vonGaby Küppers 15.03.2012

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Ernst-Ernesto ist nicht mehr da. Das ist nur schwer zu ertragen. Ganz heimlich haben wir alle, die ihn kannten, auf die eine Ausnahme gehofft. Wenigstens er sollte unsterblich sein. Weil er der alte Widerstandskämpfer war, der nie aufgegeben hat. Weil er der Lehrer war, der nie belehrt hat. Weil er bis zum Schluss vorwärts gedacht hat. Weil er uns alle fasziniert hat. Weil er unendlich solidarisch war. Weil er Humor hatte.

 

Doch Ernst-Ernesto Kroch ist am 11.März 2012 mit 95 Jahren in Frankfurt/Main gestorben. Das war just am Jahrestag der Katastrophe von Fukushima. Ein Tag, der mich noch einmal sehr mit Ernst Kroch verbunden hat. Denn der GAU war vor einem Jahr noch der Anlass für eine der letzten der unzähligen Aktionen gewesen, die er in seinem langen Leben angestoßen und vorangetrieben hat. Ich habe ihn dabei in Uruguay erlebt.

Ernst Kroch wurde 1917 in Breslau geboren. Seinen Widerstand gegen die Nazis bezahlte der junge jüdische Kommunist mit Haft und KZ. 1938 konnte er an den Río de la Plata emigrieren. In Uruguay arbeitete Ernesto in einem Eisenbahn- und einem Dampfkesselwerk, war gleich wieder gewerkschaftlich engagiert.

Als 1973 eine Militärdiktatur die Macht an sich riss, arbeitete er klandestin weiter 1982 floh er für drei Jahre nach Frankfurt/M.. Sein erstes Zufluchtsland Uruguay war ihm längst Heimat zu worden, ins Land seiner Geburt kam er als Flüchtling. Seiner 1990 erschienenen Autobiographie gab er deshalb den Titel „Exil in der Heimat, Heim ins Exil“.

Im Jahr 1985 konnte er nach Uruguay zurückkehren. Für eine Krebsoperation reiste er 1987 nochmals nach Deutschland. Danach kam er alljährlich in den uruguayischen Wintermonaten mit seiner Frau Eva nach Frankfurt. Alle Jahre wieder absolvierte er einen schier unglaublichen Veranstaltungsmarathon die Republik ‘rauf und ‘runter, um über seine politische Biographie, Entwicklungen der uruguayischen Politik, und linke Mobilisierungen aufzuklären.

Über Jahre konnte ich ihn in Deutschland nicht sehen, da ich nur am Wochenende von meinem Arbeitsplatz in Brüssel aus ins Zuhause nach Bonn fuhr. An den Wochenenden aber war Ernst ausgebucht. Immer stand irgendeine eine Tagung, eine Attac-Sommeruni oder sonst ein Vortrag an, weswegen er nicht einfach „frei“ machen konnte, um uns in Bonn zu besuchen.

Einmal, es ist vielleicht zehn Jahre her, ging er am Telefon davon aus, dass er meinen Lebensgefährten Gert Eisenbürger und mich am nächsten Wochenende in Berlin sähe. Wir standen buchstäblich auf der Leitung. Berlin? Ja, aber da fände doch die Love Parade statt. Wenn man wissen wolle, wie die junge Generation so tickt und wie es um die Bewegung in Deutschland steht, müsse man dorthin, wo sich eine Million Jugendlicher tummelt. Ernst jedenfalls fuhr mit seinen Enkelinnen zur Love Parade und sah sich um, um die deutsche Jugend zu kapieren.

Kein Wunder, dass dem bescheidenen Ernst-Ernesto jedes Publikum, gleich welchen Alters, an den Lippen hing. Und er hörte selbst umgekehrt zu. Ernesto mochte physisch allmählich alt werden, geistig aber war er beweglicher als so mancher 40-Jährige. Er war antifaschistischer Mahner, aber keiner mit dem erhobenen Finger.

Im Gegenteil, Ernst war neugierig. Immer wieder nahm er neue Ideen und Entwicklungen auf und teilte sie mit. Seine letzte Rede, die er zur Eröffnung des neuen Museums im KZ Lichtenburg als letzter überlebender Häftling halten wollte, konnte er am 1. Dezember 2011 nur noch vom Krankenzimmer aus per Videobotschaft vermitteln.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=GszpPA3nEC4[/youtube]

 

Im Juli 2011 hatte ihn in Frankfurt ein Darmdurchbruch aus der Bahn geworfen. Er war gerade von einem Besuch seiner Schwester in Israel zurückgekehrt, um seine gewohnte Sommervortragstour aufzunehmen.

Im uruguayischen Herbst und hiesigem Frühling desselben Jahres wenige Wochen nach dem Atomunfall von Fukushima, war Ernesto Feuer und Flamme für die Idee gewesen, in Montevideo eine Veranstaltung zu diesem Thema mit RednerInnen aus Lateinamerika und Europaabgeordneten durchzuführen, die zu einer ParlamentarierInnenkongress nach Uruguay reisten.

Die Atomausstiegsszenarien in Europa sollten AtomkraftgegnerInnen im Cono Sur (südliches Lateinamerika), das gerade wieder mit der Technologie zu liebäugeln begann, den Rücken stärken. Ernesto war immer auf der Höhe der Zeit und war dabei genauso Analytiker wie Aktivist.

Ökologische Fragen gehörten für das ehemalige Mitglied der Kommunistischen Partei Uruguays längst ins Zentrum politischer Ideenbildung. AKWs waren für ihn zu teuer, zu gefährlich, zu unsinnig, zumal in einem bevölkerungsarmen Land wie Uruguay.

