vonPeter Strack 12.07.2012

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Wasserwerfern getrotzt, Quelle: Los Tiempos
Wasserwerfern getrotzt, Quelle: Los Tiempos

Zwei Monate (siehe Fotoreportage) waren sie marschiert, hatten mitten im Winter zwei Wochen lang der Kaelte auf der Strasse vor dem Vizepraesidentenpalast, dem Traenengas und den Wasserwerfern getrotzt und nicht einmal ein Gespraech mit Evo Morales erreicht. Der Praesident und seine Mitarbeiter hatten unterdessen keine Anstrengungen gescheut, ihre Heimatregion, den TIPNIS aufzusuchen, Aussenbordmotoren zu verteilen, Versprechungen zu machen und die indigenen Organisationen zu spalten.

Dies mag der Hauptgrund gewesen sein, dass die Marschierer  am 10. Juli beschlossen, in ihre Doerfer zurueckzugehen, um  sich dort weiter fuer die Erhaltung des in Suedamerika inzwischen einzigartigen Oekotops und gegen den geplanten Strassenbau mitten durch das indigene Territorium und Naturschutzgebiet einzusetzen.

Kinder: Am staerksten der Kaelte ausgesetzt     Quelle: eju tv
Kinder: Am staerksten der Kaelte ausgesetzt Quelle: eju tv

Obwohl es ein Tag war, an dem Schwaechen der Regierung deutlich wurden:  In der Presse tauchten Schlagzeilen von einem moeglichen neuen Korruptionsskandal auf. Auch hatte die Zentralgewerkschaft der Regierung ein Ultimatum gestellt, mit den TIPNIS-Marschierern zu verhandeln. Im Beni hatte es einen Generalstreik zu ihrer Unterstuetzung gegeben, der auch zu weiten Teilen befolgt wurde.

Und im Konflikt um die Bergwerkskonzession an eine kanadische Firma am Mallku Qhota im Hochland von Potosí hatte Morales nach einem durch Polizeikugeln getoeteten Bauern  und der Geiselnahme von Firmenangestellten durch die Bauernorganisationen nachgegeben und die die Ruecknahme der Konzession angekuendigt. Moeglicherweise habe er Mitverantwortung fuer die Eskalation des Konflikts, raeumte Morales anschliessend  ein, weil er nicht zum rechten Zeitpunkt das Gespraech gesucht habe. Doch diese Selbstkritik war nicht auf den TIPNIS-Konflikt gemuenzt.

Vergebliches Warten vor dem Gebaeude des Vizepraesidenten  Quelle: ERBOL
Vergebliches Warten vor dem Gebaeude des Vizepraesidenten Quelle: ERBOL

Den Marschierern hatten die permanenten Erkrankungen in La Paz, vor allem bei den Kindern, zugesetzt. Aber auch das Broeckeln ihrer Basis waehrend ihrer mehrmonatigen Abwesenheit. Eine von der Regierung gesponserte Versammlung hatte am gleichen Tag die Benianerin Melva Hurtado zur Praesidenten des Dachverbands der Organisationen der Tieflandindigenas gewaehlt. Dies in Abwesenheit von 6 der 13 Teilorganisationen, unter anderem der zahlenmaessig wichtigsten Guarani-Organisation APG und  der der Chiquitano OICH, dafuer mit Stimmen von inzwischen abgewaehlten ehemaligen Vertretern von drei anderen Teilorganisationen.

