vonGerhard Dilger 27.06.2014

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An zwei Vorstandsmitglieder der General Motors/Adam Opel AG  in Rüsselsheim hat die Pro Paraguay Initiative folgenden Offenen Brief gerichtet:

Sehr geehrte Frau Webber, sehr geehrte Frau Müller,

wir sind eine entwicklungspolitische NGO und arbeiten seit 25 Jahren in Paraguay mit  Projekten im Bereich Gesundheit, Bildung und ländliche Entwicklung der Kleinbauernwirtschaft. Immer sind in Paraguay – auch nach dem Sturz der Diktatur unter General Alfredo Stroessner – Fragen der Menschenrechte allgegenwärtig, so arbeiten auch wir mit Menschenrechtlern zusammen, die wir in ihrem Engagement unterstützen, wo immer es sich mit unserer Projektarbeit verbinden lässt.

Dazu möchte ich Ihnen von meiner letzten Begegnung mit Dr. Martín Almada berichten, Verfolgter und Folteropfer der Stroessner-Diktatur, Träger des alternativen Friedensnobelpreises und Menschenrechtsaktivist. Dr. Martín Almada ist das prominenteste Opfer der Diktatur, er hat aber gleichwohl sein Leiden umzusetzen vermocht in eine beispiellose Arbeit zur Aufklärung der Verbrechen der Stroessner-Diktatur und gegen die Straflosigkeit, die bis heute viele Täter schützt.

Die von ihm geleitete Stiftung „Fundación Celestina Pérez de Almada“ trägt den Namen seiner ermordeten Frau. Sein alternativer Nobelpreis, das große Ansehen, welches er bei zahlreichen bedeutenden Kongressen weltweit erfährt, vor allem aber seine unerschrockene Kritik im eigenen Land machen ihn zu einem Experten auf einem Gebiet, das auf seinem Leiden begründet ist. Andererseits ist er so gefürchtet, dass eine Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit nicht auszuschließen ist.

Die Geschichte, um die es uns in diesem Schreiben geht und für die wir um Ihre Aufmerksamkeit bitten, ist in diesem Kontext eher eine Episode. Allerdings eine von der Art, die einen nicht loslässt. So auch im Fall des Martín Almada: Es mag kurios erscheinen, aber immer galt sein andauerndes Nachforschen auch einem scheinbar nebensächlichen Detail der Diktatur, nämlich einem halben Dutzend Fahrzeugen, die zu beklemmendem „Ruhm“ gelangten.

Wenigstens eins davon wollte Almada unbedingt wiederfinden – Kleintransporter der Marke GM Custom, Mitte der Siebzigerjahre  den paraguayischen Machthabern von der Firma GM geschenkt (sozusagen ohne Bedingungen für ihren Einsatz). Sie wurden vom  Regime nach ihrem Umbau zum Abholen, Verschleppen und Foltern von Regimegegnern eingesetzt. Die Customs waren in auffälligem Rot lackiert, ihr Erscheinen löste bei großen Teilen der Bevölkerung Angst und Schrecken aus.

Man nannte sie der Farbe wegen  „Rotkäppchen“, auf spanisch „Caperucita roja“. Wie Martín Almada am eigenen Leib erlebte und erlitt, fingen die Folterungen  der Opfer schon im Wagen an, zum „Warmschlagen“, wie die Folterer zynisch zu sagen pflegten. Die Zeitzeugen berichten von der geradezu bedächtigen Fahrt der Wagen, die jahrelang – mit ihrer unverwechselbaren Farbe, dem Wort POLICÍA an der Seite und dem Scheinwerfer auf dem Dach – durch  Asuncións Straßen rollten (wollte die Besatzung mehr Zeit fürs Quälen haben, solange sie noch Herr über ihre Opfer war?).

Ob mit oder ohne Opfer an Bord, sie machten mit voller Absicht ihre langsamen Runden – das reichte schon zur erfolgreichen Einschüchterung. Almada hat diese Fahrt selber zweimal erlebt. Er hat so lange nach dem Auto gesucht, um es im „Museo de las Memorias“ auf der Calle Chile auszustellen. Und dank seiner Hartnäckigkeit wurde vor kurzem wirklich ein Exemplar ausfindig gemacht und instandgesetzt.

Wir haben uns gefragt, warum Dr. Almada sich in das gleiche (dasselbe?) Fahrzeug setzt, das wie kaum etwas anderes die erlittenen Folter wach ruft. Wir glauben, dass er genau auf diese Weise – ob bewusst oder unbewusst – sein Trauma bearbeitet. Jetzt ist „Caperucita Roja“ ein Museums- und Ausstellungsstück und erzählt ohne Worte von dem Missbrauch eines Märchennamens, einem zweckentfremdeten Auto, das durch seinen bloßen Anblick Angst und Schrecken verbreitete, aber auch vom Triumph des (Über-)Lebens.

Dr. Martín Almada hat einen großen Wunsch, der diese Geschichte des Schreckens zu einem nicht nur für ihn hoffnungsvollen Ende führen könnte: Er wünscht sich von GM einen Kleinbus, mit dem z. B. Schülergruppen zum Museo de las Memorias gefahren werden können, um dort mehr über die schlimme jüngste Geschichte ihres Landes zu erfahren – vielleicht auch die Extra-Geschichte, die mit dem schönen GM-Fahrzeug zu tun hat, das sie zu dem historischen Vorläufer transportiert hat.

Für diesen Wunsch unseres Partners Dr. Martín Almada möchten wir uns mit diesem Schreiben verwenden. Wir würden es angemessen, aber auch mutig finden, wenn Ihr Unternehmen diesem Wunsch entsprechen würde.

Kempen, im Juni 2014

Hermann Schmitz, Vorsitzender der Pro Paraguay Initiative

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kommentare

  • Un microbus de la GM para transporte hasta el Museo sería la mejor forma de limpiar el nombre de la GM.

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