vonClaudius Prößer 28.09.2009

latin@rama

Seit 2008 Nachrichten vom anderen Ende der Welt und anderswoher.

Mehr über diesen Blog
Schade. “Dawson – Isla 10”, Miguel Littíns Film über das Kon­zen­tra­tions­la­ger, das Pinochets Junta für hochrangige Politiker der Uni­dad Popular auf einer patagonischen Insel einrichtete, enttäuscht die Er­war­tun­gen. Und die waren hoch, denn noch gibt es nicht allzu viele Filme, die die Ereignisse rund um den Putsch von 1973 erzählen. Außer­dem ist Littín so etwas wie der Altmeister des chilenischen Films und ein einsamer dazu – zwischen ihm und den vielen Jungfilmern, die heute dank einer ver­gleichs­wei­se generösen Förderung ein Debüt nach dem anderen ab­lie­fern, klafft eine große, leere Lücke.

Leider ist Littín, was Erzähltechniken und Experimentierfreude angeht, auch irgendwo in den Siebzigern hängen geblieben. “Dawson – Isla 10”, der auf dem autobiografischen Buch des ehemaligen Häftlings Sergio Bitar beruht, ist ein Film ohne jede Überraschung, eine An­ein­an­der­rei­hung von Begebenheiten, die Bitar tagebuchartig auf­ge­schrie­ben hat, letztlich ein Kostümfilm, dessen Ende man schon vor­her kennt. Lan­ge­wei­le im Kino ist da programmiert, auch wenn viele Chilenen es viel­leicht als bewegend empfinden, wenn den großen Namen der Unidad Po­pu­lar (wie José Tohá, Orlando Letelier, Clodomiro Almeyda) auf der Lein­wand neues Leben eingehaucht wird.

Littín zeigt sorgfältig komponierte, am Originalort gedrehte Bilder, aber es ge­lingt ihm nicht im Geringsten, eine realistische Stimmung des La­ger­le­bens zu zeichnen. Da stecken fünfzig Männer in einer Häft­lings­ba­ra­cke, die gerade eben noch leidenschaftlich Politik gemacht ha­ben, die man gewaltsam aus einer der dramatischsten Phase der chi­le­ni­schen Geschichte gerissen hat – aber sie schlurfen apathisch, ja au­tis­tisch herum, als verbrächten sie schon Jahre in der Isolation. Nur ein­mal gibt es Streit um irgendeine Lap­pa­lie, und plötzlich stehen sich So­zia­lis­ten, Kommunisten und Miristas hasserfüllt gegenüber und raufen wie die Schuljungen. Mit einem derart simplen Dreh werden schnell auch noch die ideologischen Verwerfungen innerhalb der verhinderten Re­vo­lu­tio­nä­re abgehakt.

Absolut erfreulich und sehendswert ist dagegen “La Nana”, ein Film von Se­bas­tián Silva, der auf dem Sundance Festival 2009 den Großen Preis der Jury in der Kategorie “World Cinema Dramatic” erhielt. Eine voll­kom­men verdiente Auszeichnung, denn Silvas psycho- und so­zio­lo­gi­sche Studie setzt neue Maßstäbe des Realismus im chi­le­ni­schen Film, der traditionell zu Stilisierungen neigt. “La Nana” (“The Maid” auf englisch, obwohl die Bezeichung für die chilenischen Haus­mäd­chen an das eng­li­sche “Nanny” angelehnt ist) seziert den Alltag einer Haus­an­ge­stell­ten, die seit mehr als zwanzig Jahren in einer Familie der chi­le­ni­schen Upper-Class lebt. Die nana puertas adentro, das Dienst­mäd­chen, das mit den Arbeitgebern im selben Haus wohnt, ist auch heute noch häufig in den besseren Vierteln Santiagos anzutreffen – auch wenn immer weniger Chileninnen und immer mehr Peruanerinnen diesen Job erledigen.

Eine Peruanerin wird dann auch zur Verstärkung ins Haus geholt, als Raquel, die die vier Kinder der Valdés’ aufzieht, kocht, wäscht, saugt und den patrones morgens das Frühstück ans Bett bringt, gesundheitliche Probleme bekommt. Sie wird von Depressionen und Migränen geplagt, will aber auf keinen Fall ihre vermeintliche Position als zusätzliches Fa­mi­lien­mit­glied riskieren, denn ein eigenes Leben, das wird bald klar, hat sie längst nicht mehr. Hinter den alltäglichen Verrichtungen im Haus­halt, die Silva minutiös abbildet, tut sich ein Abgrund auf, und das Fes­ti­val­pub­li­kum in den USA soll ständig damit gerechnet haben, dass die nana zum Pürierstab greift und ein tarantineskes Blutbad anrichtet. Ge­nau das passiert aber nicht, der Film endet so unspektakulär wie anrührend.

Für die Chilenen wirkt dieser Blick auf ein sehr reales gesellschaftliches Phä­no­men bestürzend authentisch. Das kommt vielleicht auch daher, dass der 30-jährige Silva die “Nana” stark an seine eigene nana angelehnt hat. Auf alle Fälle ein extrem erhellender, aufklärerischer Film, von des­sen Art Chile noch viele braucht.

Bilder: Dawson – Isla 10 und Sundance Festival 2009

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/apathische_revolutionaere_abgruendige_dienstmaedchen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert