vonGerhard Dilger 19.01.2009

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Operation straffreies Blei

Zu seiner Rechtfertigung produziert der Staatsterrorismus Terroristen: Er sät Hass und erntet Alibis. Alles deutet darauf hin, dass es gelingen wird, durch dieses Gemetzel, das nach Angaben seiner Täter mit den Terroristen aufräumen soll, diese zu vervielfältigen.

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Seit 1948 sind die Palästinenser zu einer lebenslangen würdelosen Unterwerfung verurteilt. Nicht einmal atmen dürfen sie ohne Genehmigung. Sie haben ihre Heimat verloren, ihr Land, ihr Wasser, ihre Freiheit, alles. Ihnen wird nicht einmal zugestanden, die eigene Regierung zu wählen. Wenn sie diejenigen wählen, die sie nicht wählen dürfen, dann werden sie bestraft. Gaza wird bestraft. Der Landstreifen ist zu einer Mausefalle geworden, seitdem Hamas die Wahlen 2006 sauber gewonnen hat. Etwas Ähnliches geschah 1932, als die kommunistische Partei die Wahlen in El Salvador gewonnen hatte. In ein Blutbad getaucht, mussten die Salvadoraner ihr ungehöriges Betragen sühnen und seither immer wieder unter Militärdiktaturen leben. Demokratie ist ein Luxus, den nicht alle verdienen.

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Die Palästinenser sind Kinder der Ohnmacht selbstgebauter Raketen, die von den in Gaza eingekesselten Hamas-Aktivisten mit stümperhafter Zielgenauigkeit in Richtung jenes Landes abgeschossen werden, das einmal palästinensisch war und ihnen durch die israelische Besatzung entrissen wurde. Und die Verzweiflung – bis an die Grenzen selbstmörderischen Wahnsinns getrieben – ist die Mutter der prahlerischen Drohungen, die Israel ein Existenzrecht verweigern. Rufe ohne jede Wirkung, während der sehr wirkungsvolle Ausrottungskrieg ihnen seit Jahren das Existenzrecht Palästinas verweigert.

Es gibt nur noch ganz wenig Palästina. Israel radiert es Schritt für Schritt von der Landkarte. Die Siedler dringen ein, ihnen folgen die Soldaten und ziehen laufend die Grenzen nach. Die Kugeln heiligen dann den Raub als gerechtfertigte Verteidigung.

Es gibt keinen Angriffskrieg, der sich nicht als Verteidigungskrieg ausgibt. Hitler hat Polen überfallen, um zu verhindern, dass Polen Deutschland angreift. Bush hat den Irak überfallen, um zu verhindern, dass der Irak die Welt angreift. Bei jedem seiner Verteidigungskriege hat Israel ein Stück Palästina verschlungen, und die Mahlzeiten werden fortgesetzt. Das Verschlingen wird mit Eigentumsansprüchen aus der Bibel begründet, mit der 2000-jährigen Verfolgung des jüdischen Volkes und wegen der Panik, die die Palästinenser auf der Lauer verursachen.

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Israel ist das Land, das niemals die Empfehlungen oder Resolutionen der Vereinten Nationen befolgt. Es setzt sich über alle Verurteilungen internationaler Gerichte hinweg. Es spottet über das internationale Recht. Es ist auch der einzige Staat, der die Folter von Gefangenen legalisiert hat. Wer hat diesem Land das Recht eingeräumt, alle Rechte ignorieren zu dürfen? Woher kommt die Straffreiheit, mit der Israel das Gemetzel in Gaza durchzieht? Die spanische Regierung hätte unmöglich straffrei das Baskenland bombardieren können, um die ETA zu zerschlagen. Auch die britische Regierung hätte Irland nicht niederschlagen können, um die IRA auszurotten. Ist die Tragödie des Holocaust etwa eine Zusicherung ewiger Straffreiheit? Oder kommt das grüne Licht von der Obermacher-Weltmacht, die in Israel den bedingungslosesten Vasall aller Vasallen besitzt?

