vonHildegard Willer 23.07.2013

latin@rama

Seit 2008 Nachrichten vom anderen Ende der Welt und anderswoher.

Mehr über diesen Blog

Als vor wenigen Wochen die brasilianische Jugend, scheint´s aus dem Nichts, protestierend die Strassen bevölkerte, fragte ich meine Studierenden in Lima, wann sie vorhätten, die Strassen Limas zu besetzen. Die Reaktion war zuerst verhalten, bis schliesslich Alejandro im Zeitlupentempo – es war schliesslich erst 9 Uhr morgens –  den Finger hob  und meinte: „hier in Peru sind wir dazu viel zu passiv und angepasst“.  Für ihn und seine knapp 20-jährigen Altersgenossinnen und -genossen sind die Proteste gegen die Fujimori-Diktatur Ende der 90-er Jahre die Heldengeschichten ihrer Eltern. Selber gingen sie auf die Strasse, als vor zwei Jahren die Fujimori-Tochter Keiko an die Macht zu gelangen drohte, und sie so die Wahl  Ollanta Humalas zum Präsidenten beeinflussten. Seitdem Wirtschaftswunder pur, und sie als städtische Mittelschicht mitten drin.  Wogegen soll man da protestieren ?

Meine Studierenden sollten dennoch unrecht behalten: seit knapp einer Woche protestiert Perus – vor allem städtische – Jugend auf den Strassen gegen den Einheits-Politik-Filz, dem alle Politiker erlegen zu sein scheinen: der ehemalige Antikorruptionsheld Alejandro Toledo ebenso wie der ehemalige Linksnationalist Ollanta Humala, der heute selber sagt, dass er nie links gewesen sei. Ganz zu schweigen vom zweimaligen Präsidenten Alan García, der trotz seines langen politischen Sündenregisters von einer dritten Amtszeit träumt.

Der Anlass für die Proteste scheint banal: das Parlament wählte die neuen Richter des Verfassungsgerichtes, die Direktoren der Zentralbank und den neuen Ombudsmann bzw. -frau.  Die Kandidaten waren das Ergebnis eines Geschacheres zwischen allen Parteien und dementsprechend skandalös (ein Fujimorista als Verfassungsrichter) bis mittelmässig (eine wenig qualifizierte Alejandro Toledo-Parteigängerin als Ombudsfrau). Wenn auch nicht ein Ruhmesblatt der Demokratie – so läuft ähnliches wohl in allen Parlamenten der Welt ab. In Peru kam die Politikerklasse dieses Mal nicht damit durch: der Aufschrei ging durch alle Reihen und sozialen Netzwerke , die Jugendlichen erhoben sich vom Labtop und gingen auf die Strasse, und die bereits gewählten Amtsträger beugten sich dem Druck der öffentlichen Empörung und traten zurück, bevor sie noch ihr Amt angetreten hatten.

Die Tatsache, dass junge Leute in Lateinamerika  nicht mehr für einen – ob linken oder rechten – Caudillo auf die Strasse gehen, sondern um ihre demokratischen Institutionen zu verteidigen, darf als Reifezeichen der Demokratie gesehen werden. Was sich noch an Unzufriedenheit hinter den Protesten verbirgt, ob sie bis zum Nationalfeiertag am 28.Juli anhalten werden und Ollanta Humala seine Halbzeit-Bilanz  vermiesen: darauf bin ich selber gespannt.

Meine Studierenden zumindest “ se han deshuevado“ – sie sind aufgewacht!!!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/desahuevate-wach-endlich-auf/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert