vonPeter Strack 27.03.2022

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Galindo, que lindo, a los Brothers pones ritmo“, „Galindo, wie schön, du bringst die Brüder in Bewegung“, beginnt der Ohrwurm der Cumbia-Gruppe Los Brothers (hier der LINK), der nicht nur in Bolivien viral gegangen ist und schnell auch Diskotheken und Privatfeste erobert hat. Die anarchistische Feministin, Aktivistin und Journalistin Maria Galindo hatte den Song mit einer ihrer Radio-Livereportagen beim Disziplinargericht der bolivianischen Polizei in La Paz, abgekürzt DIGIPI, inspiriert.

Die aus bürgerlichen Verhältnissen entstammende Rebellin, die seit 2007 den eigenen Sender „Radio Deseo“ leitet, aber ihre Anliegen inzwischen auch zunehmend über die sozialen Medien verbreitet, ist als Gesprächspartnerin wegen ihres aggressiven Auftretens gefürchtet. Vor allem bei Männern, aber auch bei Frauen, von denen sie der Meinung ist, dass sie ihren Aufgaben zur Verteidigung der Menschenrechte nicht nachkommen. Etwa die aktuelle Ombudsfrau Nadia Cruz, die mit Kritik an Funktionären der regierenden Bewegung zum Sozialismus zurückhaltender ist, als man es von einer Ombudsperson erwarten kann. In ihrer Behörde, so Galindo, sei die Empfangsperson die Einzige, die ihrer Aufgabe nachkomme. Mit dem Argument, dass die soziale Kontrolle als Recht in der Verfassung verankert ist, geht sie ohne um Erlaubnis zu fragen in die Büros, zählt leere Schreibtische und bedrängt diejenigen mit dem Mikrophon, die es nicht mehr geschafft haben, das Weite zu suchen, oder die durchaus zu antworten bereit sind.

Den staatlichen Instanzen auf den Nerv fühlen

Auch beim Besuch der Medizinischen Forensik ist eine ihrer ersten Fragen, wie die neue Koordinatorin an ihre Stelle gekommen ist, ob durch Korruption oder eigene Verdienste, und wie viel sie verdient. Um wenig später einen Fall auszubreiten, bei dem Personal der Behörde Untersuchungsergebnisse unterschlagen hatte, um einen Frauenmörder vor der Verfolgung zu schützen.

Ihre Interviews nennt Galindo konsequenterweise „Barrikaden“. Auch beim Besuch des Disziplinargerichts der Polizei in La Paz dienten die Fragen weniger dazu, Information zu bekommen, sondern um auf Mißstände hinzuweisen. Etwa, dass es bis heute keine Verfahren gegen den früheren Gefängnisdirektor von San Pedro gebe. Den hatte die Aktivistin beschuldigt (latinorama berichtete), ein zumeist von Frauenmördern etabliertes System von Folter und Erpressung im Gefängnis zugelassen zu haben.

Und die Polizistin, die ihre Institution mit dem Argument zu verteidigen suchte, dass es Verbesserungen bei der Gleichstellung von Frauen gegeben habe, kanzelte Galindo vor laufender Kamera mit der Bemerkung ab, ihre Antwort sei langweilig und entfernt von der Wahrheit.

Ein ungewöhnlicher Lebenslauf

Mancher fragte sich deshalb, wie Maria Galindo auf die ihr gewidmete Cumbia reagieren würde. Die Gründerin des Frauenkollektivs Mujeres Creando hatte Mitte der 80er Jahre aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgerechnet im Vatikanstaat Zuflucht vor Verfolgung gefunden. Sie hatte dort Theologie und Psychologie studiert, später u.a. in Deutschland in der Krankenpflege gearbeitet, bevor sie 1992 nach Bolivien zurückgekehrt war. In dem von ihr mitbegründeten Kollektiv Mujeres Creando engagierte sie sich fortan für die Rechte von Frauen in der Prostitution, Hausangestellten oder Opfern häuslicher Gewalt. Sie erreichte aber auch durch provokante Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit, oder durch feministische Graffitis, die mit ihrer immer gleichen akkuraten Schreibschrift inzwischen zum Straßenbild von La Paz gehören.

