vonPeter Strack 13.07.2015

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Letztes Jahr hatte der bolivianische Außenminister David Choquehuanca sich um die Rueckfuehrung einer vorspanischen Statue des Ekeko aus einem Schweizer Museum nach Bolivien bemueht. Der Ekeko ist das Symbol der Fülle. Seinen ohnehin beträchtlichen Körperumfang kann man mit dem Umhängen aller möglicher Miniaturen von Gegenständen, Nahrungsmittel etc. noch vergrößern. Diese soll einem der Ekeko dann tatsächlich bringen. Nun lasteten auf Papst Franziskus die Erwartungen von Millionen Christen wie Heiden.Dass er seinen Respekt vor der andinen Kultur durch das Kauen von Koka ausdrücken solle, war noch ein kleiner Wunsch. „Kein Problem, ich werden Koka kauen“, hatte Franziskus einer Journalistin noch im Flugzeug geantwortet. Die hatte sich Sorgen um die Gesundheit des von einem Lungenleiden aus der Jugendzeit nicht gerade für 4000 Meter Höhe prädestinierten Papstes gemacht. Ob der nur Stunden dauernde Kurzbesuch in La Paz, oder das folgende Tagesprogramm in Santa Cruz allerdings ausgereicht haben, um den im Ankündigungsschreiben ausgedrückten Wunsch zu erfüllen, eine wirkliche Begegnung mit den Armen zu ermöglichen, darf – vielleicht mit Ausnahme des Gefängnisbesuches in Santa Cruz – bezweifelt werden. Zumindest wird es keine Begegnung mit dem im Winter in Sandalen laufenden Schuhputzerjungen aus La Paz gegeben haben. Auf die Frage eines Radioreporters, was er dem Papst sagen würde, wenn er ihn treffe, antwortete er, er würde ihn um 100 Bolivianos bitten (umgerechnet 12 Euro), um sich Schuhe kaufen zu können. Aber auch so, gebe ihm Jesus die nötige Kraft, um täglich die 50 Bolivianos zu verdienen, die er benötige, um zum Familienunterhalt beizutragen.

Ankunft la pazDie Organisation arbeitender Kinder hatten im Vorfeld darum gebeten, der Papst möge keiner Abschaffung der Kinderarbeit das Wort reden. Öko-Aktivisten hatten sich unterstützende Worte des Autors der Enzyklika „Laudato Si“ für den Schutz der Naturschutzgebiete erhofft. Oder gegen Bergwerke, die die Wasserläufe vergiften, mit denen die Äcker bewässert werden sollen. Präsident Evo Morales, der kurz vorher noch die Ausweisung aller Umweltorganisationen angekündigt hatte, die sich der Erdölförderung in Naturschutzgebieten widersetzen, forderte die Bolivianer dagegen auf, sich einig zu zeigen. Niemand solle den Papstbesuch dazu nutzen, auf die Regierung Druck auszuüben. Während Umweltorganisationen in Briefen an den Papst keine Zweifel an ihrem Anliegen offen ließen, verzichteten der Dachverband der Guarani-Völker zumindest auf die in Erwägung gezogenen Straßenblockaden als Protest gegen Naturzerstörung durch Erdölförderung in ihren Territorien. Auch die Schlachtereien zeigten sich bereit, ihren Streik für den Papstbesuch zu unterbrechen. Nun hätten sie gewiss auch Probleme gehabt, Franziskus zu erklären, warum sie keine Mehrwertsteuern zahlen und wie informelle Straßengeschäfte behandelt werden wollen.
Auch die sonst religiös sonst wenig interessierten regierungsnahen Bauernverbände, begrüßten de Papstbesuch und mobilisierten für das Internationale Treffen sozialer Organisationen zum Papstbesuch in Santa Cruz. Unter anderem, um dem Nachfolger auf dem Stuhle Petri die Forderung für einen bolivianischen Zugang zum Meer nahezubringen.
„Evo Morales und Papst Franziskus, zwei Anführer des Kampfes für soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung“, mobilisierte das Informationsministerium in Radiospots. Nach langer Zeit sogar wieder in der kirchennahen Radiokette ERBOL. Der eher regierungskritische, wichtigste Radioverbund Boliviens war kabge Zeit vom staatlichen Werbeetat ausgeschlossen gewesen. Einen der Finanziers, die dänische Organisation IBIS, hatte man wegen „Einmischung in innere Angelegenheiten“ aus dem Land geworfen. Auch die Amtskirche war diesmal nicht auf Krawall gebürstet. Sie erwartete sich über die eigentlich religiösen Anliegen hinaus eine Annäherung und eine Stärkung der eigenen Rolle, die unter der Regierung Morales immer mehr an Bedeutung eingebüßt hatte. Zwar sorgte sich mancher Konservative um möglicherweise erneuernde Äußerungen des Papstes, und der Jesuit Daniel mercado kommentierte angesichts des hohen Aufwands und Trubels und in Sorge um die religiösen Inhalte, dass nicht Jesus nach Bolivien komme, nur der Papst. Doch ein Vertreter der Diözese La Paz lobte nach einer gemeinsamen Pressekonferenzsogar die Informationsministerin, dass sie den Geist des Evangeliums bestens zum Ausdruck gebracht habe.1507-disfrazadodesanto Und die Polizei sorgte ihrerseits handgreiflich dafür, dass die als Nonnen verkleidet gegen kirchliche Sexualmoral und Kindesmissbrauch in der Institution protestierenden Feministinnen von Mujeres Creando in La Paz rechtzeitig vor Eintreffen des Papstes von den Stufen der Kathedrale verschwunden waren. Und in Santa Cruz, beim internationalen Treffen der sozialen Organisationen, mussten die Gegner des Straßenbaus durch das indigene Territorium und Naturschutzgebiet TIPNIS draußen bleiben, weil wie der Außenminister dem Jesuiten Xavier Albo mitteilte sie angeblich nur Lärm machen wollten, statt zuzuhören.

