In Bolivien verschärfen sich Konflikte um das knapper werdende Land. Nicht nur die Agroexportindustrie, auch Kleinbauern laugen die landwirtschaftliche nutzbaren Böden durch unangepasste Anbaumethoden aus. Doch statt neue Flächen zu erschließen und Tropenwälder abzuholzen setzt die seit 1978 in Bolivien tätige Ingenieurin in internationaler Agrarwirtschaft und promovierte Pädagogin Noemi Stadler Kaulich darauf, die Fruchtbarkeit des erodierten Landes zurückzugewinnen. Und zwar mit Agroforst: Am Fuß des Tunari Bergmassivs in Cochabamba auf rund 2800 Meter höher leitet sie das Forschungszentrum „Mollesnejta“. Dort machen zahlreiche Studierende aus Europa und Bolivien ihre Experimente und Abschlussarbeiten.
Wir begleiteten Noemi bei einem Besuch von Landwirtschaftspromotor*innen einer kirchlichen Stiftung. Dabei wurde lebhaft über das Zusammenspiel einheimischer und fremder Kompostwurm-, Baum- und Pflanzensorten gefachsimpelt. Es wurden aber auch Informationen darüber ausgetauscht, wie kleinbäuerliche Familien mit Agroforst zusätzliche Einnahmen erzielen können. Kamille oder Kakteensaatöl für den Export, oder Holz, Gemüse und Früchte für den einheimischen Markt.
Noemi, wie bist du zur Agroforstmethode, sprich der Kombination von Baumpflanzungen und Nahrungsmittelanbau, gekommen?
NSK: 1978 bin ich das erste Mal nach Bolivien gekommen. Und 1998 habe ich mit meinem damaligen Partner das Stück Land in Combuyo gekauft. Es war steinig und deshalb billig und größer, als wir zunächst gedacht hatten. Bei so viel Steinen kann man eigentlich nur Bäume pflanzen. Und ich liebe es, Bäume zu pflanzen. Doch wir waren zumeist wegen der Arbeit in Deutschland. Da kam dann Georg Dreher vorbei, der mich um Erlaubnis fragte, auf dem Gelände Agroforst nach der von dem Schweizer Ernst Götsch in Brasilien entwickelten Methode auszuprobieren.
So wie sein Kollege Joachim Milz in den Tropen von La Paz, so wollte er es in der trockenen Tälerregion von Cochabamba versuchen. Ich kannte Agroforst damals noch nicht, war aber neugierig und so stimmte ich zu. Zweimal im Jahr kamen wir nach Mollesnejta. Und es hat mich überzeugt. In Sipe Sipe hatte ich zuvor Obst angepflanzt und hatte jede Menge Pferdemist zum düngen, aber es hat nicht gefunkt in der Erde. Mit Agroforst schon, und das ganz ohne Mist. Damals war ich allerdings noch zu beschäftigt mit den drei Kindern und der Arbeit in Deutschland.
2005 begann ich dann, beim Deutschen Entwicklungsdienst im Wissensmanagement zu arbeiten. Die erste Aufgabe war, die Aktivitäten des ded im Agroforst auszuwerten. Da gab es zwei Richtungen. Die einen mit einem lehrbuchmäßigen Vorgehen und über 40 Arten auf einer Parzelle entsprechend der natürlichen Sukzession. Und eine andere etwas pragmatischere. Der sind die Kleinbauern nur so nachgelaufen. Da begann man im Kleinen und schön geordnet, damit man auch erkennen konnte, was passiert. Jedenfalls habe ich für die Auswertung in Peru, Ecuador und Brasilien sehr viel gesehen. Aber ich habe mich auch gefragt, warum das alles im Tiefland gemacht wird und nicht in den Bergen, wo die Böden weithin erodiert sind. Und wo Mais und Kartoffeln für die Ernährung der Menschen produziert werden, nicht Bananen oder Kaffee für den Export. 2009 war dann meine Arbeit für den ded zu Ende, und 2010 hatte ich meinen ersten Praktikanten in Mollesnejta.
Was motiviert dich, in Bolivien zu forschen und dein Wissen an so viele junge Leute weiter zu geben?
Wir sind ja selbst in einer tollen Zeit des Friedens aufgewachsen. Aber was wir den nachkommenden Generationen hinterlassen, beschämt mich. Deshalb scheint es mir wichtig, den jungen Leuten zu vermitteln, wie sie die Fehlentwicklungen, die unsere Generation eingeleitet hat, korrigieren können.
Und es hat sicher seinen Grund, dass ich auch nach Nordostdeutschland eingeladen werde, wo sie so unter Trockenheit leiden, um nach Lösungen zu suchen. Hier in Bolivien sind wir dabei, Lösungen zu finden. Dort wie hier fehlt den Böden Biomasse. Und so experimentieren wir hier zum Beispiel mit pilzlastigem statt bakterienlastigen Kompost. Damit dem Boden weniger Energie verloren geht. Die ganze Landwirtschaft lebt von der Energie der Böden. Aber die Erde schreit nicht wie die Kuh, wenn sie Hunger hat. Und bis man merkt, dass die Böden ermüdet sind, ist es meistens zu spät. Und diese Ermüdung wollen wir mit Agroforst aufheben. Wenn du Bäume auf einem Acker hast, hast du einen Wurzelraum in der Erde, wo die Organismen geschützt sind und den Teil, der gestört wurde, wieder infizieren können.
Traditionelles Wissen mit internationaler Forschung verbinden
Die technischen Detaills wird man in deinem Buch nachlesen können, das Anfang September im Oekom-Verlag auf deutsch erscheint. Wo siehst du Potentiale für Agroforst in Bolivien?
NSK: Überall. Auch in der Hochebene. Mit Hugo Boero und Kleinbauernfamilien im Altiplano haben wir auf 4250 Metern Höhe Versuche durchgeführt. Da waren nur alte Leute, die eine zwei Meter hohe Mauer gebaut haben, um ihre ersten Bäume zu schützen. Daraus wird einmal eine Weide für die Alpakas werden.
Es ist auch keine fremde Methode. In Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru… eigentlich überall haben Frauen vor ihrer Hütte Zusammenstellungen unterschiedlicher Pflanzen, die sie täglich beernten, um ihre Küche zu bereichern. Sie machen das nicht so technisch wie wir, aber da gibt es ein althergebrachtes Wissen, das bewahrt werden und auf dem man aufbauen kann, um es auszuweiten. Die künstliche Intelligenz wird den Menschen immer mehr Arbeit abnehmen. Und was gibt es dann Sinnvolleres, als in der Landwirtschaft zu arbeiten?! Bei der Agroforstmethode wird Handarbeit noch gebraucht. Und gleichzeitig erhältst du durch das Einatmen der flüchtigen organischen Substanzen der Pflanzen deine Gesundheit.
Wo liegt Hoffnung für einen Wandel? In den ländlichen Gemeinden, in staatlicher Politik?
NSK: Wegen der Landknappheit suchen die Menschen in Bolivien nach Möglichkeiten, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern. Nächste Woche reisen wir zu einem Produzenten im Chapare, der auf 600 Hektar Bananen für den Export nach Argentinien produziert. Nun will er wissen, was er tun kann, um den Boden zu retten, den er zuvor ruiniert hat. Diese Leute merken, dass sie am Ende sind, dass sie so viel Agrarchemie investieren müssen, um überhaupt noch ernten zu können. Die Produktion ist einfach zu teuer geworden.
Das Wasser und die Biosphäre schützen und gleichzeitig Nahrungsmittel ernten
NSK: Ein gutes Beispiel für erfolgreichen Agroforst hier in der Region ist, wie die Fundación AGRECOL-Andes, unterstützt von der NRO Naturefund mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Naturpark Tunari mit Agroforst einerseits die Biosphäre schützt, aber gleichzeitig Apfelbäume anbaut und die Wasserversorgung für das Cochabamba-Tal verbessert. Die Kleinbauern haben das entsprechende Wissen und stehen dahinter, weil sie den Sinn sehen. Es ist eine Aufforstung, bei der die einheimischen Baumsorten berücksichtigt werden, die voll den natürlichen Bedingungen entsprechen. Man baut die lokale Biodiversität wieder auf und kann gleichzeitig ernten.
Nötig sind aber faire Preise für ihre Produkte und staatliche Unterstützung. Das was AGRECOL oder die Promotor*innen tun, die uns gerade besuchen, das sollten eigentlich die Munizipien tun. Und das mit gut ausgebildetem Personal. Dann gibt es ein großes Potential.
Allerdings sollten Produkte aus Agroforst-Produktion per se als ökologisch anerkannt werden, statt von ihnen noch eine Zertifizierung zu verlangen. Es ist eine Schande, was die Kleinbauern derzeit zahlen müssen, um eine Öko-Zertifizierung zu bekommen. Eigentlich sollten diejenigen, die mit Agrochemie aus Deutschland oder der Schweiz produzieren nachweisen, dass die Produkte nicht schädlich für den Menschen sind.
Du hast Agroforstprogramme in Madagaskar, Kolumbien, Honduras, Rumänien oder Moldawien begleitet und beraten. Welche Chancen siehst Du für die Verbreitung der Agroforstmethode?
NSK: Bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit giz und auch der Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung in Deutschland ist Agroforst inzwischen angekommen. Das ist politisch gewollt. Auch in der Schweiz wurde Permakultur als förderwürdig anerkannt, und Agroforst gehört dazu. In Bolivien liegen jedoch viele Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit wegen fehlender Rechtssicherheit und sogenannter „Beratungsresistenz“ derzeit brach.
