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vonGerhard Dilger 23.06.2024

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Würde es einen Wettbewerb zum skurrilsten Präsidenten der Welt geben, das argentinische Staatsoberhaupt Javier Milei könnte auf einen Platz ganz vorne hoffen. Warum sind deutsche Neoliberale trotzdem so versessen darauf, ihn als Verfechter neoliberaler Staatsfeindlichkeit auszuzeichnen?

… fragt man sich im aktuellen Freitag.

Ja, warum wohl? Vielleicht, weil ihnen deutsche Neoliberale (Lindner, Merz etc.) oder Ultrarechte (Weidel, Höcke etc.) zu langweilig sind. Mit Sicherheit versprechen sie sich Wasser auf ihre Mühlen. Sie sehen im Besuch des libertären Exzentrikers vom anderen Ende der Welt eine Chance, das politische Koordinatensystem in Deutschland noch weiter nach rechts zu verschieben. Je exotischer, desto besser?

Scheint so. Gemeinsam ist den deutschen Milei-Fans, dass sie von Argentinien kaum etwas wissen und deswegen allerhand Mythen auf den Leim gehen. Gebetsmühlenhaft machen sie den Peronismus für alle Übel des Landes verantwortlich und sehen geflissentlich über Armut, Rezession und wachsende Repression am Rio de la Plata hinweg.

Das Deutschland-Bild von Milei wiederum befindet sich offenbar im Wandel. Kündigte er bisher an, Argentinien werde dank seiner Politik in 35 Jahren so sein wie Deutschland, überraschte er am Freitag in Madrid mit der Meinung, die „wirtschaftliche Freiheit in Deutschland gefällt mir nicht“. Das neue Vorbild ist jetzt Irland: „Wir werden so frei sein wie Irland, wir werden das freiste und das reichste Land der Welt sein“.

Tags darauf bekam er in Hamburg einen Preis für sein „unerschrockenes Eintreten für individuelle Selbstbestimmung und freie Märkte“ verliehen. Und der NDR berichtete:

Die rund 200 Zuhörenden – darunter der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch – jubelten Milei zu. Immer wieder riefen sie in Sprechchören „Libertad“, zu Deutsch Freiheit.

Die FAZ veröffentlichte die Laudatio: „Sie sind kein Populist, sondern ein Popularisier freiheitlich-marktwirtschaftlicher Ideen“, lobte Stefan Kooths, der Vorsitzende der gastgebenden AfD-nahen Hayek-Gesellschaft. Milei stehe in der Tradition „der großen liberalen Reformer der Nachkriegszeit“ wie Ludwig Erhard, Margaret Thatcher oder Ronald Reagan.

Welt-Chefreporterin Anna Schneider behauptet, übrigens fast wortgleich wie ihr Chef Ulf Poschardt bereits nach dem Wahlsieg Mileis im November 2023, Folgendes:

Dabei ist das, was Javier Milei in Argentinien durchzieht, momentan wohl das spannendste politische Projekt überhaupt. Wenn es ihm gelingen sollte, sein Land aus dem politischen Sumpf zu ziehen, wäre das ein unglaublicher Sieg für den Libertarismus, aber auch den Liberalismus – weltweit.

Dass das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche oder The Pioneer Milei in ähnlichen Tönen feiern – geschenkt. In der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, die lange zu den Förderern Mileis gehörte, wird man allmählich vorsichtiger:

Zwar gehe dessen Wirtschaftspolitik in die richtige Richtung, teilte Hans-Dieter Holtzmann, Projektleiter der Stiftung in Argentinien, der ARD schriftlich mit. „Allerdings zeigt Javier Milei eine irritierende Nähe zu internationalen Rechtspopulisten, und auch sein konfrontativer Politikstil ist mit den Werten und Überzeugungen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nicht vereinbar.“

Sich selbst sieht der Argentinier mehr denn je, so bekannte er in seiner Dankesrede in Hamburg, als Heilsbringer in göttlicher Mission: „Die Kräfte des Himmels haben mich in das Land der Inflation und der Dekadenz geschickt“. In wenigen Stunden empfängt ihn Olaf Scholz im Kanzleramt.

Foto: Kay Nietfeld, dpa

 

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