vonPeter Strack 18.01.2025

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Cecilia Requena Zárate wurde 1967 in München als Kind bolivianischer Eltern geboren. Im Alter von acht Monaten zog sie mit ihrer Familie nach Bolivien. Die Beziehung zu ihrem Geburtsland hat sie nie verloren. Zunächst die deutsche Schule in La Paz, später mehrere Jahre Arbeit in der Friedrich Ebert Stiftung, mit der sie auch heute noch in engem Kontakt steht.

Die Senatorin Cecilia Requena (Mitte) beim Politikdialog in der Friedrich Ebert Stiftung, Foto: FES Bolivien Büro

Etwa bei einer Parlamentarier*innen-Reise nach Deutschland im vergangenen Jahr oder beim Politikdialog zur Eindämmung der Waldbrände in Bolivien. All das mag dazu beigetragen haben, dass sie zu den wenigen Bolivianerinnen gehört, für die – wie sie sagt – die deutsche Sprache einen schönen Klang hat. Studiert hat sie Kommunikationswissenschaften, später – auch an ausländischen Universitäten – Politik und öffentliche Verwaltung, sowie Umweltpolitik. Auch die staatliche bolivianische Diplomatenhochschule hat sie absolviert. Derzeit ist sie Senatorin der Oppositionspartei Comunidad Ciudadana. Im Interview mit Latinorama äußert sie ihre Überzeugung, dass der Aderlass und die Zerstörung Boliviens durch den Goldbergbau dank einer engagierten Umweltbewegung gestoppt und die Amazonasregion einen Beitrag für ein langfristig gutes Leben leisten kann.

Cecilia Requena Zárate, Foto: Privat

Frau Requena, in Bolivien sind Sie vor allem als Umweltaktivistin bekannt.

Ich komme von den Sozialwissenschaften, habe mich aber meist um Umweltthemen gekümmert. Diese Verbindung ist wichtig. So habe ich 2012 mit dem Umweltwissenschaftler Dirk Daniel Hoffmann eine Studie zu den soziopolitischen Szenarien der Klimaerwärmung im nördlichen Altiplano veröffentlicht.

Naturwissenschaft und Politik verbinden

Die Studie hat naturwissenschaftliche Umweltfragen mit denen staatlicher Politik verbunden und Strategien für diese sehr verwundbare Region vorgeschlagen.

Sie sprachen damals von möglichen 4% Erwärmung bis zum Jahr 2100, weil die Temperaturen in küstenfernen Höhenlagen noch stärker steigen als anderswo. Mit der zu erwartenden Gletscherschmelze belastet das die Landwirtschaft in einer so trockenen Region und gefährdet auch die Wasserversorgung einer Großstadt wie La Paz. Anlass dieses Gesprächs ist aber die Entlassung und ein Strafverfahren gegen den Parkwächter Marcos Uzquiano. 2022 waren sie als Senatorin im Norden von La Paz, um die Umweltzerstörung durch die illegale Goldproduktion zu überprüfen. Es ist die Region, in der Uzquiano für den Madidi-Nationalpark zuständig war. Was ist seitdem geschehen?

Die Situation hat sich seitdem verschlimmert und wird in diesem Wahljahr vermutlich noch kritischer werden. Denn die Informalität der sogenannten Goldkooperativen herrscht vor allem im Amazonasgebiet vor. Sie unterscheiden sich vom traditionellen bolivianischen Gold-, Silber- oder Zinnbergbau im Hochland von Potosí oder Oruro. Auch in La Paz gibt es schon seit Jahrhunderten Goldwäscher. Aber 2014 wurde unter Evo Morales das Bergbaugesetz 535 verabschiedet. Das hat die Anforderungen für Kooperativen drastisch verringert. Es reicht, dass sich vier Personen vereinen, um sich als Kooperative zu deklarieren und einen Claim beanspruchen. Es können sogar Ein-Personen-Betriebe sein. Und wenn es auf diesem Stück Land noch keinen Bergbau gibt, dann kann der Staat ihnen die Lizenz erteilen. Da wird nicht geschaut, ob es ein Wassereinzugsgebiet oder eine ökologisch fragile Zone ist.