Die Papstworte hätten ihnen vermutlich gefallen: Dass man das Geld und die Konsuminteressen Einzelner nicht über Mutter Erde stellen solle. Die werde derzeit straflos zerstört, wo sie doch das Haus aller lebenden Wesen sei. Damit überwand Franziskus die dem christlichen Abendland zugesprochene anthropozentrische Weltsicht und kam dem Verständnis von Gutem Leben der andinen Kulturen erstaunlich nahe. Ebenso, als er den Priestern und Nonnen ans Herz legte, die eigenen Ursprünge, Sprachen und Kulturen nicht zu vergessen. Auch die Betonung der Rolle eines Kulturwandels beim „Proceso de Cambio“ und die Infragestellung des Wunsches, alle Machtinstrumente besetzen zu wollen und die Macht an einer Stelle zu konzentrieren, kann als Kritik am Präsidenten interpretiert werden. Auch wenn sie so allgemein und diplomatisch formuliert waren, dass auch die in erster Reihe sitzenden Evo Morales und Vizepräsident Alvaro Garcia Linera sich nicht auf die Füße getreten fühlen mussten.

So wie in dem außenpolitischen Thema des Zugangs zum Meer, bei dem Franziskus Dialog zwischen den Staaten forderte. Der chilenische Außenminister interpretierte anschließend den von Bolivien angestrengten Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Verweigerung dieses Dialogs, während die Bolivianer die Papstworte als Aufforderung zu Zugeständnissen interpretieren wollten.

papa-boliviaWer wirklich zufrieden schien, waren Massen von Gläubigen, die wenig erwartet und für die der lateinamerikanische Papst offensichtlich die passende Worte gefunden hatte. Den Fokus auf die Ausgeschlossenen gerichtet, und auf die Kinder und Alten. Die Tage zuvor hatte es in La Paz noch geschneit, und trotzdem hatten Tausende an den Zufahrtswegen übernachtet, nur um einen schnellen Blick auf den Argentinier werfen zu können oder ihm ein Familienfoto zur Segnung hinzuhalten. Für einen kurzen Moment der Euphorie, den viele, wie sie sagten, nie vergessen würden. Und den sie auch gegen die ausgesprochen missmutig reagierenden Mitglieder evangelikaler Sekten verteidigten.

Und wer sich weder fuer religioese noch fuer politische oder andere Inhalte des Besuches interessieren mochte, fuer den gab es wenigstens zur Unterhaltung ein musikalisch sicher nicht hochklassiges inzwischen virales Video, das den Papstrummel gehoerig auf die Schippe nimmt.

Unumstritten der dreiminütige Halt der Papstkarawane bei der Abfahrt nach La Paz für ein Gebet und Ehrung für den in Bolivien sehr populären jesuitischen Ordensbruder Luis Espinal. Der charismatische Kinoexperte, Journalist, Priester, Dichter und Menschenrechtler war in Zeiten der Militärdikatur gefoltert und ermordet worden. Kurz nach der Ehrung sollte Evo Morales dem Papst dann die Replik eines von Luis Espinal gestalteten Kruzifixes als Gastgeschenk überreichen. Jesus statt auf einem Kreuz auf Hammer und Sichel genagelt. Schnell beeilte sich die Bischofskonferenz zu betonen, es handele sich nicht um ein direktes ideologisches Bekenntnis, sondern um eine allgemeine Aufforderung zum Dialog. Ob das Geschenk aber die von der Allgemeinen Versammlung für Menschenrechte angeregte Seeligsprechung Luis Espinals befördert hat?

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