die Versorgung der Ärmsten mit guten Lebensmitteln besser organisiert ist denn je zuvor. Denn nach Schätzungen ist die Armutsrate in den letzten drei Monaten von 40 auf über 50 Prozent hochgeschnellt.
Die linksfeministischen Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, tragen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit mit dafür, das das brennende Thema der Gewalt gegen Frauen und LGBTQ+ auf der Tagesordnung bleibt.
Anfang Juli ist die Lage in der Villa 31 (Padre Mugica) immer noch sehr ungemütlich, aber wieder einigermaßen unter Kontrolle. Die kritischsten Hotspots liegen mittlerweile im Conurbano, dem riesigen dichtbevölkerten Gürtel aus Provinzkommunen, der die 3-Millionen-Hauptstadt umschließt.
Ende August, so heißt es jetzt, werde sich dort die Lage zuspitzen, manche fürchten sogar eine soziale Explosion wie um die Jahreswende 2001/2002. Die wirtschaftlichen Prognosen sind in der Tat dramatisch, doch die meisten Argentinier:innen machen für Inflation, Rezession und Arbeitslosigkeit immer noch die neoliberale Vorgängerregierung unter Mauricio Macri verantwortlich. Finanzminister Martín Guzmán führt mit Gläubiger-Fonds aus den USA und Europa, die durch den Internationalen Währungsfonds und die Europäische Union unterstützt werden, zähe Umschuldungsverhandlungen.
Zwar bekommen die progressiven Peronist:innen um Alberto Fernández stets Gegenwind von der harten Rechten, die sich um die Reste des Macri-Flügels oder religiös-fundamentalistische Hetzer geschart hat und in den konservativen Medien Argentiniens oft zu Wort kommt. Doch immer noch steuert der besonnene Staatschef mit seinem Team den Tanker Argentinien sicher durch die Krise.
Von den Mainstream-Medien im globalen Norden wird dies allerdings kaum wahrgenommen, die arbeiten sich inzwischen fast nur noch an Brasiliens Katastrophen-Präsident Jair Bolsonaro ab. Was die internationale Berichterstattung über Argentinien und auch das neoliberale, oft als Musterland gehandelte Chile betrifft, bestätigen löbliche Ausnahmen wie der Guardian die Regel.