vonGerhard Dilger 20.09.2010

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Von Alberto Acosta

Liebe Freundinnen und Freunde,

Heute vormittag (15.9.2010)  erhielt ich mit großer Sorge und einiger Empörung die Nachricht über die Weigerung des deutschen Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Yasuní-ITT-Fonds zu finanzieren. Sollte sich diese Position verfestigen, so käme das einem harten Schlag, ja einem Dolchstoß für die Initiative Yasuní-ITT- Initiative gleich.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=cr3oep32SzE&[/youtube]

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Wir haben fest mit dem deutschen Beitrag gerechnet. Mit seiner Erklärung zugunsten dieser Initiative vom Juni 2008 war der Bundestag auf internationaler Ebene zu einem der Stützpfeiler dieses Projekts geworden, das beabsichtigt, im Naturschutzgebiet Yasuní und in der Welt das Leben zu schützen. Diese Haltung, die vom Bundestag mehrmals bekräftigt wurde, bevor sich dann auch die Bundesregierung sie schließlich zu eigen machte, hat dabei geholfen, für eine Reihe komplexer Hindernisse in Ecuador selbst einen Lösungsweg zu finden. Auch weite Teile der deutschen Gesellschaft standen hinter dieser Position.

Vor diesem Hintergrund erscheint es völlig unverständlich, dass nun, nachdem nach langen und komplizierten Verhandlungen der Treuhandfonds zwischen der ecuadorianischen Regierung und dem Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen am vergangenen 3. August unterzeichnet wurde, und wo mehrere Länder wie Chile und Italien sich der Initiative anschließen, Minister Dirk Niebel entscheidet, die ursprüngliche Zusage nicht einhalten zu wollen.

Die Argumente, die Minister Niebel in seinem Schreiben an MdB Ute Koczy anführt, sind völlig haltlos. Die Yasuní-ITT- Initiative mit dem REDD-Projekt (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) gleichzusetzen, beweist eine profunde Unkenntnis beider Problematiken. Die Figur der Kompensationszahlungen an Ecuador, indem die bereitgestellten Gelder in das Programm Socio Bosque des ecuadorianischen Umweltministeriums oder in REDD-Projekte fließen, ist ein Hohn, da ein Beitrag, der mit dem Leben verantwortungsvoll umgeht, ersetzt wird durch einen Beitrag, der von merkantilen Interessen geleitet wird.

Darüberhinaus reichen weder Socio Bosque noch REDD an die Ziele heran, die die Yasunú-ITT-Initiative sich gesetzt hatte, nämlich gleichzeitig den Erhalt der Biodiversität, die Eindämmung des Klimawandels und vor allem die Einhaltung der Rechte der indigenen Völker. Auch das Misstrauen des deutschen Ministers ist nicht haltbar, wenn er seiner Befürchtung Ausdruck verleiht, dass diese Initiative sich in einen Präzedenzfall für alle Erdöl exportierenden Länder verwandeln könnte.

Diese ministerielle Entscheidung bedeutet zweifellos einen Rückschlag für die Yasuní-ITT-Initiative. Deshalb ist es an dieser Stelle notwendig, alle Fraktionen des Bundestags aufzufordern, diese Position zu prüfen. Einmal mehr wird die Antwort in den Händen der gewählten Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Bevölkerung liegen, welche ihre historische Verantwortung für Natur und Menschheit unter Beweis stellen müssen.

Diejenigen, die in Ecuador und anderen Teilen des Planeten für das Leben eintreten, erwarten eine klare und kategorische Aussage, welche diese Entscheidung rückgängig macht und die Unterstützung Deutschlands unwiderruflich bekräftigt. Eine Unterstützung, die gemeinsam mit anderen effektiven Verbündeten diese Initiative konsolidieren würde. Die Europäische Union behauptet, sie spiele bei den Initiativen zur Eindämmung des Klimawandels eine Vorreiterrolle. Dies muss mehr beinhalten als bloße Worte. Die europäischen Länder haben nicht nur eine schwere soziale und historische Schuld zu tragen, sie tragen seit ihrer Industrialisierung auf der Grundlage fossiler Brennstoffe auch eine Schuld in Sachen Klimawandel. In diesem Kontext kommt der Unterstützung der Yasuní-ITT-Initiative große Bedeutung zu.

Auf der anderen Seite ist ebenfalls notwendig, dass die ecuadorianische Regierung ihre Aufgabe mit erheblich größerem Verantwortungsbewusstsein angeht als bisher. In den Debatten um den Treuhandfonds wurde viel kostbare Zeit verspielt. Die Widersprüche innerhalb der Regierung von Präsident Correa waren allzu zahlreich und allzu dauerhaft.