Goldbergbau bei Guanay im Norden von La Paz, Copyright: SILKE KIRCHHOFF | gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst

Es gibt zwar die Pflicht, die Ortsbevölkerung in geringem Umfang zu konsultieren. Aber selbst wenn die sich gegen den Bergbau ausspricht, kann das Bergwerksministerium die Lizenz vergeben. So werden die Rechte der indigenen Bevölkerung, die auch in der neuen Verfassung verankert sind, ausgehöhlt.

Es handelt sich nicht um wirkliche Kooperativen

Sie nennen sich nur Kooperative, um keine Umweltauflagen erfüllen zu müssen, um die Arbeitsgesetzgebung zu umgehen und um Steuern zu sparen. Die Arbeiter sind meist nicht selbst Mitglieder der Kooperative, sondern werden angestellt. So führt das Gesetz zu höchst prekären, informellen Bedingungen. Und diese sogenannten Kooperativen setzen sich noch über die wenigen Regulierungen hinweg, viele betreiben direkt ohne eine Genehmigung Bergbau.

Außerdem ist ausländisches Kapital involviert, was einer Kooperative nicht erlaubt ist.

Alles ist sehr chaotisch. In manchen Fällen ist, wie wir von Anwohnern wissen, kolumbianisches oder chinesisches Kapital involviert. Dazu gibt es aber keine offiziellen Zahlen. Es finden sich auch rein lokale Goldproduzenten, die klein anfangen und sich mit den Gewinnen dann weiteres Gerät anschaffen.

Goldwäscher im Norden von La Paz, Copyright: SILKE KIRCHHOFF | gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst

Es ist auch Kapital aus dem Chapare beteiligt. Der Goldbergbau ist ein gutes Mittel, Gewinne aus der Kokainproduktion und dem Drogenhandel mit dem Kauf von schwerem Gerät zu waschen.

Ein Widerspruch zwischen politischer Ideologie und Praxis

Neben Soja und Erdgas ist Gold derzeit das Hauptexportprodukt Bolivien. Wie ist es zu erklären, dass eine Regierung, die sich sozialistisch nennt und ein hohes Haushaltsdefizit hat, den Sektor nicht verstaatlicht, so wie die Regierung der MNR (Nationalrevolutionäre Bewegung) die privaten Bergwerke 1952?

Evo Morales und die „Bewegung zum Sozialismus“ haben immer betont, dass die natürlichen Reichtümer dem bolivianischen Volk gehören. So steht es auch in der Verfassung. Damit sind nicht die erneuerbaren Ressourcen wie das Wasser oder die Vielfalt an Pflanzen und Tieren gemeint, sondern die nicht erneuerbaren Bodenschätze. So denken sie. Und so war die Nationalisierung der Erdgas-Produktion immer ein Leuchtturm der Regierungsrhetorik der MAS. Dabei geschah die drastische Erhöhung des Government Take bereits vor Amtsantritt von Evo Morales. Mit der 2004 beschlossenen Direktsteuer auf Erdgas- und Erdöl (IDH) wurden erhebliche zusätzliche Finanzmittel für Gemeinden, Regionen, den Fonds für indigene Völker sowie die Universitäten bereit gestellt.

Landschaft nahe Guanay mit dem vom Goladabbau gezeichneten Río Mapiri, Copyright: SILKE KIRCHHOFF | gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst

Goldbergbau als Aderlass

Es ging um zusätzliche 32% des Produktionswertes. Damals hatte Evo Morales im Parlament noch gegen die Einführung der Direktsteuer gestimmt, weil sie ihm nicht weit genug ging.

