Was hat deutsche LeserInnen aus Lateinamerika zu interessieren? Für Blatt- und Portalmacher spielen Nachrichtenagenturen bei der Themenauswahl eine wichtige Rolle. Nur bieten diese auch aus dem fernen Südamerika immer öfter Klatsch-, Skandal- oder Schauergeschichten.
So berichteten heute dpa, AFP und AP unter apodiktischen Überschriften wie „Menschen in Peru ermordet, Fett verkauft“ von einem „mutmaßlichen Fetthändler-Ring“ aus Peru, auf dessen Konto Dutzende von Morden gehen sollen. Die Opfer, meist arme Bauern, seien entführt und enthauptet worden, heißt es unter Verweis auf peruanische Medien – und die dortige Polizei.
So wird man berühmt
Dann habe man die Leichen „an Haken über Kerzenflammen“ aufgehängt, ihnen das Fett entnommen, sie anschließend verscharrt oder in Flüsse geworfen.
„Die Bande kassierte 15.000 Dollar für jedes Kilogramm menschliches Fett“, schrieb dpa zunächst im Indikativ, die Käufer seien laut Polizeigeneral Eusebio Félix Murga europäische Kosmetikfirmen gewesen. afp und ap erhöhten den Exotik-Grusel-Faktor mit einem Schuss blutrünstiger Andenmythologie. Die ermittelnden Polizisten nennen die angeblichen Fett-Gangster „Pishtacos“ – nach weißen, bärtigen Schlächtern, die zur Kolonialzeit das Fett ihrer Opfer an Glockengießer oder Medizinmänner weiterverkauft haben sollen.
Seriöse Zeitungen in Lima verbannten die Räuberpistole auf die hinteren Seiten. „Schwer zu glauben“, findet El Comercio und läßt Julio Castro, den Dekan des Medizinischen Kollegs von Peru, zu Wort kommen: „Schönheitschirurgen entziehen ihren Patienten jeden Tag Fett und werfen es weg, weil es keine Käufer gibt“, berichtet Castro, „deswegen kommt es mir ziemlich unwahrscheinlich vor, dass jemand 15.000 Dollar für einen Liter menschlichen Fetts zahlt“. Zudem sei „handwerklich“ entzogenes Fett verunreint und daher nutzlos.
Zuletzt zitiert auch AP-Korrespondent Andrew Whalen zwei US-Experten, die die Vorstellung eines internationalen Schwarzmarkts für Menschenfett als abstrus abtun – egal, verkaufen wird sich die Story trotzdem. dpa relativierte ihre Überschrift erst im zweiten Anlauf mit dem Zusatz „grausiger Verdacht“. Schließlich tickerte es aus Hamburg: „Menschenfett war früher begehrter Rohstoff”. Was die Frage aufwirft: In welchem Zeitalter leben die angeblichen Fett-Mafiosi aus den Anden?
P. S. Selbst für die taz bzw. taz.de ist das Thema viel interessanter als etwa die andauernden diplomatischen Rangeleien zwischen Peru und Chile. Munter konkurriert man mit SZ, Bild oder SpOn (dort gehörte der Artikel zu den Klick-Favoriten). Es lebe der Sensationsjournalismus – ob offen oder notdürftig kaschiert, ist da schon zweitrangig.
„Was die Frage aufwirft: In welchem Zeitalter leben die angeblichen Fett-Mafiosi aus den Anden?“
Die Frage ist auch: Wer will sie so darstellen (und was steckt wirklich hinter dem einen gefundenen Toten mitsamt der umfangreichen Polizeiaktion)? In zahlreichen Web2.0 Seiten von peruanischen Bloggern finden sich nette Kommentare, die die Story als weitere Nebelkerze aus Regierungskreisen verorten. (Der Pishtaco-Mythos soll vor allem auch in Narco-Gegenden kursieren.)
Die Chile-Spionage-Story ist auch so neu nicht – dem Abtrünnigen war man wohl seit 2007 auf der Spur. Es wird halt gern relevanteres gedeckelt in Peru.