Unter diesen Umständen muss die Zivilgesellschaft in Deutschland, Ecuador und dem Rest der Welt wachsam sein. Dieser Rückzieher Deutschlands könnte nun den großen Vorwand liefern, um das Scheitern der Initiative herbeizuführen, worauf die Vertreter der Ölindustrie in Ecuador und anderswo nur spekulieren.

Wenn Deutschland dazu beiträgt, einen Vorschlag, der weltweit Vorreiterfunktion hat, zu Fall zu bringen, werden wir Einwohner Ecuadors unsere Verantwortung alleine übernehmen müssen. Wir werden mit aller Kraft die Option C vorantreiben müssen: das Öl im Boden zu belassen, obwohl die internationalen Beiträge vielleicht nicht zusammenkommen.

Mit freundlichen Grüßen

Alberto Acosta

Ecuadorianischer Ökonom, Professor und Forscher bei FLACSO-Ecuador, ehemaliger Minister für Energie und Bergbau und ehemaliger Präsident der Verfassunggebenden Versammlung Ecuadors

Original hier.

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https://blogs.taz.de/latinorama/appell_aus_quito_niebels_gefaehrlicher_rueckzieher_/

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kommentare

  • @Lemmy: Solche Vorschläge kommen leider nicht aus Brasilien, weil man sich dort auf den Weg des weithin ungebremsten Wachstums auf Kosten der Umwelt verlegt hat. Das ist nicht schön, aber in der Logik der westlichen Industriestaaten. Und ob die kolumbianische Regierung ein mehr an Respekt oder Vertrauen verdient, sei mal dahin gestellt. @Steuerzahler (nomen est omen): Wenn Sie schon eine Organisation wie Acción Ecológica anführen, dann fragen Sie doch mal, wie diese NGO zu der Yasuní-ITT-Initative steht: http://www.accionecologica.org/ und http://www.amazoniaporlavida.org. @alle: Natürlich ist die Initiative etwas Ungewohntes, natürlich gibt es in Ecuador eine unangenehm starke Öl-Lobby, aber wenn man umsteuern will, muss es irgendwo beginnen – Yasuní ist ein innovativer Beginn, der von den zentralen Kräften pro Amazonien getragen wird. Herr Niebel allerdings betreibt das BMZ als verlängerten Arm des Wirtschaftsministeriums – da passt so eine Initiative nicht ins Weltbild von “lokal denken, lokal handeln”. Man kann nur allen Besserwissern dazu raten, sich einen Tag an die stinkenden Ölbecken in Ecuadors ehemaligem Regenwald bei Lago Agrio zu setzen, damit sie die segensreichen Folgen der bisherigen Ölförderung erleben.

  • Wie Carolin richtig bemerkt, kann man Correa einfach nicht trauen. Sobald er Geld benötigt, um an der Macht zu bleiben, wird er trotzdem dieses Ölvorkommen anzapfen, egal ob Deutschland nun vorher gezahlt hat oder nicht.
    Warum kommen solche Vorschläge eigentlich nicht vor Regierungen mit einem gewissen Niveau und Selbstrespekt wie der kolumbianischen, der brasilianischen oder der chilenischen?

  • Warum werden hier eigentlich ständig rechtmäßig gewählte Regierungen dermaßen an der Pranger gestellt, nur weil sie eine Politik verfolgen, die sich abseits des Mainstream befindet?

    Wenn eine ausländische Firma Öl fördern möchte und nichts weiter zurücklässt, als verschmutzes, völlig zerstörtes Gebiet, geht das anscheinend völlig in Ordnung. Natürlich ist es außerdem ungeheuerlich, dass sich dieser böse Präsident gegen die Ausbeutung durch den IWF, etc, wehrt. Was bildet der sich eigentlich ein….

  • Die Entscheidung von Niebel ist korrekt.
    1. Es gibt keinerlei Garantie, dass es sich die Regierung irgendwann nicht anders überlegt und doch fördert. Besonders bei einer Regierung, die ihre Auslandsschulden für illegal erklärt und erst kürzlich das Investitionsschutzabkommen mit Deutschland gekündigt hat, sind Zweifel an der Zuverlässigkeit angebracht.
    2. Der Beitrag zum Umweltschutz ist fraglich. Ecuador wird seine Gesamtfördermenge nicht reduzieren. Das Öl von ITT, das (vorerst?) in der Erde bleibt, wird durch die Förderung an anderer Stelle (unter anderem auch viele Ölfelder im Park Yasuni) kompensiert.
    3. Aus gleichem Grund ist es auch nicht wahr, dass Ecuador Einnahmen entgehen werden. Mit oder ohne Förderung in ITT wird Ecuador jährlich insgesamt die gleiche Menge Öl fördern, eben nur an anderer Stelle.
    4. Das kleine ITT Gebiet innerhalb des riesigen Yasuni Parkes ist reine Symbolpolitik. Die Regierung fühlt sich in Wahrheit weder der Umwelt noch den Indigenas verpflchtet. Umweltorganisationen werden von Correa verboten (z.B. Acion Ecologica) und kritische Indigenas politisch verfolgt (z.B. Gudalupe Llori).
    5. Die Beispielwirkung wäre fatal. Jedes Land der Welt könnte den Rest der Welt in Zukunft erpressen: “Wenn ihr nicht zahlt, werden wir unseren Wald abholzen” u.s.w.