Er hat den Anteil dann noch etwas erhöht, und heute funktioniert das auch nicht mehr. Aber das ist hier nicht Thema. Sondern, dass die MAS nichts dergleichen im Bergwerkssektor umgesetzt hat. Dabei sollte Bolivien einen relevanten Government Take bei allen Ressourcen des Landes haben. Aber im Kooperativenbergbau werden die Reichtümer des Landes von Privatleuten ausgebeutet, die nicht dem Gemeinwohl dienen und keine Steuern zahlen. So wie die Bergwerksunternehmen in Potosí oder Oruro, die bis zu 37% Abgaben leisten. Die Kooperativen zahlen dagegen keine Mehrwertsteuer, keine Finanztransaktionssteuer, keine Gewinnsteuer. Das einzige sind sehr niedrige Lizenzgebühren an die lokalen Gemeinden und die Regionalregierung als Bezahlung für den Verlust der Ressourcen. Je nach Mineralgehalt der Vorkommen liegen diese zwischen 2,5 und 7 Prozent. Aber tatsächlich wird meist nicht mehr als 2,5 Prozent bezahlt, weil die Vorkommen angeblich alle geringfügig sind. Der Staat kontrolliert das nicht. Und selbst das zahlen manche nicht, weil sie einen Teil ihrer Produktion ins Ausland schmuggeln. 2023 hat Bolivien Gold im Wert von offiziell 2,5, vermutlich aber 3 Milliarden Dollar exportiert und der government take liegt gerade mal bei 2%. Das ist Ausplünderung des Landes. Noch ein Punkt sollte erwähnt werden. Mit dem Goldgesetz aus dem letzten Jahr wird die Zentralbank ermuntert, Gold aufzukaufen, um die reduzierten Devisenreserven wieder aufzustocken. Das scheint jedoch auch ein Vehikel, um illegal produziertes Gold zu waschen, d.h. in den legalen Wirtschaftskreislauf aufzunehmen.

Goldbergbau im Norden von La Paz, Copyright: SILKE KIRCHHOFF | gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst

Die sozialen und ökologischen Kosten

Dabei werden diese Bergwerksbetriebe noch mit verbilligtem Treibstoff subventioniert…

Sie hinterlassen auch hohe ökologische und soziale Schäden, die häufig auch nicht mehr zu beseitigen sind. Da ist die Verschmutzung der Gewässer, die Zerstörung von Ökosystemen, die Zunahme unkontrollierter Gewalt. Manche Bergleute sind bewaffnet oder setzen Sprengstoff auch gegen Menschen ein. Der Einsatz von Quecksilber vergiftet die Nahrung. Das betrifft aber nicht nur die indigenen Gemeinden, sondern jeden, der Fisch aus der Amazonasregion isst. Hinzu kommen die Klimaeffekte durch die Zerstörung unserer Naturschutzgebiete. Wer soll alle diese Kosten bezahlen, die uns noch über das ganze Jahrhundert begleiten werden?! Das Bergwerksgesetz ist nicht zu rechtfertigen. Für mich ist es ein Verrat am Gemeinwohl. (siehe auch die Publikation „Ist ds Gold mehr wert als das Leben?“ der Friedrich-Ebert-Stiftung La Paz).

San José de Uchupiamona. Das Dorf mit Blick auf den Madidi-Nationalpark ist eines der stark mit Quecksilber belasteten Dörfer. Copyright: SILKE KIRCHHOFF | gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst

Marcos Uzquiano hat sich dieser Zerstörung widersetzt. Letzte Woche hat ein Gericht angeordnet, seine ungerechtfertigte Entlassung durch den Nationalen Dienst für Naturschutzgebiete SERNAP zurückzunehmen. Entlassen wurde dieser Tage dagegen der Direktor des SERNAP wegen Korruption.

Der Waldhüter Marcos Uzquiano ist ein außergewöhnlicher Staatsangestellter. Wie die meisten Umweltaktivist*innen engagiert er sich aus tiefster Überzeugung. Es ist eine der Stärken der Umweltbewegung in Bolivien. Uzquiano hat inzwischen 20 Jahre Erfahrung in der Arbeit und hat immer mehr getan als seine Pflicht. Immer wieder hat er den illegalen Bergbau in Naturschutzgebieten angezeigt. Nicht nur, aber vor allem in seiner Herkunftsregion im Norden von La Paz. Und nach einer dieser Anzeigen hatten die sogenannten Kooperativisten sich in einem Brief an seinen Arbeitgeber, den Nationalen Dienst für Naturschutzgebiete (SERNAP), über Uzquiano beschwert. Der SERNAP hatte ihn daraufhin aus dem Naturschutzgebiet Madidi, einer der Weltregionen mit der höchsten Artenvielfalt, in die biologische Forschungsstation im Beni strafversetzt. Letztes Jahr versuchte dann ein anderer Parkwächter vergeblich, Goldkooperativen daran zu hindern, schwere Maschinen in den Madidi-Park zu bringen. Uzquiano hat das auf seinen privaten Kommunikationskanälen öffentlich gemacht. Beide bekamen daraufhin von dem Goldunternehmer Cuevas eine Strafanzeige wegen angeblicher Verleumdung. Der SERNAP tat nichts, um sein Personal zu schützen.