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Die israelische Armee, die modernste und höchstentwickelte der Welt, weiß, wen sie umbringt. Sie tötet nicht aus Versehen. Sie tötet für den Horror. Die zivilen Opfer werden zu so genannten Kollateralschäden erklärt, so heißt es im Wörterbuch anderer imperialer Kriege. In Gaza sind drei von zehn Kollateralschäden Kinder. Die Verstümmelten zählen nach Tausenden, alles Opfer einer Technologie menschlicher Zerstückelung, die von der Militärindustrie erfolgreich in dieser Operation ethnischer Säuberung getestet wird.

Und wie immer, immer das Gleiche: In Gaza steht es wieder hundert zu eins. Auf hundert tote Palästinenser ein Israeli.

Gefährliche Menschen! warnt da ein anderes Bombardement, das auf die Rechnung der Manipulationsmassenmedien geht. Medien, die uns einladen, daran zu glauben, dass ein israelisches Leben soviel wert ist wie hundert palästinensische Leben. Diese Medien laden uns auch ein, daran zu glauben, dass die zweihundert Atombomben in Israel einen humanitären Charakter haben – bis hin zur Annahme, dass es die Atommacht namens Iran gewesen sei, die Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleichgemacht hat.

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Die so genannte internationale Gemeinschaft, existiert die überhaupt? Ist das mehr als nur ein Klub von Händlern, Bankiers und Heeresführern? Ist das mehr als nur der Künstlername, den sich die USA geben, wenn sie Theater spielen? Angesichts der Tragödie von Gaza übt sich die Welt in globaler Heuchelei. Mit Gleichgültigkeit, leeren Worten, hohlen Erklärungen, wohlklingenden Phrasen, ambivalenten Haltungen wird der heiligen Straffreiheit Tribut gezollt. Angesichts der Tragödie von Gaza waschen die arabischen Länder die Hände in Unschuld. So wie immer. Und so wie immer reiben sich die europäischen Länder die Hände.

Das alte Europa, so fähig zur Schönheit wie zur Perversion, vergießt die eine oder andere Träne, während es sich insgeheim über diesen genialen Schachzug freut. Denn die Judenhatz war eigentlich immer schon ein europäischer Brauch, aber seit einem halben Jahrhundert wird die historische Schuld Europas von den Palästinensern bezahlt, die allerdings auch Semiten sind, nie Antisemiten waren und es auch heute nicht sind. Sie müssen mit ihrem Blut und Geld die fremde Schuld zahlen.

(Diesen Artikel widme ich meinen jüdischen Freunden, die von durch Israel beratenen lateinamerikanischen Diktaturen ermordet wurden.)

Eduardo Galeano

Original hier.

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https://blogs.taz.de/latinorama/eduardo_galeano_zum_krieg_gegen_die_palaestinenser/

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kommentare

  • Eduardo, como podes dedicar este texto a tus amigos y amigas judías desaparecidas en la época del proceso? Como podes escribir un artículo tendencioso que no ayuda a construir una solución pacífica del conflicto en Israel y Palestina, sino que no muestra nada comprensión por la posición israelí?
    Si mueren tantos chicos, también tiene que ver con la Hamas. Si mueren menos Israelíes, también es por que el Estado de Israel protege a su pueblo. Muchos palestinenses le dan la culpa de haber provocado esta guerra a la Hamas (por ejemplo Abbas) y le tienen bronca por abusar de ellos para protegerse de las bombas israelíes y por que la Hamas se ocupa de reconstruir los túneles a Egipcio por el tráfico de armas, en vez de ocuparse de que entre comida.

    Siempre Israel tiene la culpa de todo. De existir, de ser “malos” aunque hayan sufrido el genocidio más terrible de la historia (haber sufrido no nos hace ni peores ni mejores personas), de salir de Gaza (por que les quitan infraestructura), por estar en Gaza (por que los “ocupan”), etcétera.

