vonChristian Russau 16.10.2017

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Die ruralistas feiern in Brasilien einen Sieg nach dem anderen. Nun wurde dem langjährigen Wunsch der Großfarmerfraktion nach Aufweichen der gesetzlichen Kriterien zu Sklavenarbeit und sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis entsprochen – und das Ergebnis ist verheerend für die Situation der Menschenrechte im Land.

Brasiliens Arbeitsminister Ronaldo Nogueira hat heute, am Montag, dem 16. Oktober eine neue Direktive veröffentlicht. Diese ergänzt die im Lande geltenden Bestimmungen zu Sklavenarbeit und sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis um wesentlich neue Punkte, die letztlich die Bekämpfung der Sklavenarbeit erheblich erschweren werden. Die Direktive Portaria MTB Nº 1129 DE 13/10/2017 ist im Wortlaut hier nachzulesen.

Eigentlich definiert Artikel 149 des brasilianischen Strafgesetzbuchs Sklavenarbeit und sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis eindeutig: trifft eine der folgenden vier Bedingungen zu, handelt es sich um Sklavenarbeit und sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis: 1) Zwangsarbeit, 2) ein Arbeitspensum, das die Menschen überanstrengt, 3) Lohnsklaverei, 4) menschenunwürdige Arbeitsbedingungen.

Nun hat das Arbeitsministerium per Direktive den Bedingungen “2) Arbeitspensum, das die Menschen überanstrengt”, und “4) menschenunwürdige Arbeitsbedingungen” die zusätzliche Definition der “Unfreiheit” hinzuschrieben. Auf den ersten Blick nichts Großes (“Unfreiheit” sei ja schon in Bedingung 1 enthalten), aber der zweite Blick enthüllt die ganze Dramatik, Dimension und die schwerwiegenden Konsequenzen: Denn es gilt ja weiterhin, dass jeder der Bedingungen alleine für sich ausreicht, um den “Arbeitsgeber” als für Sklavenarbeit Verantwortlichen zu definieren und zu bestrafen. Nun aber muss bei den Faktoren 2) “Arbeitspensum” und 4) “menschenunwürdige Arbeitsbedingungen” zusätzlich der “Zwangscharakter” nachgewiesen werden, so als seien ausbeuterisches Arbeitspensum und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen (wie in Art. 149 ja eigentlich definiert) keine eigenständigen Definitionen von Sklavenarbeit und sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis. Und die Direktive hat obendrein festgelegt, dass der Zwangscharakter von dem Opfer als solcher eigenständig und öffentlich definiert werden muss – angesichts von realen Macht-, Droh- und Einschüchterungsverhältnissen gerade im Bereich von Sklavenarbeit ein Skandal. Und in der Direktive wurde die Befugnis der Kontrolleure eingeschränkt: die Entscheidung über  Sklavenarbeit / sklavenarbeitsähnliches Zwangsverhältnis tätigt nicht mehr der/die Kontrolleur/in des Arbeitsministeriums eigenverantwortlich, sondern es muss ein Polizeiprotokoll zusätzlich erstellt werden. Angesichts bekannter Macht- und Freundschaftsstrukturen zwischen Polizei und Großgrundbesitzern kaum auszumalen, wie oft es dann in Zukunft überhaupt noch zur Bestrafung der Täter kommt. Und eine weitere Neuerung der Direktive ist den ruralistas besonders wichtig: die Namen auf der Liste der dreckigen Sklavenarbeitshalter finden künftig nur noch dann Erwähnung, wenn auch der zuständige Minister der Veröffentlichung des Namens zustimmt.

Ein Schelm, wer Böses bei all dem denkt…
…schliesslich war ja erst vor wenigen Tagen der Ministerial-Koordinator zu Sklavenarbeit entlassen worden, und dann war noch bekannt geworden, wie extrem sich die offensichtlich gezielt eingesetzte Kürzung der Haushaltsmittel in diesem Jahr auswirkte:
2013 wurden in Brasilien 2.808 Menschen aus sklavenarbeitsähnlichen Verhältnissen befreit.
2014 wurden in Brasilien 1.752 Menschen aus sklavenarbeitsähnlichen Verhältnissen befreit.
2015 wurden in Brasilien 1.010 Menschen aus sklavenarbeitsähnlichen Verhältnissen befreit.
2016 wurden in Brasilien 885 Menschen aus sklavenarbeitsähnlichen Verhältnissen befreit.
2017 wurden in Brasilien im Zeitraum Januar bis September 73 Menschen aus sklavenarbeitsähnlichen Verhältnissen befreit.

Geht also in Brasilien die Sklavenarbeit zurück?
Nein. Die Kontrollen haben abgenommen. Und die von der Regierung zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel. Dem Bericht bei “De Olho nos ruralistas” zufolge beläuft sich das Restbudget für dieses Jahr auf 6.630 Reais (jede Vor-Ort-Untersuchung schlägt mit ca. 60.000 Reais zu Buche).

Mit all diesem Maßnahmen kann man die Sklavenarbeit auch “verschwinden” lassen – ohne sie in ihrem Kern anzutasten.
Ein Schelm, wer Böses…
Oder fragen wir besser: Cui bono?

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