Gerechtigkeit! Freispruch für die Waldhüter Marcos Uzquiano und Raúl Santa Cruz, Foto: Facebook Cecilia Requena

Das sei eine Privatsache, hieß es. Wir sind ein großes Netzwerk an Aktivist*innen und haben zwar politisch keine Macht. Aber wir sind so viele, dass wir es damals geschafft haben, dass die Richterin die beiden frei gesprochen hat. Wer wegen illegalem Bergbau in einem Naturschutzgebiet eigentlich vor Gericht gehört hätte, war Cuevas.

Marcos Uzquiano verkörpert die Verteidigung des Lebens

In einem anderen Fall ging es um illegalen Tierhandel. Uzquiano hatte darauf hingewiesen. Später wurde das von einer chinesischen Journalistin auch filmisch dokumentiert. Auch einen anderen Fall hat Uzquiano bekannt gemacht, als Arbeiter einer chinesischen Baufirma einen Jaguar gewildert und in Einzelteile zerlegt hatten. In China werden Tigerklauen in der traditionellen Medizin verwendet. Nun ist ein Jaguar kein Tiger. Aber hier kam nun auch China ins Spiel. Die bolivianische Regierung ist nicht aktiv geworden. So hat Uzquiano auf seinen privaten Kanälen darauf hingewiesen. Als Umweltaktivist genießt er den Schutz des Abkommens von Escazú, das auch Bolivien unterzeichnet hat. Deshalb ist es noch abwegiger, dass die Regierung Uzquiano nun entlassen wollte, nur weil er das getan hat, was schon von Amts wegen seine Pflicht gewesen war.

Marcos Uzquiano, im Parlament geehrt (rechts Cecilia Requena), von der Regierung trotz exzellenter Arbeitszeugnisse entlassen, Foto: Facebook Cecilia Requena

Uzquiano verkörpert nicht nur die Verteidigung des Lebens und motiviert andere aktiv zu werden, sondern er steht auch als Paradebeispiel dafür, wie mit Umweltschützern umgegangen wird.

Nicht einmal der bolivianische Präsident wird durchgelassen

Das haben sie ja auch selbst damals im Norden von La Paz erlebt…

Eines der Instrumente, die mir als Senatorin zur Verfügung stehen, sind die Inspektionen. Zwei dieser vor Ort-Besuche zum Thema des Goldbergbaus waren höchst riskant. Das eine Mal führte mich in die Madidi-Region an der Grenze zum Beni. Dortige Gemeinden, die sich um die Zerstörung ihres Landes und Gesundheitsschäden wegen der Bergbauaktivitäten sorgten, hatten uns eingeladen. Da sie auch vom Tourismus leben, sahen sie eine ihrer Einnahmequellen bedroht. Und sie erzählten uns, dass es am Vortag in einem Dorf flussaufwärts ein Problem gegeben habe. Sie baten uns, für einen Dorfbewohner einzutreten, den man als Landbesetzer denunziert hatte.

Das ist ein auch anderswo ein beliebtes Argument, um die angestammte Bevölkerung zu vertreiben.

Ich war mir des Risikos bewusst, aber konnte die Bitte nicht abschlagen. So machte ich mich mit einer Gruppe von Frauen, einem Bootsführer und dem Dorfoberen auf den Weg in das Dorf. Kooperativenmitgliedern hatten die angestammte Bevölkerung am Vortag zur Geisel genommen, sie an Baumstämme gefesselt und geschlagen. All das habe ich später erfahren, als ich mich wieder mit den Bewohnerinnen getroffen habe, nachdem sie vertrieben worden waren. Als wir gerade anlegen wollten, tauchten Männer auf dem Abhang auf, die mit Macheten, Steinen und auch einem Gewehr bewaffnet waren.