Der Tanz wird unseren Schmerz heilen

Sie lehne nur sexistische Liedtexte ab, begründete Galindo ihre Zustimmung zur Cumbia der „Los Brothers“. Und anders als es im Liedtext heißt, sei sie durchaus eine Cumbiera. Das bewies sie dann bei einer spontan vereinbarten öffentlichen Produktion eines neuen Videoclips von „Didipi Diripi“ auf der Plaza San Francisco im historischen Zentrum von La Paz. Und die inszenierte Galindo selbst zusammen mit ihrem Kollektiv von Mujeres Creando und der Unterstützung einer Transgender-Choreographin als Happening. Tausende ihrer Mitstreiter*innen, Fans, Schaulustigen, Passant*innen, und fast die gesamte Presse hatten sich versammelt. Bevor sie jedoch Galindo beim Tanzen sehen und filmen konnten, bekamen sie mit frisch auf mitgebrachten Transparenten applizierten Graffiti und schon heiserer Stimme die Botschaften der Aktivistin gegen Feminizide und Machismo zu hören. Zum Beispiel der Satz: „Der Machismo ist die Schwäche der Männer, nicht ihre Stärke“. Um dann zu fragen, warum die Männer zu Gewalt greifen würden, statt Konflikte im Dialog zu lösen.

Neuaufnahme des Videoclips auf dem San Francisco-Platz,       Alle Fotos: Peter Strack

Nach einer Stunde hatte sich der Platz weiter gefüllt. Tatsächlich hatte die Cumbia bei vielen eine bislang häufig unterschwellige Anerkennung ihres Engagement für die Rechte der Frauen ans Tageslicht gebracht. Sie hatte eine Welle öffentlicher Zustimmung für die Frau angestoßen, die früher in Potosí und anderswo wegen ihrer kontroversen Positionen zur „unerwünschten Person“ erklärt worden war. Galindo: „Heute bin ich gekommen, um mit neuen Freundinnen und Freunden zu tanzen. Denn der Tanz wird unseren ganzen Schmerz heilen.“

Die Gunst der Cumbia und des Augenblicks nutzen

Anfangs betonte sie nur auf dem Pflaster tanzen zu wollen, und zwar zusammen mit ihren Mitstreiterinen auf dem dort ausgerollten Transparent, dem „Mosaik der Schande“ mit Fotos von Frauenmördern und Vergewaltigern. Doch später folgte sie dem Wunsch des Publikums und der Gruppe Los Brothers, auch ausgiebig auf der Bühne zu performen.

Und obwohl sie immer wieder darauf hinwies, es ginge hier nicht um sie, sondern die Rechte aller Frauen, verwandelte sich das frauenpolitische Happening mit zunehmender Dauer der Veranstaltung und mit der routinierten Animation des Liedautors von „Los Brothers“ zu einem popkulturellen Fan-Event. Vor allem allem für das jüngere weibliche Publikum.

Als Galindo ihre Haupt-Tanzpartnerin dann noch direkt auf den Mund küsste, kehrte eine ältere, traditionell gekleidete Frau dem Event dann doch den Rücken zu. Eine von vielen, denen Maria Galindo in ihrer ganzen Art fremd bleibt, die ihr frauenrechtliches Engagement jedoch anerkennen. Und so bekam die alte Dame am Ende auch nicht mehr die Ankündigung von Maria Galindo mit, im Parlamentsbüro, wo noch eine Woche lang die Bewerbungen für die Leitung der bolivianischen Ombudsstelle entgegen genommen werden, für eine große Überraschung zu sorgen. „Ich habe euch nicht gesagt, dass ich mich für das Amt bewerben werde“, versuchte Galindo Erwartungen und Gerüchten zu begegnen, um dann nichts weniger anzukündigen, als dass das Dach des Regierungspalastes einstürzen werde. „Es lebe das Leben! Für ein feministisches Bolivien!“.

Los Brothers“ haben ein Video von der Veranstaltung auf der Plaza San Francisco ins Netz geladen.

Zum Denken und zur Arbeit von Maria Galindo siehe ausführlich das aufschlussreiche Interview mit ihr in der Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika.

 

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