    Geehrter Herr Acosta,
    aus persönlichen Erfahrungen wissen Sie, wie unberechenbar Herr Correa ist. Offenbar ist sich auch Herr Niebel dessen bewußt. Seine Zweifel kann ich deshalb sehr gut verstehen.

  • Die Leute mit der geringsten Ahnung von Südamerika haben oft eine Tendenz sich am lautesten zu beteiligen, siehe Herr Wolf. Von Ecuador habe ich nun wiederum noch wenig Ahnung, aber alleine schon die Gleichsetzung von “Chavez” mit “schlecht” zeugt von entweder a)irreversibler Indoktrinierung oder b) schlichter Unkenntnis der Lage. Davon abgesehen ist Ecuador natürlich in keinster Weise von Venezuela gesteuert. Das aber alles nur nebenbei.
    Daß ein FDP-Minister sich sowas erlaubt verwundert doch niemanden, oder? Liberale sehen Entwicklungshilfe eben nur als Vehikel zur Förderung ihrer eigenen Wirtschaftsinteressen. Nicht nur Liberale natürlich, die sind im Grunde sogar noch am ehrlichsten und behaupten erst gar nicht es ginge ihnen um Umwelt/Menschenrechte etc..

  • Sicherlich wäre die ITT-Intiative ein geniales Zeichen, dass es Alternativen zur Erdölförderung geben kann, ein Anfang, der unterstützt werden sollte. Dass Deutschland als Vorreiter nur einen Rückzieher macht ist traurig.
    Leider aber ist auch die ecuadorianische Regierung in ihrer Politik nicht kongruent: während des Besuches des Präsidenten in Korea wurden Pläne zur Erschließung 10 neuer Blöcke im Süden des ecuadorianischen Amazonastieflandes (Pastaza-Provinz) durch die staatliche koreanische Erdölgesellschaft gemacht (El Comercio, 6.12.2010): Ecuador braucht das Öl und im ähnlich artenreichen und relativ unberührten Regenwald Pastazas stört eben kein Nationalpark die Erschließung…

  • Ob sich Dieter Wolf wohl im Land vertan hat? In Ecuador selbst – und kaum einmal in den USA – unterstellt keine Ernst zu nehmende Person, die Regierung Correa waere von Chávez gesteuert . Das Oel im Yasuní nicht zu foerdern, waere ein wichtiges Zeichen: in Quito, in Berlin und weltweit. Und genau deshalb will es Herr Niebel ja auch nicht, entgegen der Mehrheit im Bundestag.

  • Ich glaube du hast keine Ahnung… Frag die Ecuadorianer selber, da brauchen sie gar nicht Chávez, um drauf zu kommen, daß sie ihre Urwälder Amazoniens bewahren wollen statt sie mit Ölförderung zu zerstören, wie schon in einigen Gegenden geschehen, wie eben wieder ein paar Monate lang im Golf von Mexiko passiert. .. Es sind nicht alle so doof wie wir, die sich 2009 eine Regierung wählen, die einer Bananerepublik alle Ehre machen würde. D. Niebel bricht die Verträge mit Ecuador, Frau Merkel kündigt die gültigen Verträge zum Atomausstieg einfach auf und wirft das Geld für energetische Gebäudesanierungen, Förderung regenerativer Energien und kommunaler, dezentraler Stadtwerke den Atomkonzenren hinterher. Das sind die wahrlich falschen Hände… ich finde diesen Entwicklungshilfeminister sollte man endlich abschaffen mit samt seiner ganzen Regierung, die das Vertrauen ihrer Wähler in weniger als einem Jahr komplett verspielt haben.

  • ich finde die Entscheidung des Ministers Niebel richtig.
    Unter der derzeitigen Regierung Ecuadors – kontrolliert von Hugo Chavez – gibt es keine Garantie, dass das Geld auch dahin geht , wo es hingehen sollte.

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