Steinwürfe beim Versuch, anzulegen, „Nicht einmal der Präsident hat Zugang“, Screenshot Facebook Brújula Digital

Als ich ihnen zurief, dass ich eine Senatorin sei, antworteten sie, dass nicht einmal der bolivianische Präsident Zugang hätte. Stattdessen warfen sie einen schweren Stein auf uns, der zum Glück das Boot nicht getroffen hat. Sie wollten uns nicht fahren lassen. Aber der Bootsführer war sehr geschickt und wir konnten entkommen.

Wildwest im Norden von La Paz

So etwas ist mir noch einmal mit einer Einladung einer Gemeinde in der Andenfussregion von Apolo passiert. Als die Bergarbeiter von meiner Ankunft erfuhren, haben sie die Dorfbewohner bedroht. So mussten wir uns an einem anderen Ort treffen. Sie berichteten, dass drei Bewohner, die die Bergleute wegen ihrer illegalen Aktivitäten angezeigt hatten, wegen der korrupten Justiz am Ende selbst im Gefängnis gelandet sind. Die Bergbaukooperativen haben viel Geld, um Gerichte zu kaufen. Und damit schüchtern sie die anderen ein. Während dem Treffen kamen plötzlich Bergarbeiter: Sie  haben die Versammlung gesprengt und uns den Rückweg versperrt. Nachdem wir schon zehn Stunden gebraucht hatten, um in die Gemeinde zu kommen, mussten der Fahrer uns dann nachts über dunkle und abschüssige Nebenwege durch den Wald in Sicherheit bringen.

Cecilia Requena bei einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung in La Paz, Foto: FES Bolivien Büro

Deutsche Gelder für den Madidi

Seit Mai 2022 unterstützt die deutsche Bundesregierung über den Legacy Landscapes Fund (LLF) die internationale Nichtregierungsorganisation World Conservation Society (WCS) und den staatlichen Dienst für Naturschutzgebiete SERNAP mit jährlich einer Million US Dollar für den Schutz des Madidi-Nationalparks. Doch laut Angaben der Zeitschrift Nómadas, ist der Haushalt des SERNAP für die Naturschutzgebiete von rund 8,5 Millionen US-Dollar in 2022 im Folgejahr sogar noch auf circa 6,6 Millionen US-Dollar gesunken. Für den Madidi standen gerade einmal knapp 290.000 US-Dollar zur Verfügung. Das erweckt den Eindruck, dass die Regierung die internationalen Gelder vor allem dazu nutzt, bei den eigenen Mitteln zu sparen.

Was die Gelder betrifft, haben wir im Parlament gerade detaillierte Informationen eingefordert, da der Haushalt 2025 nicht im Parlament behandelt wurde. Aber ich möchte zumindest in diesem Sinne beruhigen, dass der WCS, über den die deutschen Gelder laufen, eine seriöse Umweltorganisation ist. Es gibt zudem diesbezügliche Kontrollen der deutschen Seite. Und wir werfen vom Parlament aus auch ein Auge drauf. Es war auch gar nicht einfach, die bolivianische Regierung von dem Projekt zu überzeugen. Die „Bewegung zum Sozialismus“ hat sich nie für die Naturschutzgebiete interessiert. Der frühere Vizepräsident Alvaro García Linera hatte öffentlich erklärt, dass sie eine Erfindung der Gringos (Nordamerikaner) seien. Damit wir Bolivianer*innen die Wälder bewahren, die sie selbst zerstört hätten. Für ihn standen diese Wälder im Gegensatz zur wirtschaftlichen Entwicklung. Außerdem sind Kleinbäuerinnen und Kleinbauern eine wichtige Basis der MAS. Und die wollen Land. Deshalb haben sie die Naturschutzgebiete, aber auch die kollektiven indigenen Territorien immer sehr kritisch gesehen. Manchmal sind das über 100.000 Hekar, die sie bewahren konnten, weil sie von der Jagd in einem großen Territorium leben, statt die Wälder abzuholzen oder abzubrennen.

