vonKnut Henkel 19.05.2020

Latin@rama

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Saúl Baños

Interview mit Saúl Baños, Jurist und Direktor der Stiftung für das Studium der Rechtsanwendung Fespad (Fundación de Estudio para la Aplicación del Derecho). Er ist fünfzig Jahre alt und lebt in San Salvador.

Nayib Bukele hat per Dekret den Ausnahmezustand in El Salvador verlängert – am Parlament vorbei, das heute tagt und entscheiden wird, ob es den Alleingang des Präsidenten absegnen wird. Was bedeutet diese wiederholten autoritären Alleingänge für El Salvadors Demokratie?

Mit seiner Entscheidung hat Präsident Bukele gegen die Verfassung und die fixierte Trennung von Exekutive und Legislative verstoßen. Das ist ein gravierender Verstoß gegen die demokratische Ordnung des Landes, nicht der erste dieser Art. Mitte April hat er sich einem Urteil des Verfassungsgerichts wiedersetzt, wodurch die Regierung an moralischer Autorität eingebüßt hat. Verbale Angriffe, vornehmlich auf seinem Twitter-Kanal, auf Institutionen wie die Generalstaatsanwaltschaft, Kontrollgremien wie die Procuraduría, gehören auch dazu. Nayib Bukele agiert zunehmend autoritär in der Corona-Pandemie

Sehen Sie das demokratische Gleichgewicht in Frage gestellt?

Ja, durchaus. Gerade weil es anscheinend vorsätzlich geschieht, denn Bukele hat am Samstag den Ausnahmezustand verlängert, wohlwissend, dass allein das Parlament dazu legitimiert ist. Dieses Vorgehen hat zwei Klagen vor dem Verfassungsgericht nach sich gezogen.Am Montagnachmittag tritt das Parlament zusammen und kann den Ausnahmezustand verlängern oder auch nicht.

Wie reagiert die Bevölkerung auf dieses autoritäre Vorgehen – gibt es Proteste?

Laut den Umfragen ist die Popularität des Präsidenten nach wie vor hoch. Natürlich lässt sich das im Ausnahmezustand nicht so exakt überprüfen, aber es gibt ach ein paar Signale, dass er an Popularität verliert. Mit der Ausgangssperre verlagert sich der Protest zudem von der Straße in die sozialen Netzwerke. Dort gibt es mehr und mehr krtitische Kommentare zur Performance des Präsidenten. Neu ist auch, dass es abends um acht Uhr vermehrtes Topfschlagen in den Straßen gibt – als Zeichen des Protests, aber auch des Hungers. Die Zahl der Menschen, die ein weißes Tuch als Symbol für Nahrungsmittelknappheit raushängen, nimmt zu.

Wie agieren die Ordnungskräfte – gibt es weiter willkürliche Verhaftungen bei Quarantäne-Verstößen und deren Internierung in Centros de Contención, sogenannte Eindämmungszentren?

Polizei und Militär haben freie Hand, die Zahl der Inhaftierungen liegt bei über 4000. Die Leute werden in die Zentren zwischen vier Wochen und zwei Monaten festgehalten. Es hat bereits Proteste gegeben und die Bedingungen sind alles andere als vorbildlich.

Letzte Woche sind mehrere Mitglieder der Kommission zurückgetreten, die die Verteilung der zwei Milliarden US-Dollar, kontrollieren sollte, die an Krediten aufgenommen wurden. Sie gaben an, dass die Regierung ihnen Informationen verweigerte. Hat dieser Rücktritt einen Effekt?

Ja, denn der vom Parlament eingesetzte Kommission besteht aus Vertretern der Unternehmen, der Industrieverbände, der Universitäten. Deren Rücktritt hat hier durchaus Wellen geschlagen, denn es wird offensichtlich, dass die Regierung  die Mittel nach eigenem Gusto verteilt.

Hat sie dazu die gesetzliche Grundlagen?

Ja, im Ausnahmezustand schon, aber mit dem Auslaufen am Samstag endete diese Option. Das könnte dazu beigetragen haben, dass Bukele persönlich meinte ihn verlängern zu müssen. Das ist allerdings nur eine Option, wenn auch eine plausible. Unter dem Ausnahmezustand genießt die Regierung Sonderrechte und die freie Verfügbarkeit über die Ressourcen der Regierung zählt dazu.

Auffällig ist auch, dass die Regierung eine Zunahme der Infektionsfälle bei der Polizei, beim staatlichen Wasserversorgungsbetrieb bekannt gegeben hat – es wäre nicht das erste Mal, dass Nayib Bukele mit Falschinformationen agiert. Eine Parlamentssitzung wurde bereits einmal aufgelöst, weil es angeblich einen positiven Corona-Fall unter den Abgeordneten gegeben hat. Die Information hatte Bukele per Twitter publik gemacht – nur blieb sie unbestätigt.

Wie ist Ihre Prognose für die kommenden zwei Wochen?

Heute tritt das Parlament zusammen und eventuell wird es den Ausnahmezustand verlängern. Wenn nicht, steht eine Untersuchung gegen Nayib Bukele wegen des Verfassungsverstoßes an. Sicher bin ich allerdings, dass die Quarantäne aufrecht erhalten bleibt – mindestens noch für zwei Wochen. Parallel wird es aber erste Lockerungen geben – der Druck wird größer.

Aber die Zahlen der Infektionen steigen weiter….

Ja, aber sie sind weit von dem Niveau anderer Länder entfernt. Derzeit sind es 1413 bestätigte Fälle bei dreißig Toten. Im Vergleich zu Peru oder Ecuador ist das wenig – im Vergleich zu den Nachbarländern Honduras und Guatemala etwas weniger, aber mehr als Costa Rica. Dort wurde aber nicht die Verfassungsordnung beschädigt.

 

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