    Ante todos los ataques antisemitas de los últimos días que hubo en Europa y Latinoamerica, no sería bueno tratar de sembrar un poco de comprensión por los dos lados, un poco de paz, un poco de consciencia de lo que significa vivir en Israel y ser atacado en una tregua y de lo que significa vivir en palestina y ser usado como protección contra los ataques israelíes?

    Es verdad que no habra paz entre Israel y Palestina, si los ortodoxos judíos en Israel no empiezan a tener comprensión por la miseria palestinensa, pero también es verdad, que no habra paz, si los palestinenses no comienzan a amar más a sus propios hijos de lo que odian Israel.

  • was für ein ehrlicher Text, durchdrungen von Menschlichkeit und Mitgefühl für die, die von der westlichen Welt verhöhnt und dämonisiert werden.
    Es ist einer der wenigen Artikel im deutschsprachigem Raum zu lesen, der die Dinge beim Namen nennt .
    Leider trauen sich die angeblichen Leitmedien hier in Deutschland/Europa an diesem heissen Eisen, so dass in den kommenden 30 Jahren das Schlachthaus Israel weiter erfolgreich sein tödliches Geschäft betreibt und das gewonnene Fachwissen in alle Welt erfolgreich exportiert.

  • Ich verstehe nicht, warum die taz diesen Text veröffentlicht? Er reiht sich herrlich ein in die Riege der Menschen, die von sich behaupten zu wissen, was in Isr/Pal los ist, was dort passiert. Es ist mühsam die Geschichte dieses Landes von Menschen erzählt zu bekommen, die noch nie dort waren, die vllt garnicht wissen, dass nicht ganz Israel der Meinung ist, dass Palästina vernichtet werden soll. Vllt ist es aber genau das, was Menschen glauben sollen. Die heraufbeschworenen Massenmedien – warum wird immmer davon ausgegangen, dass Menschen nicht wissen, wie sie mit den ihnen präsentierten Informationen umgehen sollen.
    Was auch unerwähnt bleibt, und das wundert mich in Anbetracht der Bücher die Galeano verfasst hat – ist der Fakt, dass es vor allem europäische Bemühungen waren, Israel als Nation zu gründen, dass es eben der von Deutschland ausgehende Holocaust war, der Israel begründete. (Damit sie ebenso gut die “Judenfrage” für sich lösen konnten. Warum wurden in Lateinamerika keine jüdischen Flüchtlinge aufgenommen, sondern in China? Es ist ein zu verstrickter Teppich, als dass ein einseitiger Text ausreichen würde, die Geschichte, als auch das Leid und diese Operation zu erklären. Galeano selbst enttäuscht mich mit diesem Text, der auch nur schwarz – weiß malt, die USA als den Übeltäter darstellt. Und übrigens waren es arabische Regierungen, die mit Hitler Bündnisse zur Ermordung der dort lebenden Juden eingingen und umsetzten. Semit hin oder her – Latin@s bringen auch Latin@s um.
    Menschen sollten sich eher mit Konfliktlösung beschäftigen, als noch mehr Salz in die “offenen Adern der Welt” zu streuen.

  • Im Radio habe ich eine Art Botschaft von Z.Livni an die Palästinenser aufgeschnappt, dem eine weitere von dem journalisten Ron Deckel folgte. Kann die ‘taz’ ermitteln und ins Netz stellen / drucken, was die gesagt haben? Es ist das Letzte, was man Israelis zutrauen würde.
    Gerd Behrens, Langewiesen, Thüringen

  • Some interesting points in this comment, but also too much of positive prejudices about the palestinian people and too much of negative prejudices against Israel.

    For example just not mentioning the fact, that many palestinians in the years and month before (!) the 1948 War aggreed with (arab and other) anti-jewish propaganda and being partisans of the aggression of arab troups was one of the reasons of now called “expulsion”. Until now being partisans of extreme propaganda, including call for a genozide-like expulsion of all israeli people, makes the majority of palestinian people in the last years to “victims” of Israel’s politics (including military acts) – a vicious circle, and not(!) caused just by “bad Israel” against the “good palestinians”.

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