Jetzt ist die Zeit zum Handeln

Unterstützungsschreiben für eine Gesetzesinitiative gegen Waldbrände, Foto: Facebook Cecilia Requena

Gerade haben sich Siedlerverbände auch wieder gegen eine ökologische Pause ausgesprochen, in der die von Waldbränden verwüsteten Flächen sich erholen sollen.

Die Wälder sind in ihrer Sichtweise ein Hindernis für Entwicklung. Ich denke mit einer Ausnahme sind deshalb alle Naturschutzgebiete vor der Regierungszeit der MAS geschaffen worden. Es überrascht auch nicht, dass die MAS die Naturparkverwaltung geschwächt hat und im Konfliktfall die Bergleute statt die Schutzgebiete unterstützt. Genau deshalb ist Unterstützung wie die aus Deutschland so wichtig. Vielleicht fragen sich deutsche Steuerzahler*innen, warum sie zum Erhalt der Natur in Bolivien beitragen sollen, wenn die bolivianische Regierung darin keinen Sinn sieht. Aber es gibt auch in Bolivien viele Menschen, die von der Bedeutung überzeugt sind. Darunter sind auch viele der Waldschützer*innen des SERNAP, auch einzelne Nationalparkdirektoren, die mit etwas mehr Geld für Stiefel, Verpflegung oder für Benzin, um die Boote auf Patrouillen zu bewegen, mehr Schutz bieten können. Der Kampf um die Naturschutzgebiete ist in einer kritischen Phase. Und ohne die Unterstützung aus Deutschland wäre die Situation sicher noch schwieriger. Jetzt ist die Zeit zum Handeln.

Naturschutz und Entwicklung müssen kein Gegensatz sein, Hinweis für Touristen in einem Nationalpark in Costa Rica, Foto: Marisol Diaz Vedia

Costa Rica hat gezeigt, dass Naturschutz und Entwicklung kein Gegensatz sind. Die Schutzzonen produzieren Sauerstoff und sorgen für Wasser, sie schaffen Arbeitsplätze im Tourismus-Sektor. Und dies anders als beim zerstörerischen Goldbergbau auch für die Zukunft.

CO2 Zertifikate zur Finanzierung von Naturschutz?

Angesichts der Devisenknappheit hat Präsident Arce jüngst angekündigt, dass Bolivien in den CO 2 Zertifikat-Handel einsteigen wird. Ein Instrument, dass die MAS-Regierung bislang immer als Ausdruck kapitalistischer Ausbeutung der Natur abgelehnt hat. Wird das den Druck auf die Naturschutzgebiete mindern? Ohne Waldschutz wird es keine Gelder geben.

Seit dem Klimagipfel in Cancún im Jahr 2010 hat der bolivianische Staat marktbasierte Instrumente zur Finanzierung des Umweltschutzes strikt abgelehnt und auf nicht marktbasierte Mechanismen gesetzt. Mir scheint das wichtig, denn der Markt kann nicht alles lösen. Und es gibt ja auch Beispiele, etwa aus Kolumbien, wie diese CO2-Zertifikate missbraucht wurden. Der Zertifikatsmarkt ist intransparent. Durch eine etwas zu ideologische Sicht hat sich Bolivien aber in der Praxis von möglichen Finanzquellen abgeschnitten. Es gibt ja auch nicht nur den CO2 Zertifikatsmarkt, sondern auch andere Instrumente zur nachhaltigen Finanzierung. Die bolivianische Regierung hat diese jedoch nicht ernsthaft geprüft. Das Ziel ist doch der Naturschutz, nicht der Widerstand gegen den Kapitalismus. Derweil konnten die Sektoren, die zur Zerstörung der Natur führen, ganz problemlos auf Marktmechanismen zu ihrer Finanzierung zurückgreifen. Dies geschah vor allem durch Banken. So hatte der Sojaanbau, die Viehwirtschaft, das Bergwerkswesen sogar noch Vorteile gegenüber den Naturschutzgebieten.

