vonGerhard Dilger 27.04.2012

Latin@rama

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Porto Alegre (epd). Argentiniens Zugriff auf die Anteile des spanischen Ölmultis Repsol an der Firma YPF schlägt hohe Wellen: Diese Verstaatlichung dürfte das südamerikanische Land noch lange bereuen, schimpfte EU-Handelskommissar Karel de Gucht. “Wir werden die Folgen dieser Entscheidung über Generationen genießen”, gab der argentinische Innenminister Florencio Randazzo zurück.

Mit seiner selbstbewussten Antwort weiß sich der Linksperonist im Einklang mit der großen Mehrheit seiner Landsleute, wie Umfragen belegen. Am Donnerstag bestätigten 63 von 70 anwesenden Senatoren die Enteignung von 51 Prozent der YPF-Anteile, die bis vergangene Woche von Repsol kontrolliert wurden. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner setzte damit die Linie ihres Vorgängers und 2010 verstorbenen Ehemanns Néstor Kirchner (2003-07) fort, der Argentinien durch die einseitige Streichung von Auslandsschulden neue wirtschaftliche Spielräume eröffnet hatte.

“Wir Argentinier müssen unsere natürlichen Ressourcen selbst verwalten, im Wasser, auf der Erde und unter der Erde”, erklärte die Staatschefin. Die von den Finanzmärkten verdammte Maßnahme passt bestens zu einem zentralen Element des Linksrucks, der Südamerika im vergangenen Jahrzehnt geprägt hat: Immer mehr Regierungen bemühen sich, die staatliche Verfügungsgewalt über die Rohstoffe zurückzugewinnen. Und wie im Fall YPF überwiegen im Westen die kritischen Stimmen, aus den Nachbarländern jedoch kommt viel Zustimmung.

So übernahm in Venezuela Hugo Chávez die Regie im Ölkonzern PDVSA, der zuvor wie ein Staat im Staate agiert hatte. Dafür musste der eigenwillige Sozialist 2002 einen 48-Stunden-Putsch und einen fast dreimonatigen Ausstand der Unternehmer in Kauf nehmen. 2006, ein halbes Jahr nach seinem ersten Wahlsieg, erklärte der Bolivianer Evo Morales die Nationalisierung der Öl- und Gasvorkommen.

In Ecuador erhöhte Rafael Correa die Steuern bei der Ölförderung, der Peruaner Ollanta Humala führte 2011 im Bergbausektor drei neue Abgaben ein. Und in auch in Brasilien haben Luiz Inácio Lula da Silva (2003-10) und Dilma Rousseff die Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik wieder gestärkt, wenn auch behutsamer als ihre linksnationalistischen Kollegen.

Die durch den Rohstoffboom der vergangenen Jahre zusätzlich gestiegenen Einnahmen stecken die Regierungen ins Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in die Infrastruktur ihrer Länder. Sie bauen Sozialprogramme aus und erhöhen die Mindestlöhne – seit 2002 sind allein in Brasilien 40 Millionen Menschen von der Armut in die untere Mittelschicht aufgestiegen.

Beim Wahlvolk kommt das an: Chávez, Lula, Morales, Correa und Fernández de Kirchner wurden teilweise mehrfach in ihren Ämtern bestätigt. Nach der Privatisierungswelle in den 90er Jahren stehen die meisten Südamerikaner hinter der sozialen Wende, auch nationalistische Töne wie jetzt in Argentinien zahlen sich aus.

Dass die Nationalisierungen allein allerdings noch keine dauerhafte Erfolgsgarantie sind, zeigen Krisensymptome wie Inflation, grassierende Korruption, zuweilen autoritäre Tendenzen in der Politik und vor allem anhaltende Umweltschäden.

Der uruguayische Ökologe Eduardo Gudynas geißelt einen “plündernden Extraktivismus” bei der Ölförderung, im Bergbau oder auch in der exportorientierten Landwirtschaft. Auf diese Herausforderungen hätten Südamerikas progressive Regierungen noch keine überzeugende Antwort gegeben, meint Gudynas.

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