Er schmiedete also mit an der breiten Koalition, die zur Veranstaltung aufrief, kümmerte sich um RednerInnen, Raum und Mobilisierung. Auf dem Podium saßen am Ende Europaabgeordnete der Grünen und der Linken, ein uruguayischer Minister, Fachleute aus Argentinien. Der Saal war rappelvoll. Ernesto stand zu Beginn auf, erklärte knapp alles Entscheidende und setzte sich zurück ins Publikum. Er nahm sich nie persönlich wichtig.

Zwei Tage vor der Veranstaltung war ich in Montevideo angekommen. Ernesto verlor keine Zeit, machte sofort das erste Treffen aus und erklärte mir den Stand der Vorbereitungen, wo er und seine Frau Eva überall Veranstaltungsplakate verteilt hatten und welche Medien zu berichten versprochen hatten.

Im Rucksack hatte er die Wochenzeitung Brecha, die Tageszeitung La República la diaria erscheint sonntags nicht, sagte er, – und ein paar weitere Artikel, damit ich mich auf die knappe Woche in Montevideo vorbereitete.

Auf keinen Fall dürfe ich am Donnerstag die Belagerung des Kongresses verpassen, wo eine Mehrheit von Abgeordneten überzeugt werden müsse, für die Aufhebung des Amnestiegesetzes für Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur zu stimmen. Ebenso wenig am Freitag den jährlichen Schweigemarsch zum Jahrestag der Ermordung des uruguayischen Abgeordneten Zelmar Michelini in Buenos Aires, der die Cono-Sur-weite Zusammenarbeit der Militärdiktatoren in den 70er Jahren deutlich machte. Selbstredend, wir könnten jeweils gerne zusammen hingehen.

Bei einer Flasche Mineralwasser führte Ernesto mich an jenem ersten Morgen in die uruguayische Aktualität ein, erkundigte sich nach Entwicklungen in Europa, plante unsere nächsten Treffen durch. Danach kletterte er in einen Bus, um die etlichen Kilometer vom Stadtzentrum zurück bis nach Hause ins Viertel Andresito nahe des Flughafens Carrasco zurückzulegen.

In Andresito kümmerte sich Ernesto zusammen mit Eva seit Jahrzehnten um Stadtteilarbeit im Sinne des inzwischen Staat und Hauptstadt regierenden Linksbündnisses Frente Amplio. Sein kleines Haus war Wahlbüro bei Referenden, im Vorgarten stand stets eine Art Wandzeitung, die stets selbst malte und monatlich aktualisierte: plakative Daten zu Auslandsschulden, den zweifelhaften Segnungen von Privatisierungen, der Umverteilung von unten nach oben oder auch zum Internationalen Frauentag.

Die Wandzeitung stellte sozusagen die aktualisierte Kurzversion seiner Artikel und Bücher für die Nachbarschaft dar. Er schrieb übrigens für uruguayische wie für deutsche Medien – die ila ist stolz, dass sie ihn fast 30 Jahre ihn zu ihren ständigen Mitarbeitern zählen durfte. Dazu Sachbücher, und in späteren Jahren auch Bände mit Erzählungen und einen unveröffentlichten Roman, in denen es im Grunde immer auch darum ging, den Deutschen Uruguay und den UruguayerInnen Deutschland zu erklären.

Politik war sein Leben. Und die Casa Bertolt Brecht sein wichtigstes Projekt, weil man Politik ja vermitteln und die Menschen mobilisieren muss, für eine bessere Welt zu kämpfen. Die Casa Brecht war bis 1990 das Kulturinstituts der DDR in Montevideo, Gegenstück zum westdeutschen Goethe-Institut.

Nach dem Ende der DDR machte eine Handvoll Linker einfach weiter und das Haus wurde zu einem Kommunikations- und Bildungszentrum, wo Kurse und Veranstaltungen für soziale AktivistInnen stattfanden, und der Austausch zwischen europäischen und uruguayischen Linken gefördert wurde. Der nötigste Unterhalt wurde über Sprachkurse finanziert, der Rest über Spenden und Projektfinanzierung. Auch die Honorare für seine Vorträge in Deutschland steckte Ernesto in die Casa Bertolt Brecht.

Die europäischen RednerInnen lud Ernesto nach der Anti-AKW-Veranstaltung flugs ebenfalls  ins Bertolt-Brecht-Haus ein. Nach deren Zusage trommelte er  gleichsam über Nacht den engsten Kreis ehrenamtlicher MitarbeiterInnen zusammen, um auch diese Gelegenheit nicht zu versäumen, über Spielräume und TrägerInnen linker Politik beiderseits des Atlantiks zu diskutieren.

Zur allgemeinen Verblüffung übernahm Ernesto sofort die Verdolmetschung zwischen deutsch und spanisch. Von Zeit zu Zeit führte er ihm allzu knapp erscheinende Statements weiter aus, erklärte den uruguayischen KollegInnen Stuttgart 21 und Hartz IV oder auch einen gerade stattgefundenen Arbeitskampf in einem deutschen Betrieb, erläuterte den EuropäerInnen den Kontext in Uruguay.

Am Ende nahmen er und seine Frau wieder den Bus hinaus nach Andresito. Denn am nächsten Tag ging der Kampf  ja weiter. Eine lange Nacht des Protestes gegen die Beibehaltung des Amnestiegesetzes vor dem Kongress stand bevor.

Sein großer Wunsch war, dass die Casa Bertolt Brecht weiter besteht. Dazu sollen auch die Spenden dienen, die Ernesto und Eva zum Abschied von Ernesto erbitten.

Spendenkonto:
Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft e.V.
Kontonummer 443 499 102
BLZ 100 100 10 (Postbank Berlin)
Verwendungszweck: Casa Bertolt Brecht, Montevideo

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