Auch der Silberbergbau trägt zur Zerstörung der Natur beit. Sitzung mit Betroffenen des Gemeindeverbands Acre Antequera im Hochland Boliviens, Foto: Facebook Cecilia Requena

Nun hat sich Bolivien dem Zertifikatsmarkt geöffnet. Meines Erachtens aber in der schlechtest denkbaren Form. Unseriöse Unternehmen haben einzelnen Gemeinden Geld für Zertifikate angeboten. Das ist uns zu Ohren gekommen und deshalb haben wir eine Eingabe beim korrupten und regierungsabhängigen Verfassungsgericht gemacht. Und das hat im Juni 2024 erklärt, dass das Gesetz 300 zum Schutz der Mutter Erde, das den Zertifikathandel in Bolivien verbietet, verfassungswidrig sei.

Die Bedeutung der Wälder für eine nachhaltige Entwicklung

Die Begründung war, es schränke die unternehmerische Freiheit und die Autonomie der Regionen und Gemeinden ein, es schade dem Recht auf eine gesunde Umwelt, das ebenso in der Verfassung verankert ist und widerspreche internationalen Abkommen wie dem Kyoto-Protokoll.

Es ist eine sehr fragwürdige Entscheidung, da es auch Verfassungsartikel gibt, die in die andere Richtung gehen. Aber entscheidend ist doch, ob solche Finanzierungsmechanismen ihr Ziel erfüllen oder Betrug sind. Jetzt ist eine gesetzliche Regulierung dringend. Daran arbeiten wir. Die Regierung hat aber gesagt, dass sie allein sich darum kümmern wird. Auf dem letzten Klimagipfel in Baku haben die Außenministerin und der Wirtschaftsminister angekündigt, dass sie bereits ein Unternehmen dafür identifiziert haben. Das geschah ohne eine Ausschreibung. Das Unternehmen ist auch nicht wirklich bekannt, soll aber angeblich 5 Milliarden US-Dollar ins Land bringen. Die eigentlichen Verhandlungsführer Boliviens bei der COP wussten davon gar nichts. Ein Chaos. Wir hoffen, dass wir jetzt zu ein wenig Ordnung beitragen können, und nicht nur in Bezug auf den Zertifikatshandel. Vor allem wollen wir die Chance nutzen, darauf hinzuwirken, dass die Regierung nicht nur auf die Gelder schaut, sondern etwas mehr Kohärenz zeigt, damit die verbliebenen Wälder mit einer ernsthaften Schutzpolitik besser bewahrt werden können. Das ist bislang aber noch nicht der Fall. Hoffentlich erkennt die kommende Regierung die Bedeutung der Wälder und Schutzgebiete für eine nachhaltige Entwicklung Boliviens.

Gold ist eine globale Problematik, Cecilia Requena im bolivianischen Parlament, Foto: Privat

Gibt es sonst noch etwas, was die Menschen in Europa wissen sollten?

Genauso wie das Thema Diamanten ist Gold eine globale Problematik. Das Gold verlässt Bolivien in die arabischen Staaten oder nach Indien und wandert weiter, ohne dass es dort irgendjemanden interessiert, unter welchen Bedingungen es gefördert wurde. Der Weltmarktpreis und die internationale Nachfrage treiben die Zerstörung der Amazonasregion voran, die für die Welt unermesslich wichtig ist. Ähnlich wie bei den Diamanten gibt es deshalb international Handlungsbedarf. Die Vereinten Nationen, die G7, die G20, Deutschland und die Europäische Union, die eine so wichtige Tradition der Verantwortlichkeit für globale Themen hat: Hört uns bitte zu, um die Goldproblematik anzugehen. Man muss Druck ausüben, damit die Lieferwege nachvollziehbar werden. Auch wenn wir an einem kritischen Punkt angelangt sind, gibt es immer noch genügend Potential für eine nachhaltige Entwicklung Boliviens, basierend auf dem Respekt gegenüber der Natur. Und auch wenn vor allem wir selbst dazu aufgerufen sind, ist die internationale Unterstützung wichtig für eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen in der Amazonasregion.

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https://blogs.taz.de/latinorama/die-offenen-adern-amazoniens/

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