„Eigentlich wüsste man, wie es besser geht“
Da sind wir dann auch wieder beim Thema der Landkonflikte. Viele der Neusiedler im Tiefland kommen aus Regionen wie dem Chapare, wo die Böden ausgelaugt sind. Die Regierung sieht den Ausweg vor allem in Rodungen der Amazonasregion und Neuansiedlungen.
NSK: Der Boden im Chapare taugt nicht mehr, weil er einseitig genutzt und damit ausgelaugt wurde. Eigentlich ist Koka eine Primarart, die wie Kaffee oder Kakao unter Schattenbäumen wachsen sollte. Aber im Chapare wird sie stresshaft für die Pflanzen angebaut. Eigentlich wüsste man, wie es besser geht.
In der Politik sehe ich derzeit wenig Chancen. Aber ich sehe die jungen Leute, die aus Bolivien oder Europa hierher kommen und sich interessieren. Hier war zum Beispiel ein bolivianischer Forststudent, der die hiesige Esche nicht kannte und nicht wusste, dass dieser Baum gutes Holz gibt. Jetzt kann er das in die Zukunft denken. Holz wird immer mehr zur Mangelware.
Gegenseitiges Lernen zwischen Nord und Süd
Mit Benno Pokorny vom Freiburger Waldbau-Institut und weiteren interessierten Universitäten in Europa und Bolivien arbeiten wir an einem Master-Programm. Für ihn ist es wichtig, Bolivianerinnen und Bolivianern, die sich als sehr gut erweisen, zu einem Doktorat in Deutschland zu verhelfen, nachdem sie dann wieder zurückkehren können, um ihr neu erworbenes Wissen in ihr eigenes Land einzubringen. Mein Interesse ist es, Tandem-Master-Abschlussarbeiten zu fördern, wo man eine Frage aus zwei Perspektiven heraus bearbeitet. Da kann die bolivianische Seite etwas von der Stringenz der mitteleuropäischen Perspektive lernen, und die Mitteleuropäer können etwas von der Flexibilität in Bolivien lernen. Sie können lernen, sich auf neue Kulturen einzulassen und die Dinge integrativer zu betrachten. Und die Arbeit nicht als Arbeit aufzufassen, sondern als einen Schritt des Lebens. Und mit jedem Studenten oder jeder Studentin, die hier vorbeikommen, werden wir ein Stückchen weiter kommen.
Wer Noemi Stadler Kaulich und die Agroforstmethode kennenlernen will:
Vortrag Zürich 31.8., 18:30 – 20:00 Uhr, Kulturpark
Ökodorf Sieben Linden, 24. – 26.9., Einführung in dynamischen Agroforst, 26.9 – 1.10. Ausbildung in dynamischem Agroforst, Modul 1, 3.10. – 8.10. Modul 3,
Permakultur Dreisamtal, Grundlagen des dynamischen Agroforst, 16.10. – 24.10., Ecolieu Langenberg, bei Sissembourg.
Und noch ein Tipp: Weitere Links zum Thema und Möglichkeiten des Austauschs auf der Seite des “Citizen Science-Projekts zum Monitoring moderner Agroforst-Ökosysteme. Einer der Initiator*innen ist ebenfalls ehemaliger Praktikant in Mollesnejta. Am 3. August lädt die Initiative zum Tag der Agroforstsysteme ein (in Münster und online).
Vor 31 Jahren wurde in Cajamarca in Bolivien ein ökologisches Schlungszentrum gegründet. Damals lebten junge Menschen an den Wochenenden, in ihren Ferien und während der vielen Streiks im eigenen Zentrum und forsteten mit sehr geringen Kosten auf, verbreiteten Umweltprogramme, entwickelten Tier- und Pflanzenzucht, inzwischen mit der vierten Jugendgeneration. So ermöglichten sie einen Klimawandel in einem Raum von 50 km im Umkreis von Sucre bis Ravelo. Aus einem trockenem Andenhochland – ohne Baum- und Pflanzenwuchs, ohne Vögel, Insekten und Wildtiere – wurde eine feuchte Flora und Fauna mit dem Ergebnis, dass die Felder der Dorfgemeinschaften ertragreich wurden. Ein fast zusammenhängender Wald von ca. 500 Hektar wurde in 30 Jahren gepflanzt. Noch genügend baumlose Andenabhänge warten auf Setzlinge. Die meisten Bauern züchten und pflanzen ohne staatliche und kirchliche Unterstützung die schroffen eigenen Grundstücke. Und alles begann mit unserem Vorbild (CEJ) im ökologischen Jugendzentrum im Dorf Cajamarca.
Inzwischen sind mehr als 100 Kinder zu professionellen Erwachsenen ausgebildet Die meisten blieben über ihrem Beruf im Agrar- und Dorfentwicklungsbereich und sind in Bolivien tätig. Die Lehr- und Lernzeiten im Cajamarca Zentrum beeinflussen nun auch andere Organisationen, in denen sie eine Anstellung gefunden haben, z. B. Treveris ONG.
Weitere Informationen auf:
https://www.cajamarca-bolivien.de