Schluesseluebergabe eines neuen Fahrzeugs fuer ihre Organisation: Melva Hurtado im April mit Evo Morales  Quelle: Los Tiempos
Schluesseluebergabe eines neuen Fahrzeugs fuer ihre Organisation: Melva Hurtado im April mit Evo Morales Quelle: Los Tiempos

„Wir denken in grossen Dimensionen”, machte die frischgewaehlte Praesidentin der Parallel-CIDOB deutlich, warum die Regierung sie sofort als legitime Vertreterin der Tiefland-Indigenas anerkannte, „wir muessen einen strategischen Plan erarbeiten, damit die Entwicklung in alle Doerfer kommt, (…) damit die natuerlichen Ressourcen der indigenen Territorien besser kontrolliert und genutzt werden.“

So wird  die nun gespaltene CIDOB viel Energie in internen Auseinandersetzungen verbrauchen, statt Forderungen an die Regierung zu richten. Fuer die TIPNIS-Region  waren bezeichnenderweise nur Vertreter der CONISUR aus dem sogenannten Polígono 7 anwesend, das bereits von Kokabauern kolonisiert ist und nicht mehr zum Schutzgebiet gehoert.

Ambivalent auch die allgemeine Oeffentlichkeit. Waehrend die TIPNIS-Marschierer, Maenner, Frauen und Kinder, im letzten Jahr noch massenhafte Unterstuetzung genossen hatten, war der Empfang durch die Bevoelkerung von La Paz diesmal zwar erneut herzlich, aber auch die Folgeaktivitaeten beschraenkten sich nur auf wenige Tausend  UnterstuetzerInnen. Die Solidaritaet im Internet nuetze nichts, wenn sie nicht von Unterstuetzung im wirklichen Leben begleitet werde, twitterte Andrés Gómez von Radio ERBOL, das am Morgen noch zu Deckenspenden aufgerufen hatte.

Bescheidenere Mittel als das Kommunikationsministerium: Infostand der Strassenbaugegener  Foto: Gerhard Dilger
Bescheidenere Mittel als das Kommunikationsministerium: Infostand der Strassenbaugegener Foto: Gerhard Dilger

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut IPSOS ergab zwar, dass sich in den grossen Staedten nur 15% der Befragten fuer den umstrittenen Strassenbau durch den TIPNIS aussprechen, aber die explizite Gegnerschaft  ist mit 38% auch nicht ueberwaeltigend. Die meisten (43%) befuerworten die Befragung der Bewohner des TIPNIS, deren Entscheidung respektiert werden solle. Die massive Medienkampagne der Regierung zeigt ihre Wirkung.

Die Kritik der Marschierer an der von der Regierung vorbereiteten Befragung ist jedoch, dass diese den Strassenbau gar nicht direkt zum Gegenstand hat, sondern nur den Begriff der Unberuehrbarkeit aus dem Gesetz 180, das die Marschierer der Regierung im vergangenen Jahr abgetrotzt hatten. Doch aus Regierungssicht erlaube die Unberuehrbarkeit nur Schutzmassanahmen und Forschung, aber keine kommerzielle Aktivitaeten wie Oeko-Tourismus oder nachhaltige Forstwirtschaft durch die indigenen Gemeinden selbst. Hinzu kommt, dass die Regierung Gemeinden ausserhalb des TIPNIS einbeziehen will, bei denen sie sich der Unterstuetzung fuer das Strassenprojekt sicher ist.

Abschied von La Paz, Quelle: El Dia
Abschied von La Paz, Quelle: El Dia

Die Stellungnahmen der TIPNIS-Marschierer vor ihrer Rueckkehr waren ungebrochen kaempferisch. Man wolle die umstrittene Befragung vor Ort verhindern, auch sollen nun internationale Rechtsinstrumentarien genutzt werden, nachdem die nationalen Mechanismen ausgereizt scheinen.  „Wir gehen erhobenen Hauptes“, meinte ihr Sprecher Fernando Vargas, und manche Kommentatoren sprachen von einem moralischen Sieg. Doch in der aktuellen politischen Situation hilft es den TIPNIS-Bewohnern wenig, dass die Regierung im Konflikt ihr Image als Vorreiterin des Schutzes von Mutter Erde und Unterstuetzerin indigener Weltsicht und Lebensweisen erst einmal verloren hat.

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